Mit Andexanet alfa steht erstmalig ein spezifisches Antidot gegen die Faktor-Xa-NOAKs Apixaban und Rivaroxaban zur Verfügung. Nun ist es möglich, schwere Blutungskomplikationen durch diese NOAKs antagonistisch aufzuheben. Wie gut ist das Antidot tatsächlich?
Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon prägen spätestens seit der Therapie von Präsident Eisenhower eine Ära der Antikoagulation. Generationen von Patienten erhielten faktisch Rattengift zur Blutverdünnung – mit Erfolg. Die Gefahr von Blutungskomplikationen war dabei aber nicht unerheblich. Dennoch sind solche gerinnungshemmenden Therapien heute in vielen Szenarien gar nicht mehr wegzudenken. Dazu gehört zum Beispiel die Prohpylaxe von Schlaganfällen bei Vorhofflimmern.
Einen Gegenspieler brauchte es trotzdem. Das Antidot Vitamin K beruhigte die Gemüter, auch wenn die Wirkung mit deutlicher Verzögerung eintritt. Jetzt steht mit Andexanet alfa zum ersten Mal ein spezifisches Antidot gegen Faktor-Xa-NOAKs zur Verfügung.
Als Gerinnungshemmer stehen neben Vitamin-K-Antagonisten die sogenannten NOAKs zur Verfügung. Bei Einführung der Substanzklasse stand dieses Akronym für „neue orale Antikoagulantien.“ Eine seit mehr als zwölf Jahren auf dem Markt befindliche Arzneistoffgruppe als „neu“ zu bezeichnen, trifft es allerdings nicht ganz. Deshalb steht das N nun, etwas holperig, für „nicht-Vitamin-K-abhängige.“ Als Alternative dazu hat sich auch der Begriff DOAK („direkte orale Antikoagulantien“) durchgesetzt.
An der Nomenklatur kann man den Wirkmechanismus erkennen. Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban tragen ein Xa im Namen, sie hemmen den gleichnamigen Faktor in der Gerinnungskaskade. Der vierte NOAK im Bunde ist Dabigatran. Er hemmt Faktor-IIa (Thrombin).
Der Vorteil der NOAKs ist die erheblich geringere Wirkdauer von 12 bis 24 Stunden. Vitamin K-Antagonisten wirken bis zu einer Woche nach Absetzen weiter. Für das NOAK Dabigatran steht bereits seit dem Jahr 2012 der monoklonale Antikörper Idarucizumab (Praxbind®) zur Verfügung.
Schlaganfall
Andexanet alfa (Ondexxya®)
Andexanet alfa wurde von Portola Pharmaceuticals entwickelt und erhielt im Februar 2015 in den USA den Status als Orphan-Drug. Am 3. Mai 2018 folgte die Zulassung durch die FDA (Food and Drug Administration).
Die Zulassung besteht für Patienten, die mit Rivaroxaban oder Apixaban behandelt werden, wenn eine Beendigung der Gerinnungshemmung wegen lebensbedrohlicher oder unkontrollierter Blutung dringend erforderlich ist.
Erstes Antidot bei Blutungen unter Faktor-Xa-Hemmern (Rivaroxaban, Apixaban).
In seiner letzten Sitzung hat der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) die Zulassung des Faktor-Xa Antidots Andexanet alfa (Ondexxya®) empfohlen.
Eine Studie von Shah et al. sieht einen erheblichen Stellenwert für die Antidote der NOAKs.
Wie bereits zuvor die FDA fordert auch der CHMP, die Zulassung von Andexanet alfa an Bedingungen zu knüpfen. So soll der Hersteller nach der Zulassung weitere Studien („Post-Approval-Study“) zur Sicherheit vorlegen.
Andexanet alfa ist ein rekombinantes, modifiziertes, enzymatisch-inaktives Faktor-Xa-Analogon.
Die Ergebnisse der ANNEXA-4-Studie belegen die Effektivität und Sicherheit des Notfallmedikamentes.
Die Studie wurde in Nordamerika und Europa durchgeführt. Sie schloss 352 Patienten ein, bei denen es innerhalb von 18 Stunden nach der letzten Einnahme eines Faktor-Xa-Inhibitor zu einer schweren Blutungskomplikation gekommen war. Die Teilnehmer waren durchschnittlich 77 Jahre alt und litten in 80 Prozent der Fälle an Vorhofflimmern und/oder hatten andere kardiovaskuläre Vorerkrankungen.
