Die Diagnose von Fibromyalgie stellt Ärzte vor Herausforderungen. Labortests gibt es nicht, den Ärzten bleibt nur die subjektive Schilderung von Beschwerden. Doch Rheumatologen wollen die Erkrankung nun messbar machen.
Die wörtliche Übersetzung „Faser-Muskelschmerz“ wird der Fibromyalgie nicht gerecht, klingt dies doch eher wie die Symptome eines Muskelkaters. Viele Betroffene sind frustriert: „Mir tut alles weh und kein Arzt findet was“. Das könnte sich zukünftig ändern. Neue Testverfahren machen die Erkrankung vermutlich bald messbar. Auch neue Erkenntnisse der Pathogenese können zu innovativen Therapien führen.
Kürzlich wurde eine Studie über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Fibromyalgiesyndrom (FMS) und einer Insulinresistenz veröffentlicht. Sie beschreibt, dass Personen mit FMS häufig Anzeichen einer Insulinresistenz zeigen: Bei der Einteilung von FMS-Patienten in verschiedene Altersgruppen und einem Vergleich mit gesunden Menschen desselben Alters wurde festgestellt, dass sich beide Gruppen durch den HbA1c-Spiegel unterscheiden. Zwar lag der Wert bei etwa der Hälfte der FMS-Patienten im Normbereich, war im Vergleich zur gleichaltrigen Kontrollgruppe jedoch höher.
Professor Dr. Miguel Pappolla erläutert: „Frühere Studien haben gezeigt, dass Insulinresistenz eine Fehlfunktion in den kleinen Blutgefäßen des Gehirns verursacht. Da dieses Problem auch bei Fibromyalgie besteht, haben wir untersucht, ob die Insulinresistenz das fehlende Bindeglied bei dieser Erkrankung ist. Wir haben gezeigt, dass die meisten – wenn nicht alle – Patienten mit Fibromyalgie durch ihre A1c-Spiegel identifiziert werden können.“
Metformin verringerte die chronischen Schmerzen bei den insulinresistenten Patienten drastisch – sollte sich die Evidenz in diese Richtung mehren, wäre dies eine verblüffend einfache Therapie.
Laut einer Studie leiden 2,1 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland am Fibromyalgiesyndrom. Das Team untersuchte dazu 2.445 Probanden, die nach dem Zufallsprinzip aus der deutschen Bevölkerung ausgewählt wurden. In der Studie nutzten die Forscher die modifizierten diagnostischen Kriterien für die Fibromyalgie, um Patienten mit der Krankheit zu identifizieren.
Einfach ist die Diagnose nicht: Der Arzt stellt sie anhand des klinischen Bildes und nach Ausschluß anderer möglicher Ursachen für die Schmerzsymptomatik. Die Diagnose wird häufig voreilig als Verlegenheitsdiagnose eingesetzt. Bis zum Jahr 2010 wurden sogenannten Tenderpoints bei der Diagnose noch eine große Bedeutung zugemessen. Von 18 ausgesuchten Punkten am Körper – meist Muskel-Sehnen-Übergänge – müssen 11 besonders schmerzhaft sein.
Im Jahr 2010 veröffentlichte das American College of Rheumatology (ACR) modifizierte diagnostische Kriterien für Fibromyalgie, bei denen die Bedeutung der Tenderpoints reduziert wurde. Früher wurde Fibromyalgie überwiegend als Schmerz in mehreren Körperregionen definiert („Chronic Widespread Pain“ (CWP)). Das neue Diagnosekonzept berücksichtigt Symptome wie Fatigue, nicht erholsamen Schlaf oder kognitive Probleme. Auch vom Patienten subjektiv empfundene Symptome wie Bauchschmerzen, Depressionen oder Kopfschmerzen fließen in die Definition der Erkrankung ein.
Genauer definiert wird das Krankheitsbild nun über eine Kombination aus dem Widespread Pain Index (WPI) und dem Symptom Severity Score (SSS). Beim WPI gibt der Patient an, in wie vielen Körperarealen er in der letzten Woche Schmerzen hatte. Beim SSS wird die Schwere von drei Symptomen erfasst (Müdigkeit, nicht erholsamer Schlaf und Merk- und Konzentrationsstörungen). Beide Komponenten gehen in einen gemeinsamen Score ein, die „Polysymptomatic Distress Scale“ (PSD).
Bisher war FMS fast eine „Frauenkrankheit“, 90 Prozent der Betroffenen sind weiblich. Doch in der Studie von Wolfe erscheint unter Anwendung der geänderten Diagnosekriterien der Genderaspekt in einem komplett anderen Licht. Nach Anwendung der ACR-Kriterien von 2010 waren unter den Patienten nur unwesentlich mehr Frauen, etwa im Verhältnis 60:40.
Der Hauptautor der Studie, Dr. Frederick Wolfe von der National Data Bank for Rheumatic Diseases erklärt: „Unsere Studie stützt die Hypothese, dass es sich bei der Fibromyalgie um eine Spektrumstörung handelt. Unsere Ergebnisse haben wichtige Auswirkungen auf epidemiologische und neurobiologische Studien, die klinische Diagnose und das Krankheitsmanagement sowie auf die Bestimmung der Behinderung bei Menschen mit Fibromyalgie.“ Kranke können demnach nicht mit einer scharfen Trennlinie von Nicht-Kranken abgegrenzt werden.
