Manfred Weber will die Überlebensrate von Krebspatienten mit schlechter Prognose verdoppeln. Im Europawahlkampf hat der CSU-Spitzenkandidat für Brüssel jetzt zehn Punkte im Kampf gegen den Krebs formuliert. Was ich von diesen zehn Punkten halte.
Krebserkrankungen bleiben für Ärzte, aber auch für Krankenkassen eine Herausforderung. Im letzten Jahrzehnt hat sich die Zahl an Todesfällen pro Jahr bundesweit leicht erhöht. Welche Überlebenschancen Patienten haben, hängt stark von der Krebsart ab. Hier reicht das Spektrum von weit über 90 Prozent (Hoden, Haut) bis zu mageren 10 Prozent (Bauchspeicheldrüse). Diese Werte variieren in der EU je nach Region – medizinisch-wissenschaftliche Unterschiede gibt es nicht. Manfred Weber will die Überlebensrate von Patienten mit schlechter Prognose verdoppeln und hat Krebs jetzt zur Chefsache gemacht.
Auf der Website von Manfred Weber ist die Rede von einem „Masterplan im Kampf gegen den Krebs“. Dabei handelt es sich um einen Text, der erstmals am 25. April 2019 in der WELT erschien. Zehn Programmpunkte stehen auf Webers Liste. Zeit für einen Faktencheck seiner Thesen. Im Folgenden werde ich mir Punkt für Punkt genauer ansehen und kommentieren.
1. „Wir wollen die Forschungslücke in Europa schließen, indem wir das Potenzial von Big Data voll ausschöpfen.“ Tumore unterscheiden sich bekanntlich stark in ihrer genetischen Signatur. Mehr Daten über Diagnostik in Kombination mit der zugehörigen Therapie verbessern den Erfolg, keine Frage. Ohne passende Infrastrukturen wie elektronische Patientenakten bleiben solche Ideen aber halbherzig.
2. „Wir werden die Privatsphäre und die Daten unserer Patienten schützen.“ Das ist löblich – Patientendaten dürfen niemals (wie in Großbritannien geschehen) im Web landen. Wir sollten nur aufpassen, dass wir uns vor lauter Bedenken nicht bremsen. Tag für Tag sterben Menschen aufgrund vermeidbarer Komplikationen bei der Pharmakotherapie oder bei OPs. So manches Menschenleben könnte mit Daten gerettet werden.
3. „Wir wollen eine hochwertige Krebsbehandlung in ganz Europa […] über verbindliche Standards setzen und evidenzbasierte Indikatoren.“ Qualität ist in unseren Zeiten zum Schlagwort schlechthin geworden. Aber bestehen wirklich Defizite? Wir haben nationale, europäische und internationale Leitlinien. Über deren Neutralität kann man mitunter streiten. Trotzdem lassen sich Leitlinien nicht einfach mit abstrakten Forderungen nach mehr Qualität vom Tisch wischen.
4. Wir werden unsere Präventionsstrategie aufstocken, um die Krebslast zu senken.“ Wohl wahr, denn jede dritte Krebserkrankung geht auf den Lebensstil zurück. Deutschland steckt viel Geld in Präventionskampagnen. Trotzdem geht sich die Zahl an Rauchern nur langsam nach unten. Übergewicht und Bewegungsmangel bleiben große Probleme. Wir sollten uns fragen: Läuft alles richtig bei der Prävention oder ist es Zeit, komplett umzudenken? Im PKV-Bereich werden monetäre Anreize mit einem gesunden Lebensstil in Verbindung gebracht. Oder sollten nicht endlich Werbeverbote für Tabakwaren umgesetzt werden?
5. „Mithilfe guter Früherkennung wollen wir Überlebenschancen erhöhen.“ Solche Statements lassen Ärzte zusammenzucken. Denn Früherkennung fördert nicht nur mehr Krebserkrankungen zu Tage. Es kommt zu mehr Biopsien, mehr Eingriffen und letztlich zu mehr vermeidbaren Komplikationen.
6. „Wir werden die Krebsforschung ankurbeln.“ Wer mehr Geld in die Wissenschaft steckt, profitiert nicht nur vom besseren Verständnis von pathologischen Vorgängen. So mancher Wirkstoff hat seine Wurzeln in universitären Labors. Danach scheitern Forscher, weil sie keine klinischen Studien der Phasen II bis III realisieren können – und Hersteller gehen auf dem Hochschulcampus „einkaufen“.
7., 8. und 9. „Wir wollen Europas Fachkräfte in der Krebsbehandlung zusammenbringen“, „Im Kampf gegen den Krebs werden wir niemanden zurücklassen“, „Wir werden Europa mit der modernsten IT-Infrastruktur ausstatten“. In Europa gibt es Behandlungsunterschiede, das wissen wir. Mit modernen IT-Infrastrukturen wird es egal, wo sich Experten gerade befinden. Sie können ihre Kollegen vor Ort bei Fragen zur Diagnostik oder Therapie beraten. Moderne Technologien dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen einzelnen Ländern extreme sozialrechtliche Unterschiede bestehen. Zwei Extreme: Deutschland setzt bei der Nutzenbewertung auf Vergleichstherapien, während Großbritannien 20.000 bis 30.000 Pfund pro QALY (pro qualitätskorrigiertem Lebensjahr) ansetzt. So lange Europa kein gemeinsames Gesundheitssystem hat, wird es immer gravierende Unterschiede geben.
10. „Wir wollen Initiativen unterstützen, die Krebspatienten während und nach ihrer Behandlung helfen.“ Psychologische Unterstützung ist wichtig, doch auch hier bleibt es nur bei frommen Worten, solange es unterschiedliche Strukturen bei Sozialsystemen gibt.
Unterschiede kann man nicht wegzaubern
Bleibt als Fazit: Die EU hat ohne Zweifel Möglichkeiten, Forschungsprojekte zu forcieren oder Digitalprojekte voranzubringen. Wir dürfen aber nicht vergessen: Gerade im Gesundheitsbereich gibt es regionale Unterschiede. Per Füllhorn eine Krebsstrategie über alle Länder zu gießen, wie es sich Weber vorstellt, wird schwierig.
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