Eine Patientin kam zu mir in die Sprechstunde. Ich kannte sie: eine sehr kräftige Frau, mitten im Leben stehend, Workaholic. Nun sah sie müde aus, war ausgelaugt und hatte innerhalb kürzester Zeit 40 Kilogramm abgenommen.
Ein Großteil der Arbeit in einer Praxis ist Routine. Doch gelegentlich kommen auch die seltenen Fälle vor. Ein „alter Fall“ ging mir mal wieder durch den Kopf.
Eine Patientin kam zu mir in die Sprechstunde. Ich kannte sie: Immer eine sehr kräftige, Frau, mitten im Leben stehend, Workaholic. Nun sah sie müde aus, ausgelaugt und hatte massiv abgenommen. Gewollt, sagte sie. Sie sei immer sehr dick gewesen und habe sich damit auch nicht schlecht gefühlt. Aber dann habe sie für ihre Gesundheit nun doch abnehmen wollen.
Und das tat sie: Etwa 40 Kilo in kürzester Zeit. Sie sei jetzt seitdem allerdings nur noch erschöpft, erzählte sie mir. Die Knochen schmerzten überall und außerdem habe sie Beulen in beiden Leisten.
Beulen in den Leisten sind selten gesund, daher schaute ich mir diese an. Zum einen, weil ich an vergrößerte Lymphknoten dachte. Zum anderen, um den seltenen Fall einer beidseitigen Leistenhernie auszuschließen, die bei Frauen zudem auch weniger häufig als bei Männern vorkommt.
Bei der Untersuchung konnte man schon fühlen, dass es sich um Lymphknotenpakete handelte. Denn die Knoten waren fest, hühnereigroß und kaum verschieblich. Alarmiert schaute ich mir diese dann im Ultraschall an, konnte allerdings noch eine angedeutet erhaltene Struktur der Lymphknoten erkennen.
Wir nahmen Blut für eine umfangreiche Laboranalyse ab: ein großes Blutbild, die Leber-, Nieren- und Bauchspeicheldrüsenwerte, Eisen, Entzündungswerte, Fette, Elektrolyte, Zucker und Langzeitzucker. Wir einigten uns auch auf die Untersuchung auf HIV und anderer Geschlechtskrankheiten.
Ich bestellte die Patientin für den nächsten Tag ein und konnte ihr zwar glücklicherweise mitteilen, dass alle Blutwerte in Ordnung waren, aber wir dennoch nicht so recht wussten, was ihr fehlte. Die großen Lymphknoten mussten dringend abgeklärt werden.
Sie berichtete schließlich noch, sie habe plötzlich wieder zwei Kilogramm zugenommen – über Nacht. Und sie habe irgendwie so Luftnot und sei noch erschöpfter als vorher. Also ordnete ich ein EKG an, das einen schnellen Herzschlag und unspezifische Veränderungen der Herzstromkurve zeigte.
Mit dem Verdacht auf eine Myokarditis wies ich die Patientin mit Blaulicht und Tatütata in die nächste große Klinik ein.
Und hörte wochenlang nichts von ihr.
Irgendwann fiel mir der Arztbrief aus der Klinik in die Hand. Die arme Patientin war noch wochenlang durch alle Abteilungen rotiert, nachdem man keine Herzmuskelentzündung nachweisen konnte. Man ging zuerst von einem unspezifischen Infekt aus und sie erhielt diverse Antibiotika, aber die Lymphknoten und die Symptomatik bildeten sich nur langsam zurück. Doch immerhin taten sie es. Denn bösartig veränderte Lymphknoten sprechen natürlich nicht auf die Behandlung mit Antibiotika an.
Schließlich landete sie bei einem Onkologen, der eine bösartige Erkrankung, wie z.B. ein Lymphom, ausschloss. Trotzdem ging es der Dame nur langsam besser und man vermutete einen prolongierten Virusinfekt. Sprich: Ein Infekt, der einfach lange zur Heilung benötigt.
Inzwischen war sie auch wieder in der Sprechstunde aufgetaucht, arbeitete wieder und es ging ihr langsam besser. Woran sie gelitten hatte, wussten wir auch nach Sichtung aller Unterlagen nicht.
Wieder einige Wochen später bekam ich ohne beigefügten neuen Arztbrief die Laborwerte nachgeschickt. Die Klinik hatte wirklich alle relevanten Laboruntersuchungen erledigt und auch noch einmal HIV und andere Infektionskrankheiten geprüft, denn die Werte sind meist erst nach einigen Wochen „positiv“ für eine Erkrankung. Der Brief mit den Ergebnissen wurde irgendwann später versandt.
Die Parameter, die auffällig waren, zeigten eine akute Toxoplasmose mit erhöhten IgM-Werten und leicht erhöhten IgG-Werten, die als Antikörper eine ältere Auseinandersetzung des Immunsystems mit den Erreger anzeigen. Die Konstellation der Parameter sprach deutlich für eine zum damaligen Zeitpunkt akute Infektion mit Toxoplasma gondii, einem Parasiten.
Damit fügte sich nach Wochen alles ins Bild und ich rief die Patientin an, um ihr davon zu berichten. Da sie während des Klinikaufenthaltes einige wirksame Medikamente erhalten hatte, bestellte ich sie erstmal zur Verlaufskontrolle und Blutabnahme ein.
Die Krankheit, die primär Katzen befällt, kann parasitär als Zwischenwirt auch den Menschen befallen. Gefährlich wird sie, wenn Schwangere sich infizieren, denn das kann zu Fehlgeburten und Behinderungen führen. Daher rät man Schwangeren dringend, auf ungekochtes Fleisch und rohe Produkte zu verzichten. Bei sonst gesunden Menschen stellt sich die Symptomatik eher harmlos dar: Leichte Lymphknotenschwellungen, Fieber, Müdigkeit.
Warum bei der Patientin die Toxoplasmose so heftig verlief, kann ich nur mutmaßen: Die berufliche Belastung zusammen mit der raschen Gewichtsabnahme haben das Immunsystem nicht unbedingt gestärkt.
Das Ende der Geschichte war, dass es ihr schließlich wieder gut ging und sie ihr Leben als Workaholic weiterführen konnte.
Bildquelle: Analise Benevides, Unsplash