Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam – mit solch einfachen, klaren Botschaften wurde vor gut 50 Jahren aufgeklärt – und das Volk, das seinerzeit noch viel Erfahrung mit den durch Infektionskrankheiten entstehenden schweren Leiden hatte, ließ sich impfen.
Im Jahre 2019 ist die Debatte ums Impfen und vor allem um „Impfgegner“ neu entbrannt und es geht hitzig zu: Es wird polarisiert, diffamiert, Pädiater verweisen ungeimpfte Kinder vermeintlich uneinsichtiger Eltern aus ihrer Praxis. Worin liegen die Gründe für die beklagte Impfmüdigkeit? Mangelt es möglicherweise an einer modernen Aufklärungsarbeit? Hinweise darauf geben die Antworten von n = 100 Hebammen, die im April 2019 im Rahmen einer Meinungsstudie von DocCheck Research zum Thema Impfen befragt wurden.
Der Beratungsbedarf zum Thema Impfen von Kindern und Säuglingen ist ihnen zufolge hoch: Knapp 80 Prozent der befragten Geburtshelferinnen aus Deutschland werden von Eltern (sehr) häufig auf das Thema Impfen angesprochen, insbesondere die niedergelassenen und freiberuflichen Hebammen. Die Mehrheit der Hebammen steht dem Impfen positiv gegenüber. Ihr Blick auf die Thematik ist allerdings differenziert und durchaus kritisch, was die Umsetzung in der Praxis betrifft. Gut zwei Drittel stimmen der Aussage zu, dass Impfungen effektiv vor Infektionskrankheiten schützen. Allerdings sind auch 62 Prozent der Hebammen der Meinung, dass die Öffentlichkeit zu wenig über Impfkomplikationen informiert wird. Bei plakativen Pauschalaussagen zeigen sie sich uneins: Gut die Hälfte stimmt der Aussage zu, dass es gut ist, möglichst viele Kinder zu impfen, um nicht geimpfte Kinder zu schützen (54 Prozent) und ebenso viele sind der Ansicht, eine zunehmende Impfmüdigkeit gefährde die Volksgesundheit (54 Prozent), jedoch hält nur eine knappe Mehrheit von 51 Prozent der Hebammen die Empfehlungen der STIKO für fachlich begründet. Viele der befragten Hebammen fordern detailliertere Informationen für Eltern, verbunden mit einer individuellen Zusammenstellung eines Impfplans für das Kind. Nur vier der zehn von der STIKO empfohlenen Impfungen werden auch von mehr als zwei Dritteln der Hebammen empfohlen: Tetanus (Wundstarrkrampf, 70 Prozent), Diphtherie (69 Prozent), Poliomyelitis (Kinderlähmung, 69 Prozent) sowie Masern (67 Prozent). Bei Röteln, Keuchhusten (Pertussis) und Mumps sinkt die Empfehlungsbereitschaft der Hebammen dagegen unter die 65 Prozent-Marke. Generell zeigen sich viele Hebammen beim Thema Impfempfehlung zurückhaltend: Mehr als jede zehnte gibt explizit an, dass sie beispielsweise aus Haftungsgründen gar keine Empfehlung zum Thema abgeben will bzw. darf. Dies sei der Job der Kinderärzte.
Ihren Aussagen zufolge nimmt sich eine große Zahl der Hebammen dennoch der Sorge der Eltern an. Sie geben Antworten, wenn sie um Rat gefragt werden, erläutern und erklären, wie und warum sie impfen würden und geben beispielsweise Tipps zum Zeitpunkt der Impfungen oder wo Eltern tiefergehende Informationen erhalten können. Eltern und Hebammen verbindet die Sorge um das Wohl des Neugeborenen gerade in den ersten Tagen seines Lebens. Knapp die Hälfte der Hebammen sieht in Kombinationsimpfstoffen eine zu große Belastung für den Säugling. Zudem wünscht sich gut jede Zehnte eine individuellere Zusammenstellung der Impfstoffe. Mit besserer und frühzeitiger Beratung der Eltern sowie eines individuell abgestimmten Impfplans, der den Entwicklungsstand des Impflings in den Mittelpunkt stellt, würde sich den Hebammen zufolge ein Großteil der verunsicherten Eltern überzeugen lassen.
