Wenn der Kunde ein Medikament bestellt, tritt die Apotheke häufig in Vorleistung. Gerade bei Hochpreisern kann das zum finanziellen Risikospiel werden. Was passiert zum Beispiel, wenn ein Patient vor Begleichen der Rechnung stirbt? Wir haben nachgefragt.
Innovationen bei der Pharmakotherapie haben ihren Preis. Laut Arzneiverordnungs-Report 2018 ist der Bruttoumsatz je Verordnung im letzten Jahrzehnt von 42,61 auf 62,48 Euro gestiegen. Das liegt vor allem an hochpreisigen Pharmaka, weniger an größeren Gebinden. Zu den weltweit umsatzstärksten Arzneistoffen gehören Humira® (Adalimumab), Keytruda® (Pembrolizumab), Revlimid® (Lenalidomid), Opdivo® (Nivolumab) und Eliquis® (Apixaban). Je nach Packungsgröße fallen Kosten von mehreren hundert bis über 5.000 Euro an. Nicht nur Krankenkassen, sondern auch Apotheker klagen über wirtschaftliche Risiken.
Patient verstorben – Kollege in Not
„Vor einigen Jahren hätten mich Zytostatika beinahe in den Ruin getrieben“, erzählt ein Apothekeninhaber aus München. Ein Krebspatient, er war privatversichert, erhielt regelmäßig mehrere Hochpreiser. Er musste die Kosten nicht sofort begleichen, sondern bekam vom Inhaber einen Monat als Zahlungsziel eingeräumt. Der Apothekenleiter selbst musste seine Rechnungen bei Direktbestellungen aber mit einem deutlich kürzeren Zahlungsziel begleichen. Man ist gegenüber Patienten ja schließlich kulant.
„Doch plötzlich starb der Kunde“, erinnert sich der Apotheker. Zu dem Zeitpunkt seien mehrere Posten im Gesamtwert von knapp 100.000 Euro offen geworden. „Nur hat sich die Erbengemeinschaft bis aufs Messer gestritten, niemand wollte meine Rechnungen begleichen.“ Schließlich sprang die Hausbank ein und rettete den Kollegen vor der Zahlungsunfähigkeit. Er bekam sein Geld auf gerichtlichem Wege wieder, aber erst 18 Monate später. Sein Fazit: „Heute setze ich selbst Stammkunden ein monatliches Limit.“
Liquiditätsmäßig manchmal an der Grenze
Dieses Beispiel ist extrem. Einerseits, weil die meisten Zytostatika im klinischen Rahmen eingesetzt werden, sodass der Patient vergleichsweise selten in derart hohe Vorleistung gehen muss. Andererseits kommt es schon wegen der geringen Zahl an Apotheken, die überhaupt patientenindividuelle Zytostatika herstellen dürfen, selten zu solchen Fällen. „Im Bereich der fünfstelligen Hochpreiser haben wir nur sehr wenige Patienten, im vierstelligen Bereich sind es deutlich mehr“, ergänzt ein Kollege aus Sachsen. Mit welchen Beträgen eine Apotheke jongliert, ist also sehr unterschiedlich. „Liquiditätsmäßig sind wir schon manchmal an der Grenze oder darunter, hauptsächlich, falls die Bezahlung vor der Erstattung erfolgt.“ Das sei bei Großhandelsbestellungen kein Thema, aber ein Problem bei Direktbezug. Kürzere Zahlungsfristen belasten das Apothekenkonto. Als Lösung schlägt er vor, Vorfinanzierungsrisiken auf Hersteller zu übertragen, indem sie ihr Zahlungsziel auf den 15. des Folgemonats legen.
Damit würde man wahrscheinlich auch im PKV-Bereich die meisten Fälle abdecken. Retaxationen im GKV-Bereich habe es bislang nicht gegeben. Sein Fazit: „Da wir bisher keine schlechten Erfahrungen mit der Erstattung gemacht haben, kommt es für mich nicht in Frage, einen Patienten an eine andere Apotheke zu verweisen.“ Er befürchtet, dadurch Kunden an Konkurrenten zu verlieren.
