Wie aus dem Nichts droht ein Teenager, sich oder seiner Familie etwas antun zu wollen. In der Psychiatrie stellen die Ärzte verschiedene Diagnosen bei dem 14-Jährigen. Doch bis sie endlich die Ursache finden, vergehen ganze zwei Jahre.
Ein Teenager ist plötzlich verwirrt, depressiv und agitiert. Die Lage eskaliert. Überzeugt davon, der „Sohn des Teufels“ zu sein, erklärt er, sich oder seiner Familie etwas antun zu wollen. Sofort wird er in die Notfallambulanz einer psychiatrischen Klinik eingewiesen.
Die Ärzte diagnostizieren bei dem Jungen eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen. Er wird mit Aripiprazol behandelt und eine Woche später entlassen. Zu diesem Zeitpunkt stellt er zwar keine Gefahr mehr für sich und andere dar, doch die psychotischen Symptome sind nicht vollständig verschwunden.
Die Krankenakte verrät, dass der 14-Jährige bereits in der dritten Klasse durch eine depressive Phase auffiel. Dies erklärten die Eltern damit, dass ihr Sohn vom Unterricht nicht stark genug gefordert und gleichzeitig von Gleichaltrigen gehänselt wurde. Der Junge galt als sehr klug, sozial aber recht unbeholfen. Nach dem Wechsel auf eine Schule für Hochbegabte sowie eine einjährige Behandlung mit Sertralin 25 mg klangen die Symptome ab. Der behandelnde Psychiater notierte damals in der Akte, dass auch das Asperger-Syndrom als Diagnose möglich sei.
Inzwischen sei der Junge aber äußerst beliebt und sozial, so Lehrer und Verwandte. Er hat exzellente Noten, spielt die Hauptrolle in einem Schultheaterstück und gewinnt bei sportlichen Wettkämpfen. Die Familie des Jungen lebt in einem ruhigen Vorort mit einigen Haustieren, darunter mehrere Katzen und ein Hund.
Wochen nach dem ersten Klinikaufenthalt im Oktober verschlechtert sich sein Zustand wieder. Der Schulbesuch wird aufgrund der Schwere der psychotischen Symptome unmöglich. Er entwickelt Zwangsgedanken, irrationale Ängste und ist emotional labil. Der Teenager glaubt, Superkräfte zu besitzen und ist davon überzeugt, dass eine der Familienkatzen ihn umbringen will. Derweil kündigt die Mutter ihren Job, um sich ausschließlich um ihren Sohn kümmern zu können. Zum Verfolgungswahn kommen bald auditive, visuelle und taktile Halluzinationen hinzu. Doch erst als er sich weigert, das Haus zu verlassen, wird er erneut in die Klinik eingewiesen. Da erst beginnt die eigentliche Odyssee.
Der zweite Klinikaufenthalt im Dezember dauert wieder nur eine Woche. Danach entwickelt er unspezifische körperliche Symptome, darunter starke Müdigkeit, Kopf- und Brustschmerzen und Kurzatmigkeit. In der nächsten Zeit stellen ihn die Eltern bei mehreren Psychiatern vor. Die Diagnose: Schizophrenie. Einige Monate vergehen, ohne dass es dem Jungen trotz medikamentöser Therapie besser geht.
Die Eltern stellen ihren Sohn bei verschiedenen Fachärzten vor, die zahlreiche Tests durchführen. Doch weder Psychiater, noch Endokrinologen oder Neurologen wissen, was mit dem Teenager los ist.
Im darauffolgenden Sommer wird er erneut in eine Klinik überwiesen. Diesmal verbringt er ganze elf Wochen dort. Die Ärzte probieren zahlreiche Medikamente aus, um seine Symptome in den Griff zu bekommen, darunter Antipsychotika, Stimmungsstabilisierer, Antidepressiva und Benzodiazepine. Dort führen die Ärzte auch erneut umfangrreiche Tests durch – ohne Ergebnis. Der Teenager wird mit der Diagnose Schizophrenie und Zwangsstörung entlassen. Wieder vergehen Wochen ohne sichtliche Besserungen.
Nach der Entlassung bemerken die Eltern auffällige Hautveränderungen an ihrem Sohn. An Oberschenkeln und Achseln sind merkwürdige rote Streifen zu erkennen – sie erinnern stark an Dehnungsstreifen. Dies findet aber erstmal keine weitere Beachtung. Als jedoch ein Arzt diese Streifen zu Gesicht bekommt, hat er einen Verdacht.
Der Arzt zieht einen Dermatologen zum Fall hinzu. Dieser bestätigt, dass es sich bei den Streifen nicht um typische Dehnungsstreifen handelt. Die Lage, Ausrichtung und Farbe der Streifen passen nicht zu einem Wachstumsschub oder möglichen Körpergewichtsschwankungen des Jungen. Das bestärkt den Arzt in seinem Verdacht. Der Junge könnte an Bartonellose leiden, eine Gruppe bakterieller Infektionskrankheiten, die überwiegend von Tieren auf den Menschen übertragen werden. Er vermutet auch, welcher Erreger genau verantwortlich ist. Der Arzt erinnert sich an ein Detail aus der Krankenakte: Beim ersten Besuch in der Notaufnahme wies der Junge am Arm kleinere Biss- und Kratzwunden von den im Haus lebenden Katzen auf. Demnach könnte es sich um den Erreger der Katzenkratzkrankheit, Bartonella henselae, handeln.
Zwar liegen noch keine Ergebnisse der Nachweismethoden vor, doch der Arzt beginnt trotzdem eine Antibiotika-Therapie – mit Erfolg. Mehrere Wochen und eine Jarisch-Herxheimer-Reaktion später, geht es dem Jungen psychisch sichtlich besser. Auch die Streifen auf der Haut verschwinden. Mittels PCR-Analyse lässt sich tatsächlich der Erreger B. henselae nachweisen.
Die Ärzte vermuten, dass dieser Erreger das Pediatric Acute-onset Neuropsychiatric Syndrome (PANS) bei dem Jungen auslöste. In einigen Fällen scheint es sich um die Folgen einer Infektion mit Streptokokken oder Mykoplasmen zu handeln. Diese konnten bei dem Jungen jedoch ausgeschlossen werden. Diese Fall biete, so die Ärzte, eine weitere Möglichkeit für zukünftige Untersuchungen. Immerhin seien die genauen pathophysiologischen Ursachen von PANS noch nicht vollständig aufgeklärt.
Zwei Jahre nach Einsetzen der Symptome kann der Junge endlich wieder in die Schule gehen. Bald ist er wieder auf dem psychischen und körperlichen Niveau, das er vor seiner Erkrankung hatte. Während seiner Erkrankung hat er 27 verschiedene Medikamente eingenommen.
Quelle: Journal of Central Nervous System DiseaseBildquelle: Victor, pexels