Die vielen Freitextantworten der Hebammen bringen die in ihren Augen oft unglückliche Beratungssituation gut auf den Punkt. Statt der Einführung der Impfpflicht raten sie zu besserer Informationspolitik. Es bedürfe vernünftiger Argumente, Transparenz und die glaubwürdige Vermittlung der Studienlage - nicht nur was die Bevölkerung betrifft, sondern auch den eigenen Berufsstand:
„Es gibt nicht nur Impfgegner und -Befürworter. Es gibt auch die Gruppe, die grundsätzlich nichts gegen Impfungen hat, aber sehr wohl ein Problem mit den vorhandenen (oder eben auch nicht vorhandenen) Impfstoffen und der Empfehlungen des Zeitpunktes. Ein 6 Wochen altes Baby ist meiner Meinung nach überhaupt noch nicht reif für Impfungen, schon gar nicht für den “Cocktail” an Erregern. Ein Kind sollte erstmal sein eigenes Immunsystem entwickeln dürfen, gegen “alltägliche” Viren und Bakterien. Und dann kann man mit 6-12 Monaten über die ersten Impfungen nachdenken. Desweiteren finde ich auffällig, wie weit die Impfempfehlungen innerhalb der EU auseinander driften.“
„Die Ärzte sind an der Impfmüdigkeit zum Teil selbst schuld. Die Eltern werden nicht/ nicht gut oder unzureichend aufgeklärt. Oft bekommen die Eltern nicht einmal mehr den Aufklärungsbogen ausgehändigt. Wenn Eltern sich gegen eine Impfung aussprechen, werden diese nur verdammt und der Praxis verwiesen, anstatt noch einmal gründlich aufgeklärt zu werden. Natürlich ist das Aufklären aufwendig und kostet Zeit, aber ohne diese geht es nun mal nicht.“
„Als Hebamme gebe ich nicht meine persönliche Meinung an die Familien weiter. Ich bespreche die Empfehlungen der Stiko, weise aber auch immer darauf hin, dass sie selber entscheiden können, was und vor allem wann sie ihr Kind impfen. Persönlich empfinde ich den Impfbeginn als zu zeitig.“
„Tun Sie alles was sie können um unserem Berufsstand zum Thema Impfungen aufzuklären. Eine einzige impfkritische Hebamme reicht um einen ganzen Stadtteil zu ruinieren.“
„Als Hebamme darf ich keine Empfehlung zum Impfen geben, sondern kann die Eltern nur darüber informieren. (...) Ich informiere immer nach dem aktuellen Stand des Robert-Koch-Instituts, aber letztendlich müssen die Eltern selbst die Entscheidung fällen. Dass es tatsächlich Fachpersonal gibt, die meinen, Masern gehören zur positiven Entwicklung dazu, kann ich kaum glauben. Ebenso schockiert es mich, wenn es tatsächlich Leute geben sollte die eine Behandlung mit homöopathischen Mitteln anstreben. Ich dachte es ist schon die Zeit, in der man evidenzbasiert arbeitet, aber anscheinend gibt es noch genug die an Hokuspokus glauben. Deshalb ist es so wichtig Aufklärungsarbeit zu leisten.“
„Ich würde mir eine umfangreichere Aufklärung durch die Pädiater wünschen, damit die Eltern sich informiert entscheiden können. Diese Thematik sollte erstmals bei der U3 besprochen werden, damit die Eltern bei der U4, wo die Impfungen beginnen, sich damit auseinandergesetzt haben und nicht in die Praxis kommen, wo es heißt „heute wird geimpft“, die Medikamente bereits vorbereitet wurden, und das Informationsgespräch nebenbei abgearbeitet wird.“
„Die Entscheidung, ob man sich oder seine Kinder impfen lässt und wogegen sollte vollkommen den Eltern überlassen werden. Es sollte ausserdem die Möglichkeit geben, die Impfungen nach den eigenen Wünschen kombinieren zu können. Derzeit werden Menschen dazu gezwungen, sich Impfungen verabreichen zu lassen, die sie nicht möchten, weil es keine Einzelimpfstoffe bzw keine Auswahl an Mehrfachimpfstoffen gibt.“