Auch wenn nach den ACR-Kriterien mehr „gemessen“ werden kann, bleibt es bei der Schilderung subjektiver Beschwerden. Darunter leiden die FMS-Patienten besonders. Ein Durchbruch könnte ein FMS-Test sein. Ziel eines Teams um Kevin Hackshaw es, eine schnelle, biomarkerbasierte Methode zur Diagnose von FMS zu entwickeln. Mit Hilfe der Infrarotspektroskopie sollten Patienten mit FMS von Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA), Osteoarthritis (OA) oder systemischem Lupus erythematosus (SLE) unterschieden werden können. Die Infrarotspektroskopie wird zur quantitativen Bestimmung von Substanzen benutzt und beruht auf der Anregung von Energiezuständen in Molekülen: Die Absorption der Infrarotstrahlung führt zu einer Schwingungsanregung der Molekülbindungen. Diese sind in Form von Ausschlägen im gemessenen Spektrum (Diagramm) sichtbar und erlaubt Rückschlüsse auf die Struktur von Molekülen. Unter Anderem spielten bei der Analyse unterschiedliche Level der Substanz Pyridincarbonsäure eine Rolle.
Die Forscher entwickelten für jede der vier Erkrankungen ein charakteristisches Grundmuster. Diesen Print verwendeten sie, um den Patienten ihren Diagnosen zuzuordnen. Zusätzlich zeigte sich, dass sich an den Prints der Fibromyalgie-Patienten auch das Ausmaß ihrer Symptome erkennen ließ. Nun plant die Forschergruppe, die Ergebnisse an größeren Patientengruppen von 150 bis 200 Personen pro Diagnose zu reproduzieren. Sie hoffen, innerhalb einiger Jahre einen Test für den klinischen Einsatz entwickeln zu können. Die neu entdeckten Moleküle könnten auch als Target für neue Therapieformen dienen.
Für die Patienten ist sicherlich viel bedeutsamer, dass ihnen wirksame Therapieformen mit für FMS zugelassenen Pharmaka zur Verfügung gestellt werden. Zahlreiche noch vor einigen Jahren gehypte Substanzen sind in der Schublade „wirkungslos“ verschwunden. Cannabinoide werden derzeit hitzig diskutiert. Die Datenlage bildet jedoch keinen Konsens ab, die unterschiedlichen Leitlinien sind ebenso nicht einer Meinung.
Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) empfiehlt in ihrer Praxisleitlinie „Cannabis in der Schmerztherapie“ Cannabinoide auch beim FMS. Die kanadische Leitlinie zum Fibromyalgiesyndrom zeigt sich ebenfalls für Cannabinoiden offen: „Ein Versuch mit einem verschriebenen Cannabinoid bei einem Patienten mit Fibromyalgiesyndrom kann überlegt werden, insbesondere wenn ein wichtiger Teil des Syndromkomplexes eine Schlafstörung ist.“ Die kanadische Leitlinie räumt jedoch auch ein: „Der klinische Nutzen der Cannabinoidanwendung im Hinblick auf Schmerzerleichterung bleibt kontrovers“.
In einem systematischen Review von Lynch et al. wurde die Wirkung von Cannabinoiden bei chronischem, nicht krebsbedingtem Schmerz untersucht. Cannabinoide zeigten sich bezüglich des analgetischen Effekts Placebo überlegen und verbesserten das Schlafprofil. Die Anzahl der FMS-Patienten in der Studie war jedoch sehr klein.
Neuropathien und FMS zeigen überlappende Symptome. Auch die Therapieversuche mit Trizyklischen Antidepressiva, atypischen Neuroleptika und SSRI sind fast identisch.
Für neuropathische Schmerzen wird Cannabis in allen Leitlinien und Metaanalysen, zuletzt auch in der CaPRis-Studie (Cannabis Potential und Risiken) als Therapieoption empfohlen. Es erscheint deshalb logisch, die Wirkung von Cannabinoiden auch beim FMS weiter zu untersuchen. Das Bundesgesundheitsministerium hat in diesem Jahr eine Broschüre veröffentlicht, die das Potenzial und die Risiken von Cannabis analysiert.
Die aktuelle deutsche Leitlinie Fibromyalgiesyndrom spricht sich hingegen klar gegen Cannabinoide aus und sieht keine hinreichende Evidenz. Die Begründung der Leitlinienautoren liest sich wie folgt: Die Literatursuche fand drei systematische Übersichtsarbeiten. Die Evidenzstufe wurde wegen der unzureichenden Quantität der Evidenz abgewertet (<400 Teilnehmer). Die beiden randomisiert konrtollierten Studien mit Nabilon, einem synthetischen Cannabinoid, wurden auch in einer systematischen Übersichtsarbeit analysiert, die zu denselben negativen Schlussfolgerungen bzgl. der Wirksamkeit und Verträglichkeit von Nabilon im Vergleich zu Placebo oder Amitriptylin kam.
Ebenfalls keine Empfehlung erhalten Guaifinesin, Vitamin D, Memantin, Mirtazapin, Oxytocin Nasenspray, Melatonin, Nalrexon, topisches Capsaicin und Esreboxetine sowie der Kombination von Pregabalin und Duloxetin. Eine Empfehlung hingegen erhalten Amitryptilin, Duloxetin, Pregabalin und Quetiapin mit Einschränkungen. Die Anwendung erfolgt im Rahmen eines Off-label-use. Keine der Substanzen hat eine Zulassung beim FMS.
Ein Artikel von Matthias Bastigkeit.
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