194 Patienten erhielten Apixaban, 128 Rivaroxaban, 10 Edoxaban und 20 Enoxaparin. 227 Patienten hatten zerebrale und 90 gastrointestinale Blutungen. Sie erhielten intravenös einen Andexanet-Bolus mit anschließender Andexanet-Infusion über zwei Stunden. Eine Kontrollgruppe mit Placebo wurde aus ethischen Gründen nicht angelegt. Es gab zwei untersuchte Endpunkte: den Anteil an Patienten mit effektiver Blutstillung 12 Stunden nach Infusionsende sowie die gemessene prozentuale Änderung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität.
Nach der initialen Andexanet-Gabe fiel die Anti-Faktor-Xa-Aktivität um 92 Prozent ab. Klinisch wurde bei 82 Prozent der ausgewerteten Patienten (204 von 249) eine sehr gute bis gute Blutstillung erreicht. Bei der Nachbeobachtung verstarben innerhalb von 30 Tagen 14 Prozent der Patienten. Bei 35 der 49 Patienten kam es zu einem Tod durch ein kardiovaskuläres Ereignis.
Portola Pharmaceuticals, Bristol-Myers Squibb und Pfizer geben jetzt die vollständigen Ergebnisse des zweiten Teils der Phase-III-Studie ANNEXATM-A („Andexanet Alfa a Novel Antidote to the Anticoagulant Effects of FXa Inhibitors – Apixaban“) bekannt. In dieser zulassungsrelevanten Studie wurden die Verträglichkeit und Wirksamkeit des Antidots Andexanet alfa bei gesunden Probanden im Alter von 50 bis 75 Jahren untersucht. Es wird als intravenöser Bolus, gefolgt von einer kontinuierlichen Infusion über zwei Stunden, verabreicht.
Im zweiten Teil der Studie wurden alle primären und zuvor festgelegten sekundären Endpunkte erreicht. Andexanet alfa führte zu einer raschen Aufhebung des antikoagulatorischen Effekts von Apixaban. Andexanet alfa war gut verträglich, es wurden keine schweren unerwünschten Ereignisse, thrombotische Ereignisse oder Antikörperbildung gegen Faktor-X oder -Xa verzeichnet.
Leichte Infusionsreaktionen wurden bei sechs Probanden beobachtet: vier im Andexanet-Arm und zwei im Placebo-Arm. Keiner der Studienteilnehmer brach die Therapie aufgrund unerwünschter Ereignisse ab.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) wertet die Studienergebnisse im Hinblick auf die Wirksamkeit von Andexanet alfa positiv: „Insgesamt dürfte Andexanet alfa die Therapie mit einem Faktor-Xa-Inhibitor künftig noch sicherer machen.“
Die Zulassung bezieht sich vorerst nur auf die zwei NOAKs Apixaban und Rivaroxaban. Vermutlich war die Zahl der mit Edoxaban behandelten Patienten zu gering. Es ist anzunehmen, dass hier weitere Studien erfolgen.
Für die FDA hat Andexanet alfa bereits den Status einer bahnbrechenden Therapie („Breakthrough Therapy“) erreicht.
Die Pharmazeutische Zeitung hat im Jahr 2016 den Wirkstoff Idarucizumab mit der höchsten Bewertung geehrt: Sprunginnovation. Dieses Antidot hebt die Wirkung des direkten Thrombininhibitors Dabitatran auf.
Andexanet alfa ist das erste Antidot, das für die Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban und Apixaban zugelassen ist. Dies wertet den Sicherheitsaspekt erheblich auf. Bisher stand als Gerinnungsaktivator lediglich Tranexamsäure zur Verfügung. Diese ist wirksam, aber agiert unspezifisch. Es bleibt zu hoffen, dass auch für Edoxaban eine Zulassung erteilt wird.
Mit Ciraparantag steht demnächst ein drittes Antidot zur Verfügung, das als kationisches Molekül alle NOAKs inhibiert und auch die Wirkung von Heparin aufheben soll. Mit diesem Trio an Antidoten wird die Therapie mit NOAKs noch sicherer.
Bildquelle: flickr, Andrew Wilkinson