Ein Kunde möchte Spritzen und Pipetten haben. Nicht für sich, er will einen Igel aufpäppeln. Ich rate ihm zur Vorsicht. Denn die ach so niedlichen Tiere können viele Erreger im Gepäck haben. Ein paar davon sind sogar tödlich.
Kürzlich kam wieder einmal ein Kunde zu uns, der Spritzen oder Pipetten haben wollte, um einen Igel mit Katzenmilch aufzupäppeln. Das hatte er natürlich vorher im Internet gelesen. Ich gab ihm den Tipp, den Igel auf Flöhe zu untersuchen, bevor er ihm eine gemütliche Schlafecke im Wohnzimmer einrichtet. Der Kunde reagierte erschrocken: „Sowas können die haben?“ Oh ja, können sie.
Und Igel haben noch so einige andere unappetitliche Mitbewohner, darunter Lungenwürmer, Milben und Zecken. Was ich aber erst mit ein wenig Recherche herausbekam und noch viel übler ist: Die possierlichen Tierchen beherbergen unter ihrem Stachelkleid auch Chlamydien, Salmonellen, MRSA und Corynebacterium ulcerans, einen engen Verwandten des Diphtherie-Erregers.
Und doch sind sie so putzig anzuschauen, diese dicken, kurzbeinigen und knopfäugigen Schneckenfresser, über die sich jeder Gartenbesitzer freut. Auch ich habe in der Vergangenheit Igel mit bloßer Hand von der Straße geholt und zu sicheren Orten getragen. Und bis zur letzten Woche hätte ich das sicher weiter so gemacht. Heute würde ich diese Tiere noch immer in Sicherheit bringen, aber mit Handschuhen. Und mein kleiner Sohn dürfte ganz sicher keinen davon knutschen, weil er ihn so toll findet. Ich wäre da absolut für einen Sicherheitsabstand mit gründlichem Händewaschen im Anschluss.
Bei meiner kurzen Suche für unseren Kunden, den ich ja schon mit den vergleichsweise harmlosen Flöhen erschreckt hatte, stieß ich im Netz auf eine aufschlussreiche Studie. Folgende potentiell auf den Menschen übertragbare Erreger fanden sich auf 95 Igeln, die bei Hannover unterwegs waren: Salmonellen, Leptospiren, Listerien, Chlamydien und MRSA. Weitere Quellen sprechen von verschiedenen anderen übertragbaren Pilzen, Viren und Parasiten.
Jeder Erreger für sich kann bei einer Übertragung auf den Menschen sehr unangenehm bis sehr gefährlich sein. Das ist durchaus schon durch bloßen Hautkontakt möglich. Corynebacterium ulcerans ist zum Beispiel in der Lage, beim Menschen diphterieartige Symptome speziell der Haut und des respiratorischen Systems hervorzurufen. Das Robert-Koch-Institut beschreibt den Verlauf einer respiratorischen Infektion folgendermaßen:
„Die klassische respiratorische Diphtherie der Tonsillopharyngeal-Region (Tonsillen-/Rachendiphtherie) beginnt meist allmählich mit Halsschmerzen, Temperaturen bis zu 39 °C und Schluckbeschwerden. Später kommt es zu Heiserkeit, Stridor, Gaumensegellähmungen und Schwellungen der vorderen Halslymphknoten. Es entsteht klassischerweise innerhalb von 2-3 Tagen eine Tonsillitis/Pharyngitis mit grau-weißen oder bräunlichen Pseudomembranen, die oft die Tonsillen überschreiten und sich auf Gaumen und Uvula, unter Umständen auch bis zum Kehlkopf, ausbreiten können. Die Beläge sind meist blutig tingiert und haften fest. Bei dem Versuch, die Membranen zu entfernen, kommt es häufig zu Blutungen. Als charakteristisch wird ein süßlicher Foetor ex ore beschrieben (…). Die Letalität der respiratorischen Diphtherie liegt bei 5-10 %. Bei Kindern < 5 Jahren und Erwachsenen > 40 Jahren kann sie 20-40 % betragen.“
Die Hautdiphtherie äußert sich vor allem in Läsionen mit schmierigen Belägen. Man kann über diese Infektionsherde sich selbst und andere mit der respiratorischen Form anstecken.
Dass diese Erkrankung von Tieren auf den Menschen übertragbar ist, ist unstrittig und schon häufig vorgekommen. Eine spezifische Vakzine dagegen gibt es noch nicht, die Impfung gegen Diphtherie ist jedoch zur Vorbeugung besser als nichts. Sie kann wohl die Symptome abmildern. Bei einer sicheren Exposition wird präventiv antibiotisch behandelt. Ansteckend ist aber nicht nur der Igel, auch (Wild-)Schweine, Rinder, Hunde und Katzen können die Verwandte der Diptherie übertragen. Das gilt auch für unpasteurisierte Milch. Die Inkubationszeit nach Tröpfcheninfektion oder Hautkontakt zu einer Läsion beträgt zwei bis maximal zehn Tage.
Was rate ich nun dem schon wegen der potenziellen Flöhe verschreckten Kunden? Am besten für alle Beteiligten ist es, wenn sich professionelle Helfer um verletzte Wildtiere kümmern, denn die haben Erfahrung und wissen, wie den Tiere richtig und sicher geholfen werden kann. Ich drucke dem tierlieben Kunden also die passende Adresse der nächsten Igelhilfe aus und erwähne, dass das Tier nur mit Handschuhen angefasst werden soll. Kinder halten besser Abstand. Sicher ist sicher …
Bildquelle: Liudmyla Denysiuk, Unsplash