Die Anwendung von SGLT-2-Inhibitoren bei Diabetes mellitus Typ 1 ist umstritten. Grund dafür sind mögliche Nebenwirkungen: Es kann zu diabetischen Ketoazidosen kommen, die lebensgefährlich sind. Warum ich die Zulassung der EMA nicht nachvollziehen kann.
SGLT-2-Inhibitoren und zuletzt auch der duale Inhibitor Sotagliflozin können bei Patienten mit Typ-1-Diabetes den Blutzucker senken. Sie erlauben eine niedrigere Einstellung ohne Zunahme von Unterzuckerungen. Behörden sind sich bei der Bewertung der Substanzen uneins: Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) gab am 28. Februar 2019 grünes Licht für den Einsatz von Sotagliflozin. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat eine Zulassung am 22.3.2019 aber abgelehnt. Kann man dieses Medikament als Arzt mit gutem Gewissen verordnen?
Grund für die Diskussion ist eine Nebenwirkung, die die Szene anfänglich überraschte: Es kann zu diabetischen Ketoazidosen (DKA) kommen, heimtückischerweise ohne Blutzuckererhöhung. Durch Spontanmeldungen von Arzneimittelzwischenfällen in Australien wurden 13 Fälle von SGLT-2-assoziierten Ketoazidosen bekannt, für die medizinische Daten vorlagen. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Alle Patienten benötigten daraufhin intravenöses Insulin und Glukose, neun der Patienten mussten auf der Intensivstation behandelt werden. Ein Patient verstarb. Auch unter Studienbedingungen kam ein Todesfall durch DKA nach Gabe von Empagliflozin, einem weiteren SGLT-2-Inhibitor, vor. Besonders in einer Schwangerschaft, die der Frau nicht zwingend bekannt sein muss, ist die DKA kritisch für Mutter und Kind.
Die Empfehlungen für eine sichere Medikation mit SGLT-Hemmern sind gerne komplex: Einem Fachartikel entsprechend sollen acht Parameter als Vorsichtsmaßnahme von Arzt und Patient ständig kontrolliert werden. So sollen Ketone ab Blutzucker über 9 mmol/l gemessen werden, das sind 162 mg/dl. Ein Blutzucker dieser Höhe ist sehr häufig, für viele Patienten ist es ein Dauerzustand.
Ein so unrealistisches Warnsystem ist mit dem Alltag nur vereinbar, wenn der Patient es ignoriert oder drastisch reduziert. Die Vorsichtsmaßnahmen, die schon unter Studienbedingungen Todesfälle nicht verhindern konnten, werden in der Praxis natürlich nicht lückenlos funktionieren. Sie erleichtern es aber, die Verantwortung an die Betroffenen abzuschieben.
Als Grund für die Ablehnung der FDA wird eine Number needed to harm von 26 pro Patientenjahr für die DKA angegeben. Was bedeutet das konkret?
Ein Rechenbeispiel: Im Jahr 2016 wurden in unserer Praxis 840 Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 behandelt, von denen die meisten das Therapieziel nicht erreichten. Eine Indikation zur SGLT-2-Therapie bestünde formal für etwa 650 Patienten von ihnen. Würden diese entsprechend behandelt, so käme es nach jetziger Kenntnis zu 25 DKA mit ein bis zwei Todesfällen pro Jahr und weiteren, nicht tödlichen Ereignissen mit bleibenden Einschränkungen nach intensivmedizinischer Betreuung. Nach fünf Jahren wären das sieben Tote und so weiter.
Mein Fazit: Wer selbst echte Menschen mit Typ-1-Diabetes mit SGLT-2-Inhibitoren behandelt und nicht in einem Elfenbeinturm sitzt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Tote unter den eigenen Patienten zu beklagen haben. Der Verordner ist eindeutig und direkt Verursacher solcher Todesfälle. Dass die Betroffenen oft jung sind und mitten im Leben stehen, wird mancher Arzt als besonders belastend erleben.
Mir ist kein einziger Mensch mit Diabetes mellitus Typ 1 bekannt, bei dem ich das Risiko der Begleitmedikation mit SGLT-Hemmern gerechtfertigt sehe.
Kommentar von Dr. Dirk Hochlenert Bildquelle: Josué Goge, flickr