Vor kurzem gelang es Forschern, in toten Schweinehirnen Aktivitätssignale zu erzeugen. Die dazu publizierte Studie löste eine kontroverse Diskussion um den Hirntod und seine Feststellung aus. Hat das in der Zukunft Auswirkungen auf intensivmedizinische Maßnahmen?
Beim ischämischen Schlaganfall kommt es zur Minderdurchblutung unseres Gehirns durch Gefäßverschlüsse. Geht der Sauerstoff zur Neige, verschwindet unser Bewusstsein innerhalb von Sekunden. Die zellulären Energiespeicher sind innerhalb von Minuten erschöpft. Ohne medizinische Intervention kommt es zum Hirntod. An diesen bekannten Fakten rütteln Forscher der Yale School of Medicine, New Haven, mit einer Nature-Veröffentlichung. DocCheck berichtete bereits über diese Veröffentlichung. Die kontroverse Diskussion hat uns dazu veranlasst, nochmal auf das Thema einzugehen.
Zvonimir Vrselja und ihre Kollegen arbeiteten nicht – wie man vermuten würde – mit Tieren aus dem Labor, sondern besorgten sich für Vorversuche rund 300 Schweineköpfe aus dem Schlachthof. Die Tiere wurden getötet und geköpft. Später präparierten Forscher 32 Gehirne auf Eis und schlossen Blutgefäße an ihre eigens konstruierte Perfusionsmaschine BrainEx an. Ihre zellfreie Perfusionsflüssigkeit enthielt unter anderem Hämoglobin, Nährstoffe und Elektrolyte. Gleichzeitig sorgten Pumpen, Filter und Heizelemente für die nötigen Bedingungen.
Zwischen dem Schlachten und der experimentellen Durchblutung vergingen rund vier Stunden. Tatsächlich verlangsamte sich die Zerstörung der Zellen im Schweinegehirn. Biologische Strukturen seien über Stunden stabil geblieben, berichten die Autoren. Vereinzelt detektierten sie auch synaptische Aktivitäten. Die Ethikkommission hatte vorher intrakranielle EEG-Messungen verboten. Das heißt, Details zur neuronalen Aktivität sind derzeit unklar.
Vrseljas Veröffentlichung klingt zunächst spektakulär. Ein Blick in die Literatur zeigt aber, dass die Ergebnisse nicht wirklich überraschen. Bereits 1970 berichteten Wissenschaftler, dass Gehirne von Katzen nach einstündiger Ischämie und Reperfusion wieder Aktivität im EEG zeigen. Die Tiere waren aber tot und blieben tot. Ähnliche Befunde machten Forscher bei Rhesusaffen.
Trotzdem reagiert Nature auf Vrseljas Paper mit einem recht offensiven Kommentar. Es gibt keinen Beleg für die Art von neuronaler Aktivität, die üblicherweise mit dem Bewusstsein assoziiert wird“, schreiben Stuart Youngner und Insoo Hyun von der Case Western Reserve University School of Medicine in Cleveland, Ohio. „Nichtsdestotrotz stellt die Studie die seit langem bestehende Annahme in Frage, dass die Gehirne großer Säugetiere einige Minuten nach Ende der Blutzirkulation irreversibel geschädigt sind.“ Dies verstärke den Widerspruch zwischen den Anstrengungen, das Leben einzelner Menschen zu retten und dem Wunsch, Spenderorgane zu erhalten. „Einige Bemühungen zur Rettung oder Wiederherstellung des Gehirns könnten zunehmend vernünftig erscheinen – und einige Entscheidungen, auf solche Versuche zugunsten der Beschaffung von Organen für die Transplantation zu verzichten, könnten weniger vernünftig erscheinen“, lautet Youngners und Hyuns Fazit. Wie bewerten deutsche Experten die Sachlage?
„Das Experiment ist von so hoher wissenschaftlicher Bedeutung, weil es einen ersten Hinweis darauf liefert, dass ein bis dahin intaktes Gehirn nach einem plötzlichen Ereignis, das zu Atemstillstand und Sauerstoffmangel führt, wie zum Beispiel einem schweren Herzinfarkt oder Schlaganfall, vor dem endgültigen Untergang bewahrt werden könnte“, erklärt Prof. Georg Gahn von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in einer Mitteilung (DocCheck berichtete). Er warnt vor allzu schnellen Vergleichen, denn der Hirntod sei eine völlig andere Situation. Hier liege eine irreversible Hirnschädigung vor, obwohl die Blutzirkulation künstlich aufrechterhalten werde und kein Sauerstoffmangel besteht. Der Sterbeprozess sei bereits weit fortgeschritten und unumkehrbar. „Die vorliegende Studie untersuchte hingegen, ob und wie ein gesundes, bis dahin ungeschädigtes Hirn eine längere Phase des Durchblutungsstillstands überwinden kann, ohne unterzugehen“, so Gahn. Das sei eine „völlig andere Fragestellung.“ Man dürfe die Ergebnisse keinesfalls so interpretieren, als sei es möglich, ein sterbendes oder bereits verstorbenes Gehirn zum Leben zu erwecken.
Auch der Medizinethiker Prof. Jochen Taupitz aus Mannheim bleibt skeptisch, sieht aber, dass diese Arbeit der Medizin neue Impulse gibt: „Die Forschungsergebnisse können dazu führen, dass intensivmedizinische Maßnahmen länger als bisher ergriffen werden müssen“, erklärt er in einer Mitteilung. Es gebe jedoch keinen unmittelbaren Einfluss auf die deutsche Rechtslage.
Laut Transplantationsgesetz (TPG), §3, sind Entnahmen nur zulässig, falls der „endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen“, festgestellt worden ist. Die Bundesärztekammer verweist in dem Zusammenhang auf ihre Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes. „Unabhängig davon können die Forschungsergebnisse die Diskussion um den Tod des Menschen erneut befeuern“, befürchtet Taupitz. „Das kann auch auf die Akzeptanz der Transplantationsmedizin durchschlagen.“