Angestellte Ärzte in kommunalen Kliniken streikten in den letzten Wochen für bessere Arbeitsbedingungen, für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und vor allem auch für ihre Gesundheit. Die jüngeren Ärztegenerationen rücken die eigenen gesundheitlichen Bedürfnisse wieder stärker in den Vordergrund. Das ist auch gut so.
Im Gespräch mit Patienten wissen Ärzte immer genau, was das Beste ist: Mehr Bewegung, mehr Schlaf, gesündere Ernährung, weniger Stress, nicht krank zur Arbeit erscheinen, sondern auskurieren. Wie weggewischt sind diese guten Ratschläge aber, wenn es um die eigene Gesundheit geht.
Ärzte neigen zur Selbstausbeutung. Über Generationen hinweg wurde ein Selbstbild kultiviert, dass der Arzt jederzeit einsatzbereit, immer fit und gesund, unverwundbar und grenzenlos belastbar ist. Ein kranker Arzt – das klingt in etwa so paradox wie ein Fleischer, der Tofu-Würstchen grillt, oder ein Pilot mit Flugangst.
Laut Uniklinik Jena diagnostizieren 92 Prozent der Hausärzte sich selbst, 90 Prozent therapieren sich auch selbst. Bei den Fachärzten sehen die Zahlen kaum besser aus. Weil die kritische Distanz in der Anamnese fehlt, schätzen Ärzte ihren eigenen Gesundheitszustand besser ein, als er tatsächlich ist – sie überschätzen sich. Statt Bettruhe zu suchen, gehen sie lieber zum Medikamentenschrank, um weiterarbeiten zu können. 22 Prozent der jüngeren Ärzte im Krankenhaus nehmen einmal monatlich Medikamente gegen die Erschöpfung und den Stress ihrer täglichen Arbeit.
Die Folgen dieses Verhaltens führen Schlafprobleme bis Burn-out, Depression, Medikamentenabhängigkeit und andere Suchterkrankungen. Auch die Fehleranfälligkeit steigt. Im Ärztemonitor 2018 gab rund ein Drittel der Ärzte an, sich durch die Arbeit ausgebrannt zu fühlen. Die Selbstmordrate bei Ärzten ist bis zu 3,4-mal höher als bei anderen Bürgern, bei Ärztinnen sogar 5,7-fach höher. Alle 17 Landesärztekammern haben mittlerweile Sucht- und Drogenanlaufstellen eingerichtet.
2017 wurde das Genfer Gelöbnis, die moderne Version des hippokratischen Eids, überarbeitet. Darin heißt es nun: „Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.“
Auf dem deutschen Ärztetag in Münster steht das Thema „Arztgesundheit“ wieder auf der Tagesordnung. Aus Furcht oder Unvermögen, aktuellere Themen zu diskutieren, meinen die einen. Aus Notwendigkeit und um ein wichtiges Zeichen zu setzen, entgegen die anderen. Gleichzeitig formiert sich im Netz unter dem Hashtag #Twankenhaus (eine Kombination aus „Twitter“ und „Krankenhaus“) eine immer größere Community von Ärzten, Pflegepersonal, Therapeuten, Kassenmitarbeitern und anderen die sagen: So kann und darf es nicht weitergehen.
Doch wer im Gesundheitswesen etwas verändern will, muss langen Atem beweisen. Beschlüsse, Positionspapiere und Tweets können versickern – oder der Tropfen sein, der den Stein höhlt. Langsam aber stetig.
Möchten Sie sich aktiv für bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen einsetzen? Der Verband der niedergelassenen Ärzte sucht Menschen wie Sie. Erfahren Sie hier, wie Sie mitmachen können.
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