Das Antihistaminikum Diphenhydramin wird von Jugendlichen vermehrt als Rauschmittel eingesetzt. Doch es ist nicht das einzige OTC-Medikament, bei deren Bestellung Apotheker aufhorchen sollten.
Die Apothekerkammer Nordrhein erhielt vor Kurzem eine Warnung durch das Klinikum Aachen. Es seien vermehrt Vergiftungsfälle durch Diphenhydramin bei Jugendlichen aufgetreten, die sich durch die Einnahme des Antihistaminikums einen Rausch verschaffen wollten. Es ist nicht das erste Mal, dass Diphenhydramin in dieser Weise missbräuchlich verwendet wird – im Gegenteil. Seit vielen Jahren liegen entsprechende Berichte aus allen Teilen Deutschlands vor. Und es gibt noch weitere sogenannte Over-the-Counter-Produkte (OTC), bei deren Verkauf der Apotheker ungewollt zum Dealer werden kann.
Zunächst zum Stofflichen: Diphenhydramin ist ein H1-Rezeptor-Antagonist und wird so in verschiedenen Medikamenten als Wirkstoff genutzt. Der Einsatz bei allergischen Erkrankungen gilt hierzulande aufgrund besserer Medikamente als überholt. Anders als zum Beispiel in den USA wird daher die zweite Generation der Mittel eingesetzt. Ein Grund dafür ist, dass die erste Generation die Blut-Hirn-Schranke überwinden und die Histamin-Rezeptoren dort ebenfalls inhibieren kann. Dadurch wird unter anderem Müdigkeit ausgelöst und das Brechzentrum gedämpft. Indikationen für die Anwendung von Diphenhydramin der ersten Generation sind daher vor allem Ein- und Durchschlafstörungen sowie Übelkeit und Erbrechen.
In verschiedenen Rausch-Foren im Internet wird Diphenhydramin als Delirans geschildert, das keine besonders angenehmen Empfindungen auslöst. Schwindel, Blackouts, akustische und optische Halluzinationen, Realitätsverlust und schlechte Laune sollen bei der Einnahme größerer Mengen die Folge sein. Es wird dort empfohlen, Diphenhydramin gleichzeitig mit Opioiden zu konsumieren, um deren Wirkung zu verstärken. Eine Einnahme ohne Tripsitter (Person, die nüchtern bleibt und den Konsumenten bei seinem Rausch begleitet) sollte, laut Foren, unterbleiben.
Eine Überdosierung zeigt sich hier manchmal nur schleichend, denn die toxischen Effekte können mehrere Stunden auf sich warten lassen und erst dann auftreten, wenn der Rausch bereits abgeklungen ist. Wie nach dem übermäßigen Konsum von Nachtschattengewächsen, Neuroleptika oder Antidepressiva kann sich ein Anticholinerges-Syndrom entwickeln. Hier gibt es zentrale und periphere Symptome.
Diese reichen von Verwirrtheit, Schläfrigkeit oder Unruhe, Halluzinationen und Krampfanfällen bis hin zu Herzrhythmusstörungen, Glaukomanfällen und Harnverhalten. Das Syndrom kann sich akut lebensbedrohend auswirken. Die letale Dosis für Erwachsene liegt bei einem Blutspiegel von 16 µg/ml, bei Kindern jedoch schon bei 6 µg/ml. Je nach körperlichem Entwicklungsstand liegt der tödliche Pegel für Jugendliche wohl irgendwo dazwischen.
Auch Dextrometorphan, das in vielen Hustenblockern eingesetzt wird, wird häufig missbräuchlich verwendet. Oft wird es in Kombination mit Diphenhydramin benutzt, um den Trip besonders bewusst wahrzunehmen. Gerade in dieser Kombination tritt ein Serotonin-Syndrom noch häufiger auf als beim Konsum der Einzelsubstanzen. Die Dosis, die hier einen Rausch auslösen kann, ist individuell sehr unterschiedlich.
Wird der Hustenreizdämpfer überdosiert, kann er einen Rausch mit Halluzinationen verursachen, allerdings ebenso eine Atemdepression auslösen. In Internetforen wird von einer Loslösung des Geistes vom Körper gesprochen, allerdings auch von Horror-Trips. Auch hier wird, wegen der teilweise starken Nebenwirkungen, zu einem Tripsitter geraten. Krampfanfälle, Übelkeit mit Erbrechen, hoher Blutdruckanstieg und Panikattacken können auftreten.
OTC-Produkte, die Pseudoephedrin enthalten, werden ebenfalls häufig missbräuchlich verwendet. Pseudoephedrin wirkt als Amphetamin-Derivat anregend auf den Sympathikus und abschwellend auf die Schleimhäute der Bronchien und des Nasen-Rachenraumes. Weil es auf diese Weise die Atmung erleichtert, wird es in vielen Kombinationsmedikamenten gegen grippale Infekte eingesetzt.
Bei Überdosierung entwickeln sich die typischen Symptome der Sympathomimetika wie Herzrasen, Appetitlosigkeit, Unruhe, Probleme beim Wasserlassen, Mundtrockenheit oder Juckreiz. Weil Pseudoephedrin auch zur illegalen Herstellung von Drogen genutzt wurde, gerieten diese Kombinationsarzneimittel schon vor geraumer Zeit in Verruf. Aber auch unverarbeitet wird Pseudoephedrin missbräuchlich als Appetitzügler und Stimulans genutzt.
Auch Oxymetazolin und Xylometazolin, die in abschwellenden Nasensprays verwendet werden, gehören zur Gruppe der Sympathomimetika. In hohen Dosen können sie ebenfalls einen Rausch auslösen. Man findet daher in einschlägigen Foren entsprechende Dosierungsanleitungen. Die User berichten aber, dass das High durch Nasenspray recht mild ist. Man benötige dafür mindestens fünf Milliliter als Einzeldosis, was beträchtliche Nebenwirkungen für die Schleimhäute nach sich ziehen kann.
Bei den missbräuchlich verwendeten OTC-Arzneimitteln findet sich auch ein Antidiarrhoikum. Loperamid kann die Blut-Hirn-Schranke zwar nicht ohne Weiteres überwinden – doch wo ein Wille ist, findet sich oft auch ein pharmakologischer Weg. Um den First-Pass-Effekt zu umgehen, können die sublingual anzuwendenden Plättchen entweder geraucht oder beispielsweise mit Grapefruitsaft oder Chinin eingenommen werden. Das ist auch ein Grund, warum chininhaltige Arzneimittel inzwischen der Verschreibungspflicht unterstehen. Die Effekte des Loperamid-Missbrauchs werden als euphorisierend und opiatähnlich beschrieben und daher in der Drogenszene vor allem als Heroinersatz genutzt.
Der Verbrauch von freiverkäuflichen Arzneimitteln steht laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) in keinem Verhältnis zu den eingegangenen AMK-Meldungen. Vor einer Bagatellisierung jahrzehntelang abgegebener Arzneimittel wird dringend gewarnt. Das gilt insbesondere für die Abgabe von Medikamenten an Jugendliche, wenn die Mittel in der Lage sind, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Sollte also in der Apotheke der Verdacht gehegt werden, dass ein vom Kunden verlangtes Medikament missbräuchlich verwendet wird, muss in jedem Fall eine AMK-Meldung abgesetzt werden.
Artikel von Eva Bahn
Bildquelle: Manel Torralba, flickr