BEST OF BLOGS | Wenn ein Mensch zugibt, dass er von etwas keine Ahnung hat, hat das für mich Größe. In der eitlen Medizin hört man Geständnisse dieser Art allerdings selten. Uns Notfallmediziner kostet das häufig Nerven und Kraft.
In den seltensten Fällen wird jemand zugeben, dass er keine Ahnung hat. Denn das wird als Zeichen von Schwäche, Dummheit oder auch fehlender Berufserfahrung gedeutet. Die Erfahrenen, die haben auf alles eine Antwort. „Ich erkläre Dir, wovon ich nichts versteh“, singt Herbert Grönemeyer und ich habe während meiner ärztlichen Tätigkeit schon oft an Grönemeyer gedacht.
Gerade die Medizin ist eine sehr eitle Wissenschaft und da gehört der Rettungsdienst auch mit dazu. Nichtwissen wird verschwiegen, stattdessen wird halbgares 5-Prozent-Wissen mit breiter Brust zum epischen Vortrag und mit einer Teigrolle in Form von unberechtigtem Selbstbewusstsein plattgeklopft und ausgebreitet, auf dass es noch größer (und noch platter) erscheint.
In der Präklinik arbeiten wir oft mit Spezialisten zusammen. Spezialisten für Brandschutz (Feuerwehr), für Wasserrettung (DLRG), ja selbst für so etwas scheinbar Banales wie die Bereitstellung von Licht gibt es großartige Spezialisten – die Frauen und Männer vom THW. Und damit sind nur mal drei Gruppen genannt. Ich gehöre auch zu einer Spezialistengruppe, mit unserem Hubschrauber kommen Spezialisten für Luftrettung (Piloten, HEMS) und Notfallmedizin (Notarzt) hinzu.
Jeder Spezialist hat Fachkenntnisse im eigenen Gebiet. Ich kann den Zustand eines eingeklemmten LKW-Fahrers in wenigen Sekunden einschätzen und gebe dem Einsatzleiter der Feuerwehr diese Information weiter. Gemeinsam entscheiden wir, ob wir eine Sofortrettung, eine schnelle Rettung oder eine schonende Rettung durchführen. Ich habe bis heute kaum eine Ahnung davon, wie man das am besten technisch anstellt, bin aber jedes Mal erstaunt, wie schnell, sicher und zuverlässig die Frauen und Männer von der Feuerwehr einen Menschen da raus holen.
Es ist schon ein paar Monate her, da musste ein Patient in einem Klärwerk aus einem Schacht gerettet werden. Ich habe den Spezialisten von der Höhenrettung staunend zugesehen, wie sie mit ihren zig Seilen und Karabinern den Patienten sicher und zügig an die Erdoberfläche gebracht haben. Ich würde mir nie anmaßen, die Entscheidungen dieser Gruppe anzuzweifeln oder gar in der Gruppe oder im Internet zu kritisieren.
Bei mir ist das anders. Ich bin Notarzt im Hubschrauber und erlebe regelmäßig, wie unser Verhalten, unsere Entscheidungen und unsere Handlungsweise hinterfragt, kritisiert oder auch offen kritisiert wird. Das wäre okay für mich, wenn wir das im 1:1-Gespräch unter vier Augen klären würden.
Ich bin gerne bereit, einem ehrlich interessierten Mitarbeiter des Rettungsdienstes zu erklären, warum wir einen Patienten nicht fliegen, obwohl er oder sie sich das so schön ausgedacht hatte. Stattdessen werden wir ständig ungefragt gefilmt (EIN HUBSCHRAUBER!!), manchmal ist das Video schon bei Youtube hochgeladen, bevor wir an der Zielklinik gelandet sind.
Bei der Zigarette danach wird dann von dem Rettungsfachpersonal diskutiert, warum wir das denn so und so gemacht hätten und nicht so und man hätte ja schon alles vorbereitet und überhaupt.