„Ich befürworte Kombinationsimpfstoffe gegenüber Einzelimpfstoffen, finde es aber ausgesprochen schwierig, dass viele Impfstoffe nur noch in Kombinationsimpfstoffen erhältlich sind, so dass - und wenn auch nur zeitlich - individuelle Impfstrategien kaum oder nur sehr erschwert möglich sind. Insgesamt möchte ich betonen, dass die einzelnen Antworten meine persönliche Einstellung widerspiegeln - ich berate nie außerhalb der Empfehlung der STIKO, da dies Hebammen nicht erlaubt ist. Allerdings erlaube ich mir schon, die Eltern darauf hinzuweisen, dass ich mir ein transparenteres Verfahren der STIKO wünschen würde und die offensichtlichen Interesssenskonflikte in diesem Bereich mir Bauchschmerzen machen. Ich würde mir eine neutralere, von wirtschaftlichen Interessen wirklich entkoppelte Bewertungsstelle - eventuell das BfR? -wünschen. Und mein persönlicher Eindruck als Hebamme seit fast 30 Jahren - wir hatten noch nie so viele Schwangere mit Varizellen....oder Schwangere, deren Rötelnimunität nicht ausreicht.. Da wäre die Impfung von seronegativen Mädchen in der Pubertät sicher sinnvoller als die momentane Frühimpfung - dies war ja zumindest bei Röteln auch bis in die 80er Jahre Standard. Schade finde ich, dass die Diskussion so emotional und unsachlich geführt wird und jeder, der nicht absolut kritiklos laut STIKO-Empfehlung impft, gleich als fanatischer Impfgegner hingestellt wird - ich glaube, die sind wirklich selten.“
„Ich kann absolut nicht nachvollziehen, warum so unfassbar mangelhaft über die Impfungen beraten wird. In den Kinderarztpraxen meiner Region erhalten die Eltern lediglich beim U3-Termin einen Flyer und den Impftermin. Kommen sie dann zum Termin, sind die Impfstoffe bereits aufgezogen, sobald der Arzt das Zimmer betritt. Es wird nicht deutlich genug gemacht, dass es sich bei den vorgegebenen Impf-Zeitfenstern um eine Empfehlung handelt. Auch nicht von wem diese Empfehlung genau kommt und auf welcher Grundlage dies basiert. Sehr wenigen Eltern ist bewusst, dass man ein Kind auch zu einem späteren Zeitpunkt oder z.B. mit weniger Impfstoffen gleichzeitig impfen kann. Es gibt sogar Pädiater, die falsche Infos geben oder den Eltern drohen, dass sie für ihr Kind dann eine andere Praxis suchen müssen. Ich unterstelle einem Großteil der Pädiater reine Profitgier.“
„Ich möchte noch mal zum Thema Empfehlungen anmerken, dass ich die Eltern gut aufkläre, jedoch keine Impfempfehlungen gebe. Da uns es als hebammen sowieso untersagt ist. Ich spreche mich ganz deutlich gegen eine Impfpflicht aus. Ich denke das jeder für sich selbst und sein Kind entscheiden kann und sollte und das nicht ducrh einen Gesetzesänderung zu einem Zwang wird. Ich selber bin ein durchgeimpftes DDr Kind und hatte einige Kinderkrankheitsverläufe. Man sollte sich gut mit dem Thema auseinandersetzen...Ich bin Aber auch kein Impfgegener - jeder soll für sich entscehiden.“
„Das Paul Ehrlich Institut erkennt jedes Jahr neue Impfschäden an. Leider wird das weder thematisiert, noch diskutiert....In der STIKO sitzten zu viele Pharmavertreter, was meiner Meinung keine sachliche Empfehlung ist.“
„Ich persönlich finde das es für Hebamme zu wenig gut fundierte Fortbildungen zu diesemThema gibt. Auch berate ich meine Kundinnen nicht beim Thema Impfen oder spreche Empfehlungen aus. Wer berät der Haftet. Es findet von Ärztlicher Seite kaum Impfberatungen statt, nur die Aufklärungszettel werden mitgegeben. Zum durchlesen zu Hause kommen die meisten Eltern nicht.“
„Eltern geraten sehr früh (zu einem Zeitpunkt, in dem sie noch nicht klar denken können, nämlich im späten Wochenbett) massiv unter Druck seitens der Kinderärzte. Ich würde mir eine ergebnisoffenere und individuellere Beratung wünschen sowie prinzipiell einen späteren Impf - Beginn. Als Hebamme bin ich meist die erste Anlaufstelle nach den Tagen der Impfung für die oft folgenden Probleme wie Fieber, Extremes Schreien und Unruhe der Babys.“
„Es wäre gut Impfinformationstage/abende für Eltern zu installieren. Die unabhängig aufklären. Dazu könnten Kinderärzte oder Hebammen geschult werden, dieser Infoabend sollte dann vom Gesundheitsamt organisiert und finanziert werden und zur Pflicht für Eltern um den Zeitpunkt der U3 des Kindes werden“
Für die Studie wurden vom 29. März bis 5. April 2019 n = 100 in Deutschland tätige Hebammen per Zufallsauswahl aus dem DocCheck Online Panel durch das Institut DocCheck Research befragt.
Studienleitung und -durchführung: Anja Wenke, Julia Schröder.
Grafiken und weitere Infos zur Studie gerne anfragen via Email:
dc-research@doccheck.com
Bildquelle: iStock-93479637