Immer mehr Kinder erkranken europaweit an Typ-1-Diabetes. Forscher könnten jetzt eine denkbar einfache Methode zur Eindämmung der Krankheit entwickelt haben. Gehört Typ-1-Diabetes damit bald der Vergangenheit an?
Bei Diabetes denken Ärzte, aber auch Patienten, meistens an Typ 2 der Stoffwechselerkrankung. Und das nicht ohne Grund: Erst vor wenigen Wochen veröffentlichten Forscher des Deutschen Diabetes-Zentrums neue Simulationen. Demnach sollen in 20 Jahren bis zu zwölf Millionen Menschen in Deutschland an Typ-2-Diabetes erkrankt sein. Dies entspricht einem Anstieg um bis zu 77 Prozent zwischen 2015 und 2040.
Nur allzu gerne wird übersehen, dass bei Typ-1-Diabetes die Fallzahlen auch nach oben gehen, wie aktuelle Daten aus 26 europäischen Zentren zeigen. Demnach erhöht sich die Inzidenz um drei bis vier Prozent pro Jahr. Rund 32.000 Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren leiden an dieser Form. Doch Hoffnung naht: Vielleicht verhindern in wenigen Jahren ein paar Pillen, dass Typ-1-Diabetes ausbricht. Wie soll das gehen?
Lehren aus der Erdnuss
Dazu ein Blick auf Vorgänge im Körper. Typ-2-Diabetes geht oft mit Insulinresistenz einher: Die Bauchspeicheldrüse produziert zwar Insulin, aber das Hormon wirkt in periphären Geweben nur noch schwach oder gar nicht mehr. Anders sieht die Sache bei Typ-1-Diabetes aus. In jungen Jahren greifen die T-Zellen des eigenen Immunsystems insulinproduzierende Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse an. Heute bewerten Forscher Typ-1-Diabetes als Autoimmunerkrankung.
Als Antigen tritt Insulin in Erscheinung. Schließlich kommt es zum absoluten Insulinmangel. Autoreaktive T-Zellen, die sich gegen körpereigene Antigene richten, werden durch regulatorische T-Zellen in ihrer Aktivität gehemmt. Wissenschaftler vermuten, dass es zu Typ-1- kommt, falls dieses Gleichgewicht außer Takt gerät.
Autoimmunerkrankungen treten häufig auf und viele Forschungsprojekte befassen sich mit Möglichkeiten zur Prävention. Eine recht bekannte Studie zu Lebensmittelallergien wies Forschern den Weg. George Du Toit vom King's College London rekrutierte 640 Säuglinge im Alter von vier bis elf Monaten mit schwerem Ekzem bzw. mit Allergie auf Hühnerproteine. Die kleinen Probanden erhielten randomisiert entweder Erdnuss-Produkte oder ein vergleichbares, erdnussfreies Lebensmittel. Im Alter von 60 Monaten hatten 1,9 Prozent in der „Erdnuss-Gruppe“ versus 13,7 Prozent in der „Vermeidungsgruppe“ Allergien gegen das Lebensmittel entwickelt. Die Autoren vermuten, dass die Resorption geringer Proteinmengen über die Schleimhäute ausreicht, um das Immunsystem von Neugeborenen an das Erdnussprotein zu gewöhnen.
Insulin, heute mal zum Schlucken
Könnte man ähnliche Experimente auch mit Insulin durchführen? Ezio Bonifacio vom DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden fand 25 Kinder mit unauffälligem Blutbild, aber mit erhöhtem Typ-1-Diabetesrisiko. Sie erhielten randomisiert drei bis 18 Monate lang einmal täglich oral Insulin (n = 15) oder Placebo (n = 10). Zur Erinnerung: Diese Form des Insulins wirkt nicht blutzuckerspiegelsenkend, sondern soll das Immunsystem des Körpers trainieren.
67,5 mg Insulin führten im Vergleich zu Placebo zur Bildung insulinspezifischer regulatorischer T-Zellen, was auf eine Immuntoleranz hinweist. Hypoglykämien traten nicht auf, weil Insulin im Magen-Darm-Trakt schnell gespalten wird. Ältere Arbeiten, etwa „Diabetes Prevention Trial-Type 1“ oder die Trial-Net-Oral-Insulin-Studie kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Generell macht es nur Sinn, Insulin zu geben, falls das Typ-1-Diabetesriskiko erhöht ist. Das heißt, neben der Präventionsstrategie braucht man Screenings.
Risikopatienten identifizieren
Früher arbeiteten Kinderärzte vor allem mit der Familienanamnese. Das klappte nie gut, denn nur zehn Prozent aller Patienten haben erkrankte Verwandte ersten Grades und weitere zehn Prozent betroffene Verwandten zweiten Grades. Schon vor Jahren fanden Wissenschaftler aber heraus, dass es verräterische Antikörper im Blut gibt, weit bevor die Stoffwechselerkrankung ausbricht. Dazu zählen Insulinautoantikörper (IAA), Glutamatdecarboxylaseautoantikörper (GADA), Antikörper gegen das insulinassoziierte Antigen 2 (IA-2A) sowie Zinktransporter-8-Antikörper (ZnT8A). 50 Prozent aller Kinder mit mehreren dieser Antikörper im Blut erkranken innerhalb von fünf Jahren an Typ-1-Diabetes. Innerhalb von zehn Jahren sind es sogar 80 Prozent.
Auch im Erbgut gibt es verräterische Spuren. Bonifacio hat zusammen mit Kollegen einen Test mit 41 Risikoregionen evaluiert. Sie nutzten Daten der prospektiven TEDDY-Studie (The Environmental Determinants of Diabetes in the Young) mit mehr als 3.000 Kindern ohne familiäres Typ-1-Diabetesrisiko. Mit ihrem Score konnten sie Kinder mit mehr als zehnprozentigem Risiko, bis zum sechsten Geburtstag ein frühes Stadium des Typ-1-Diabetes zu entwickeln, identifizieren. Zum Vergleich: Im Bevölkerungsdurchschnitt sind es 0,4 Prozent.
Aus der Forschung in die kinderärztliche Praxis
Es gibt Labortests, um Kinder mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko zu identifizieren. Und es gibt Therapiemöglichkeiten, die sich noch im experimentellen Stadium befinden. Damit sind zentrale Voraussetzungen für Prävention und Therapie von Typ-1-Diabetes erfüllt. Um zu klären, ob das Konzept unter evidenzbasierten Gesichtspunkten funktioniert, laufen derzeit mehrere europaweite Studien.
Im Rahmen von Freder1k sollen zum Beispiel mehr als 33.000 Neugeborene auf erhöhte Typ-1-Diabetes-Risiken untersucht werden. Finden Ärzte Marker im Erbgut, bieten sie Eltern an, ihre Kinder in die POInT-Studie aufzunehmen. Kleine Probanden erhalten bis zum Alter von drei Jahren randomisiert Insulin oder Placebo. Nachuntersuchungen schließen sich bis zum Alter von 7,5 Jahren an. Läuft alles gut, könnten Tests und präventive Insulingaben Teil der Regelversorgung werden.
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