Hochpreiser? Bitte warten!
Das sieht ein Kollege aus Nordrhein-Westfalen anders: „In den meisten Fällen werden Patienten, die diese Hochpreiser erhalten, von Schwerpunktpraxen oder onkologischen Zentren betreut.“ Vor Ort sei fast immer eine Apotheke mit involviert, die Medikamente liefere. Ansonsten kämen solche Rezepte nur in Ausnahmefällen in der Standard-Offizin-Apotheke vor – falls Patienten mal etwas vergessen hätten oder im Urlaub seien.
„Ich finde es ganz ok, dann die Patienten zu fragen wo ihre Hochpreiser sonst bezogen werden und sie darauf hinzuweisen, dass dieser Kollege, die Kollegin selbige deshalb wahrscheinlich auch vorrätig haben.“ Ansonsten weist er schon mal dezent darauf hin, dass mit einer größeren Wartezeit zu rechnen ist. Natürlich werde niemand weggeschickt. „Aber bei der heutigen Einstellung, alles müsse vorrätig und an Lager sein, gehen die Kunden fast immer weiter. Andere erzählen auch, dass wir schon die dritte oder vierte Apotheke seien, die die Medikamente ebenfalls erst nach mehreren Tagen besorgen können.“
Unabhängig davon stört ihn auch, dass viele Patienten gerade bei Hochpreisern denken, ihr Apotheker würde sich die Taschen vollstopfen. Wie Preise zustande kommen, wissen Laien meistens nicht:
Preisbildung bei Fertigarzneimitteln. Quelle: ABDA
Wo liegt das Problem? Hier fehle eine „wertschätzende Regelung und Honorierung seitens der Kassen für die Apotheken“, sagt der Kollege. „Das motiviert nun nicht wirklich, hier zu selbstausbeuterischen Hochleistungen aufzulaufen.“
Schnäppchen aus Indien
Ein Apotheker aus der Schweiz hat für Patienten ganz andere Tipps parat. Wer beispielsweise Präparate zur Therapie von Hepatitis-Infektionen braucht, findet in Australien preisgünstige Alternativen. Patienten haben sich zu einem Buyers' Club, einem Einkaufsverband, zusammengeschlossen. Medikamente erhalten sie aus Indien für umgerechnet 2.200 Euro zur dreimonatigen Therapie. Ansonsten wären 52.000 Euro fällig.
In Deutschland haben Patienten laut § 72 und § 73 des Arzneimittelgesetzes (AMG) solche Möglichkeiten nicht. Im GKV-Bereich sind solche Schleichwege auch nicht erforderlich. Denn laut höchstrichterlichem „Nikolausurteil“ vom 6. Dezember 2005 müssen gesetzliche Krankenkassen bei schwerwiegenden Erkrankungen alle Kosten von Behandlungen übernehmen, falls „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“ besteht.
Technik könnte Perspektiven schaffen
Bleibt als Fazit: Hochpreisige Arzneimittel wird es immer geben. Selbst nach Wegfall des Patentschutzes sind viele Generika noch lange keine Schnäppchen. Es kann nicht angehen, dass Apotheker alle wirtschaftlichen Risiken tragen. Mit etwas Willen bei den Krankenkassen lassen sich solche Probleme aber elegant lösen. Zumindest in der Theorie.
Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sollen Rezepte bald digital werden. Scanner leisten auch immer mehr. In Zeiten der künstlichen Intelligenz steht einer Echtzeit-Überprüfung von Verordnungen durch Kostenträger eigentlich nichts im Wege. Dann erhalten Apotheken eine sozialrechtlich verbindliche Erklärung zur Kostenübernahme – inklusive zeitnaher Zahlung direkt an den Inhaber. Doch die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, fehlt bei allen Beteiligten.
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