Ich kenne diese Diskussionen, ich war oft genug dabei. Das hat nichts mit einem qualifizierten Debriefing zu tun. Ich würde mir wünschen, dass wir einfach mal ehrlich zugeben, wenn wir keine Ahnung haben. Die Spezialisten machen lassen. Ein guter Teamleader sein oder ein gutes Teammitglied.
Ein Beispiel? Für unseren Piloten wurde eine Landestelle ausgewiesen. Feuerwehr sperrt mit einem ganzen Löschzug eine Landefläche ab. Wir gehen dort runter, starten durch und landen nicht dort, sondern 300 m weiter und müssen durch die Polizei mit einem Einsatzwagen an die Einsatzstelle herangeführt werden.
Ich glaube, dass da bis heute noch ein paar Leute rumlaufen, die uns für komplett bescheuert halten. Genau diese Leute wissen auch bis heute nicht, dass wir von oben das verrottende Gewächshaus direkt nebenan gesehen haben, dessen Scheiben sich im Landeanflug bedrohlich anhoben und teilweise wegflogen. Abbruch der Landung, durchgestartet, neue Entscheidung für einen sicheren Landeplatz.
Ein anderes Beispiel: Wir werden nachbestellt zu einem Verbrennungstrauma, der RTW ist bereits vor Ort. Sicher 60-70 % der Körperoberfläche sind verbrannt. Wir benötigen 20 Minuten für den Anflug, in den 20 Minuten wird original nichts gemacht. Bei Übernahme stellen wir fest, dass der Patient
a) mit knapp 140 kg zu schwer für den RTH istb) die Zielklinik bodengebunden gerade mal 15 Minuten weg istc) der Patient instabil, stark schmerzgeplagt und mit einer Spontanatmungsfrequenz von 40/min intubationspflichtig ist/wird
Selbst wenn wir den Patienten fliegen würden, hätten wir mit dem Umlagern vor Ort (Monitoring wechseln, RTW-Trage auf unsere Trage), dem eigentlichen Flug (Anlassen 2 Minuten, Flug 6 Minuten, Nachlaufen der Triebwerke 2 Minuten) sowie Umlagern an der Klinik (raus aus der Maschine, rein in einen RTW, Fahrt zur Liegendanfahrt, raus aus dem RTW, quer durch die Klinik zum Schockraum) sehr viel mehr Zeit verbraucht, als wenn wir bodengebunden direkt gefahren wären. Klar, der Weg von A nach B, der ist mit dem Hubschrauber schneller. Der lohnt sich aber erst bei längeren Distanzen, weil durch das Drumherum so viel Zeit verloren geht.
Wir haben Piloten, die auf ihre Flugzeiten achten müssen. Für die Piloten ist das Wetter am Einsatzort, an der Zielklinik und an unserer Homebase wichtig. Sie achten auch darauf, wieviel Krafstoff noch an Bord ist. Gerade im Sommer kann man nicht mit einem vollen Tank fliegen, weil die Maschine dann zu schwer wird.
In der Luftrettung kommen Aspekte zum Tragen, mit denen man im bodengebundenen Rettungsdienst im Normalfall nichts zu tun hat. Was den erfahrenen Rettungsdienstler aber nicht davon abhält, der jungen RS-Azubine mit großen Worten zu mansplainen, warum er die und die Entscheidung ganz anders getroffen hätte und man ja nicht allen helfen könne und die müssen ja selber wissen, was sie tun.
Wir machen unseren Job, ihr macht euren Job. Wir arbeiten alle zusammen für die eine Sache. Wir helfen Menschen, wir arbeiten gemeinsam gegen die Zeit und wollen Leben retten und das möglichst sicher und schnell.Wir sind das #teamblau, Polizei, DLRG, Feuerwehr, THW, Bergwacht und andere. Bei uns arbeiten Pflegekräfte und Ärzte, Spezialisten verschiedenster Art, Ehrenamtliche und Hauptberufliche.
Wenn du in einer dieser Hilfsorganisationen im #Teamblau mitarbeitest und etwas nicht verstehst – frag uns gerne. Es wird immer jemanden geben, der dir kompetente Antworten geben kann. Meistens steht hinter jeder unverständlichen Aktion eine bisher unbekannte Information.
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