Manuela Schwesig steht wegen ihrer Schirmherrschaft für den Homöopathie-Kongress aktuell in der Kritik. Sie ist aber nicht die erste Politikerin, die trotz fehlender Evidenz ihren Namen für die Alternativmedizin hergibt. Auffälligerweise passiert so etwas vor allem in Zeiten des Wahlkampfs.
Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, ließ noch nie ein Fettnäpfchen aus. Aktuell geht es aber weder darum, dass sie als Sozialdemokratin ihr Kind auf die Privatschule schickt, noch um ihren früheren Vorschlag, Eltern bei Wahlen eine zusätzliche Stimme zu geben. Die Politikerin wagt sich nun in gesundheitliches Terrain vor – und erntet Kritik in nicht gerade homöopathischer Dosis.
Einfach mal was behaupten
Denn Schwesig ist jetzt Schirmherrin des Deutschen Ärztekongresses für Homöopathie 2019 in Stralsund. Im Grußwort geht es gleich richtig zur Sache: „Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die sich mit der Homöopathie beschäftigen und in ihrer täglichen Praxis anwenden, nimmt stetig zu. Das ist Ausdruck der zunehmenden Akzeptanz der Methodik der Homöopathie.“ Beide Aussagen bezweifle ich stark: Welche Statistik belegt, dass sich mehr und mehr Ärzte dem wirkstofffreien Zucker zuwenden? Und wer wittert hier gleich Akzeptanz? Das Gegenteil ist der Fall.
„Homöopathie nicht besser als Placebo“
Dazu einige Beispiele. Der HNO-Arzt Dr. Christian Lübbers schreibt auf Twitter: „Wissen Sie nicht, dass bereits bestens erforscht ist, dass Homöopathie nicht besser als ein Placebo wirkt?“ Er hatte vor zwei Jahren Globuli aus dem Gehörgang eines vierjährigen Kindes entfernt. Viel kommentiert und diskutiert wurde ein Tweet von Wetter-Experte Jörg Kachelmann, der schrieb: „Wenn PolitikerInnen sich aktiv gegen die Erkenntnisse von Naturwissenschaften und Medizin wenden, werden sie unwählbar für Menschen, die bei Trost sind.”
Zu ähnlichen Einschätzungen kommen Experten des Informationsnetzwerks Homöopathie. In einem offenen Brief erklären sie Schwesig nicht nur die wissenschaftliche Lage. Vielmehr verweisen sie auf Australien, Frankreich, Spanien und auf die USA. In den Ländern wollen Politiker die Homöopathie aus dem öffentlichen Gesundheitswesen verdrängen.
Über Schwesigs Ausrutscher darf dann auch mal gelacht werden – eine Aufgabe für das NDR-Klamaukformat „Extra3“: „Was haben Homöopathie und SPD gemeinsam?", so die getwitterte Frage. "Beides wird in nur sehr geringen Dosen eingesetzt und an eine Wirkung muss man schon sehr stark glauben.“
In schlechter Tradition
Dass Gesundheitspolitiker derart danebengreifen, ist kein Einzelfall. Bereits im Jahr 2016 war die Bremer Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) Schirmherrin einer Tagung des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte. Sie ließ sich selbst vom Programm nicht abschrecken. Vorträge befassten sich mit einer ominösen „Quellenmethode“. Hier greifen Homöopathen angeblich auf das im Unbewussten eines Menschen verankerte Wissen zurück, um das passendste homöopathische Präparat auszuwählen. Begriffe wie „Quantenvakuum“ und „Feinstofflichkeitsforschung“ klingen auch beeindruckend, obwohl sie niemand in der quantenmechanischen Fachwelt kennt.
Davon ließ sich Quante-Brandt nicht abschrecken – trotz des Drucks von Parteigenossen oder Ärzten. Eine Online-Petition gegen die Senatorin, die heute noch über Archive abrufbar ist, fand regen Zulauf. Doch die Senatorin blieb bei ihrer Linie.
Andere Politiker folgten dem schlechten Vorbild. So konstatierte Norbert Bischoff (SPD), Minister für Arbeit und Soziales in Sachsen-Anhalt, bereits 2015 in seinem Grußwort zum Homöopathie-Kongress in Köthen: „Vor zweihundert Jahren lebte und arbeitete hier Dr. Samuel Hahnemann und verfasste grundlegende wissenschaftliche Werke, die in ihrer Bedeutung nichts verloren haben.“ Und Heike Taubert (SPD), Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit in Thüringen, schrieb: „Die Homöopathie findet zunehmend Akzeptanz bei Fachleuten.“ Jahr für Jahr fabulieren Politiker wohlwollend über die Homöopathie. Wie kann das sein?
Gezieltes Kalkül – nicht „nur“ Unwissenheit
Was Schwesig, Quante-Brandt und weitere Politiker von der Homöopathie halten, ist nicht bekannt. Als gesundheitspolitische Experten sollten sie zumindest die zentralen Kritikpunkte, sprich fehlende randomisierte kontrollierte Studien und Effekte auf Placebo-Level, kennen. Ich unterstelle beiden Schirmherrinnen auch kein fehlendes Wissen, sehe aber taktisches Kalkül.
Schwesigs Medienteam schreibt in einer Pressemitteilung, 75 Prozent der Deutschen wünschten sich eine Integrative Medizin, also „ein Miteinander von konventioneller Medizin und ergänzenden Methoden wie Naturheilkunde und Homöopathie.“ Quelle sei eine repräsentative Befragung von Kantar TNS aus 2018. Hier kommen wir der Sache schon näher. Homöopathie ist ungeachtet von fehlenden Evidenz populär. Wer sich im zweifelhaften Lichte solcher Kongresse sonnt, bekommt mit Sicherheit ein paar zusätzliche Stimmen. Die Europawahl steht ja vor der Tür.Bildquelle: Joe Allen, flickr