Aus Sicht der Ärzte hatte die junge Engländerin keine Überlebenschance mehr: Für ihre Infektion mit Superbugs gab es keine gängigen Behandlungsoptionen. Doch durch den Einsatz einer bisher ungetesteten Phagentherapie überlebte die Patientin.
Wissenschaftler haben erstmals gentechnisch modifizierte Bakteriophagen eingesetzt, um eine Infektion mit Superbugs, also antibiotikaresistenten Keimen, zu behandeln. Nachdem alle Versuche von Ärzten, die 17-jährige Isabelle Carnell-Holdaway zu behandeln, gescheitert waren, machte die Engländerin einen mutigen Schritt. Sie begann mit einer experimentellen Therapie, die schnell anschlug.
Bei Carnell-Holdaway wurde im Alter von elf Jahren Mukoviszidose diagnostiziert. Es kam eine Infektion mit dem Mycobacterium abscessus hinzu. Nach einer notwendigen beidseitigen Lungentransplantation im Alter von 15 oder 16 Jahren (Die Angaben von NPR und BBC widersprechen sich hier) wurde die mittlerweile chronische Entzündung lebensbedrohlich. Während sie sich von der Transplantation im Great Ormond Street Hospital in London erholte, breitete sich die bereits existierende chronische Infektion schnell im ganzen Körper aus. Die antibiotikaresistenten Bakterien infizierten ihre Leber, die Lungen und die Operationswunde und verursachten Hautläsionen. Alle Behandlungsversuche blieben ohne Erfolg.
„Wir haben schon bei mehreren dieser Patienten transplantiert, sobald es bei ihnen zu Rezidiven der Infektion kam, war der Verlauf tödlich“, wird Helen Spencer in einem Beitrag des US-amerikanischen Senders National Public Radio (NPR) zitiert. Sie gehört zum Team der behandelnden Ärzte von Carnell-Holdaway. „Ich war am Boden zerstört“, erzählt die Mutter der Patientin, und bat Spencer und ihre Kollegen, Graham Hatfull zu kontaktieren. Er ist Professor der biologischen Wissenschaften an der University of Pittsburgh und hat sich auf die Erforschung von Phagen spezialisiert.
Hatfull verfügt über eine Sammlung von über 15.000 Phagen. Mit seinem Team identifizierte er drei Bakteriophagen, die sich eignen könnten, um M. abscessus anzugreifen. Die Forscher genmodifizierten die Phagen in einer Weise, von der sie sich erhofften, dass sie das Bakterium abtöten könnte. „Durch die Anwendung der Technik konnten wir die drei Phagen zusammenführen und zu einem Cocktail kombinieren, um damit eine Behandlung zu ermöglichen. Diese Phagen infizieren nicht nur die Bakterien, sie töten sie effizient ab“, erzählt Hatfull.
Im Juni 2018 startete das Experiment: Die Ärzte im Londoner Krankenhaus gaben der Patientin zwei Mal täglich eine Infusion mit etwa einer Milliarde Phagen und trugen zusätzlich den Cocktail auf ihren Hautläsionen auf. Ab diesem Zeitpunkt wurde die junge Engländerin von den Ärzten sehr aufmerksam beobachtet. „Es gibt viele Dinge, über die man sich Sorgen macht. Die erste Frage war: Passiert etwas gutes, passiert nichts oder etwas schlechtes?“, erinnert sich Hatfull. Es konnten aber keine Nebenwirkungen festgestellt werden. Die Infektion begann innerhalb weniger Wochen zurückzugehen. Seitdem hat sich der Zustand von Carnell-Holdaway immer weiter verbessert. Im Artikel von NPR ist eine Vorher-Nachher-Abbildung der Leber aus dem Great Ormond Street Hospital zu sehen, die einen nahezu vollständigen Rückgang der Infektion zeigt.
Zwar war der Einsatz dieser neuen Methode erfolgreich, Spencer bleibt trotzdem realistisch. „Die Behandlung hat sie nicht geheilt. Ich glaube, es ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein. Aber sie lebt und das ist ganz außergewöhnlich.“ Nach wie vor erhält die Patientin zweimal täglich Phageninfusionen, auch die verbleibenden Läsionen werden mehrmals täglich mit dem Cocktail eingerieben, um die Infektion unter Kontrolle zu halten.
Ihr gesundheitlicher Zustand hat sich aber dermaßen verbessert, dass sie größtenteils zu einem normalen Tagesablauf zurückkehren konnte und auch wieder zur Schule geht. In einem Nature-Artikel, der gestern veröffentlicht wurde, betonen Ärzte und Forscher allerdings, wie schwer es ist, allgemeine und sichere Aussagen zu tätigen, weil es sich bislang um einen Einzelfall handelt. Dennoch sehen sie in der innovativen Behandlungsform eine Chance, es künftig mit Superbugs und Antibiotikaresistenzen aufzunehmen.
Hatfull und andere Kollegen, die auf dem Gebiet der Phagen forschen, betonen, wie wichtig weitere wissenschaftliche Arbeit in ihrem Bereich ist. Nur so lässt sich die These bestätigen, dass der Einsatz von Phagen und genetisch modifizierten Phagen im Speziellen nicht nur funktioniert, sondern auch sicher ist. Schließlich bestehe immer die Möglichkeit, dass es durch das Eindringen eines neuen Organismus zu unvorhergesehenen Nebenwirkungen oder Abstoßreaktionen kommt.
Die Suche nach optimalen Phagen für die jeweilige Infektion ist angesichts der großen Vielfalt an Erregern ein aufwendiges Unterfangen. Um fündig zu werden, können Monate der Forschung nötig sein. Hatfull hofft auf große Fortschritte auf diesem Gebiet: „Die Anwendung von Phagen scheint derzeit die vielversprechendste Alternative zu Antibiotika zu sein.“
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