Gesetzliche Krankenkassen lassen nicht locker. Sie fordern von Apothekern, die Nichtlieferfähigkeit beim Hersteller zu dokumentieren. Obskure Retaxfälle häufen sich ebenfalls. Jetzt warten Kollegen gespannt auf ein salomonisches Urteil der Schiedsstelle – und auf politische Hilfe.
Eine neue Forderung der DAK-Gesundheit stößt Apothekern sauer auf. Erhalten sie Arzneimittel aufgrund von Lieferengpässen nicht, reichte früher die Sonder-PZN 02567024 aus. Stichproben bei mehreren Rechenzentren ergaben, dass rund fünf Prozent aller GKV-Rezepte diese Ziffernfolge tragen. Wer auf Nummer sicher gehen wollte, legte noch einen Ausdruck des Großhandels mit dazu. Bei DAK-Versicherten müssen sich Kollegen vom Hersteller die Nichtlieferfähigkeit bescheinigen lassen. Ansonsten drohen Retax-Keulen.
Schön und gut – in der Praxis zeigen sich die Schwächen dieser Regelungen. Apotheker sind nur selten mit der Industrie in direktem Kontakt. Ihnen bleibt, mehrere Ansprechpartner durchzutelefonieren, was nur bedingt zum gewünschten Erfolg führt. Fachabteilungen geben nicht immer Auskunft, wann ein bestimmtes Präparat beim Großhändler vor Ort eingegangen ist. Grossisten kennen entsprechende Schwierigkeiten aber recht genau und wären eine bessere Quelle. „Mit der neuen Forderung werden den Apotheken zusätzliche bürokratische Hürden aufgebürdet, nur um sich vor einer Bezahlung der Arzneimittel zu drücken“, kritisiert die Freie Apothekerschaft in einer Mitteilung. „Leidtragende sind und bleiben die Patienten, die nicht umgehend versorgt werden können.“
Damit ist es nicht getan. Negative Schlagzeilen um die DAK-Gesundheit reißen nicht ab. Eine Fachabteilung forderte von Apothekern, Sprühköpfe für Rezepturen zu reinigen und erneut zu verwenden – trotz triftiger Gegenargumente. Weder die Dosiergenauigkeit noch die Hygiene entsprechen Vorgaben zur guten Herstellungspraxis. Trotzdem scheiterte der Kollege mit seinem Einspruch. Bei Rezepturen wurden horrende Beträge von einem Cent retaxiert. Weitere Maßnahmen bezogen sich auf Stückelungen im Normbereich, auf pharmazeutische Bedenken oder auf fehlerhafte Angaben von Ärzten. Laut Befragungen des IFH Institut für Handelsforschung wurden 29 Prozent aller retaxierten GKV-Rezepte aufgrund von Formfehlern beanstandet – nicht aufgrund von pharmazeutischen Fehlern. Kollegen fordern, in diesem Falle sollte zumindest der Einkaufswert erstattet werden. Alle Interviewten wünschen sich, dass Politiker Lösungsansätze liefern, um drakonische Maßnahmen der Kasse bei Formfehlern zu vermeiden. Genau das ist eigentlich schon gesehen.
In Berlin sind die Sorgen retaxgeplagter Apotheker auf fruchtbaren Boden gefallen. Bereits 2014 erblickte ein Referentenentwurf zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz das Licht der politischen Welt. Darin heißt es: „Zur Vermeidung unsachgemäßer Retaxationen bei der Abrechnung abgegebener Arzneimittel in Apotheken werden die Partner der Rahmenverträge nach § 129 Absatz 2 SGB V verpflichtet, vertraglich die Fälle festzulegen, in denen eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt.“ Sogar eine Zielvorgabe verankerte Schwarz-Rot im Gesetz: den 1. Januar 2016. Weit vor dieser Deadline kapitulierten der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband. „Wie jeder weiß, ist der Apothekerverband beim Aushandeln der Lieferverträge mit den Krankenkassen nur Befehlsempfänger. Wenn aber diese Verträge dazu führen, dass Versicherte nicht versorgt werden können wegen einiger Cent, auf die die Krankenkasse bei der Nichtabgabe des Rabattarzneimittels verzichten muss, dann hat die Selbstverwaltung versagt und die Politik muss handeln,“ so Dr. Helma Gröschel, erste Vorsitzende der Freien Apothekerschaft. Jetzt ist die Schiedsstelle am Zuge. Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK), erwartet ihr salomonisches Urteil noch im Frühjahr 2016. Über den Ausgang will niemand spekulieren. Bislang fanden zwei Gesprächsrunden statt, ohne dass von durchschlagenden Erfolgen die Rede sein könnte.
Hilfe naht von unerwarteter Seite. Apotheker Wolfram Schmidt sprach mit Dr. Roy Kühne (CDU), Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Goslar-Northeim-Osterode. Kühne besuchte den Inhaber der Mühlen-Apotheke in Northeim kurz darauf beim Notdienst. „Es waren einige Personen am Sonntag mit dabei, die nicht korrekt ausgestellte Verordnungen in der Apotheke vorlegten“, so Kühne. „Aber was soll die Apotheke in dieser Situation tun – dem Patienten das vielleicht sogar dringend benötigte Medikament nicht geben oder in Kauf nehmen, dass das Medikament von der Krankenkasse eventuell nicht bezahlt wird?“ Dies sei keine befriedigende Situation; hier müsse „endlich gehandelt und eine eindeutige gesetzliche Regelung geschaffen werden“. Jetzt hat Kühne, seines Zeichens Berichterstatter für Heil- und Hilfsmittel sowie für nichtärztliche Gesundheitsberufe der Arbeitsgruppe Gesundheit in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Nägel mit Köpfen gemacht. In einem offenen Brief bitte er den Schiedsstellenvorsitzenden Dr. Rainer Hess um folgende Punkte:
Apotheker warten gespannt auf eine Antwort.