In den USA wurde Siponimod zur Therapie der Multiplen Sklerose zugelassen. Nach Ergebnissen der EXPAND-Studie konnte die Krankheitsprogression bei Patienten signifikant verlangsamt werden. Neurologen sind aber skeptisch.
Amerikanischen Ärzten steht mit Mayzent® (Siponimod) eine neue Therapieoption zur Verfügung. Das Präparat kann laut FDA-Zulassung bei sekundärer progressiver MS mit aktiver Erkrankung, bei schubförmig-remittierender MS und beim klinisch isolierten Syndrom verordnet werden. Auch in Europa wurde eine Zulassung bei der EMA beantragt.
Bei Multipler Sklerose greifen aus noch unbekannten Gründen körpereigene Abwehrzellen die Myelinscheiden von Nerven des zentralen Nervensystems an. Zu Beginn beobachten Neurologen das klinisch isolierte Syndrom (CIS) mit einzelnen Funktionsstörungen. Später manifestiert sich MS auf unterschiedliche Art und Weise. Rund 90 Prozent aller Patienten leiden an der schubförmig-remittierenden Form (RRMS). Hier führen Schübe zur Verschlechterung des Krankheitsbildes. Anfangs kommt es noch zur vollständigen Remission. Deutlich seltener sind der sekundär-progrediente Verlauf (SPMS) mit schleichender Verschlechterung und einzelnen Schüben bzw. der primär-progrediente Verlauf ohne erkennbare Krankheitsschübe. Rund 80 Prozent aller Patienten mit rezidivierend-remittierender MS entwickeln die sekundär-progressive Form.
Bislang gab es Novartis zufolge für diese spezielle Zielgruppe kaum Therapiemöglichkeiten. Bei Mayzent® handele es sich um die „erste und einzige speziell für Patienten mit aktiver sekundärer progressiver Multipler Sklerose zugelassene Behandlung seit über 15 Jahren.“ Das Pharmakon kommt in oraler Galenik zum Einsatz.
Die Zulassung basiert auf Daten der Phase-III-EXPAND-Studie, einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie, die von der Novartis Pharma AG finanziert wurde. Zwischen Februar 2013 und Juni 2015 wurden 1.651 Patienten nach dem Zufallsprinzip zwei Studienarmen zugewiesen: 1.105 erhielten Verum und 546 Placebo. 1.645 Patienten wurden in die Analysen einbezogen (1.099 in der Siponimod-Gruppe und 546 in der Placebo-Gruppe). Ihr Durchschnittsalter lag bei 48 Jahren, und Teilnehmer lebten etwa 16 Jahren mit MS.
Von ihnen hatten mehr als 50 Prozent einen mittleren EDSS-Grad (Expanded Disability Status Scale) von 6,0. EDSS-Grade spezifizieren den Schweregrad von Behinderungen bei MS. Die Skala reicht von 0,0 (normale neurologische Funktionen) bis 10,0 (Tod durch MS). Bei 6,0 benötigen Betroffene dauerhaft Hilfsmittel wie Krücken, um 20 Meter am Stück zurückzulegen.
Mayzent® verringerte das Progressionsrisiko nach drei Monaten signifikant um 21 Prozent gegenüber Placebo. Hier geht es um die Behinderung, gemessen am EDSS-Grad. Auch das bestätigte Fortschreiten der Erkrankung (CDP) wurde innerhalb von sechs Monaten um 26 Prozent gegenüber Placebo verringert. Die jährliche Rezidivrate ging um 55 Prozent zurück. Als häufigste Nebenwirkungen traten Kopfschmerzen, Bluthochdruck und ein Anstieg der Transaminase-Werte auf.
Siponimod geht von der Grundidee her auf das bekannte Fingolimod (Gilenya®) von Novartis zurück. Beide Pharmaka verdrängen das natürlich vorkommende Molekül Sphingosin-1-phosphat von Rezeptoren auf der Lymphozyten-Oberfläche. Viele Immunzellen bleiben in Lymphknoten zurück und können das ZNS nicht mehr attackieren.
Alle Unterschiede zu Placebo wurden während der EXPAND-Studie erfüllt, der Zulassung stand nichts mehr im Wege. Neurologen sehen die Studie allerdings nicht nur positiv. Kritik kommt von Luanne M. Metz, Forscherin am Department of Clinical Neurosciences and Hotchkiss Brain Institute der University of Calgary. Sie schreibt, der primäre Endpunkt, sprich die Verzögerung der EDSS- Progression nach drei Monaten, sei zu kurz gewählt worden.
Auch ein Blick auf absolute Unterschiede zeigt, wo Probleme auftreten könnten. Unter Placebo war MS nach drei Monaten bei 32 Prozent (173 von 545) aller Patienten nachweislich fortgeschritten, unter Verum kam es bei 26 Prozent (288 von 1.096) Personen zur Progression. Das heißt im Klartext: Nur knapp 6 von 100 Patienten profitieren vom Wirkstoff. Und bei alltagsrelevanten Einschränkungen wie der Gehgeschwindigkeit, gab es keine Unterschiede.
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