Und dann hatte ich plötzlich so einen Notarztschein. Man drückte mir einen klotzförmigen Piepser in die Hand und ich dachte: „Vielleicht wird es nett, ab und an dem Klinikalltag zu entkommen. Andererseits erleben Notärzte viele superaufregende Dinge. Ob ich dem gewachsen bin?“
Nun denn, das mit dem superaufregend ist so eine Sache. Hier ein beispielhafter Einsatzbericht.
Es war morgens. So 08:30 Uhr. Ich war schon in der Internisten-Morgenbesprechung gewesen und nun lief ich langsam auf meine Station, denn es war zu früh am Tag. Als Super-nicht-Morgenmensch, fühlte ich mich superunmorgendlich und insgesamt schlecht.
Der Morgenplan: Erstmal irgendwo hinsetzen und zum Beispiel die Akten der neu angekommenen Patienten studieren. Oder übrig gebliebene Befunde vom Vortag. Vielleicht würde ich mir ein paar Notizen machen.
In diesem Augenblick piepste es wild (immerhin war ich nicht auf dem Klo) und ich sah mich gezwungen, meine Schrittgeschwindigkeit dramatisch zu erhöhen, denn das war der Notarztpiepser.
Kurz darauf stand ich in einer roten Jacke im Kalten vor der Klinik am Abholplatz für Notärzte. Also prinzipiell am Eingang. Schon schwenkten Fritzi und Klaus in einem riesigen Rettungswagen in die Einfahrt, um mich abzuholen.
Fritzi und Klaus waren beides Rettungsassistenten oder auch Notfallsanitäter. Einer von beiden war ungefähr 19 Jahre alt und hatte gerade erst den Führerschein erworben. Der durfte fahren. Klaus öffnete mir erfreute grinsend die Rettungswagentür.
Dann drückte Fritzi glücklich aufs Gaspedal und zwang das auf 3,5 Tonnen optimierte Auto mit ca. 80 Stundenkilometer durch die nicht hierfür ausgelegten Straßen der Stadt.
Ich schaute auf meinen Piepser und stellte erfreut fest, dass wir nur ins nächste Stadtviertel mussten. Die Chancen standen gut, so schnell anzukommen, dass ich mich vorher nicht erbrechen würde.
Fritzi erreichte in Rekordzeit den nahegelegenen Supermarkt, wo uns laut Einsatzmeldung eine Frau mit möglichem Herzinfarkt erwartete. In der Notarztschule hatte man mir beigebracht schon auf der Fahrt über den potenziellen Einsatz und mögliche Therapiestrategien nachzudenken. Leider hatte ich auf dieser Fahrt eher Dinge gedacht wie: „Wenn wir jetzt gegen diese Laterne fahren, wer rettet uns dann?“ oder auch „Erstaunlich, dass die Sauerstoffflasche nicht von der Wand fällt“ und auch „Ich sollte so eine Spucktüte in meiner Notarztjacke haben“.
Also stieg ich kurz darauf aus dem Rettungswagen und freute mich, dass mir bestimmt gleich weniger übel sein würde und ich auf dem Weg in den Supermarkt hinein, über die Einsatzstrategie nachdenken konnte.
In diesem Augenblick spazierte eine Frau über den Parkplatz auf uns zu. „Haha, hier ist ja schon die Patientin!“, rief Klaus, der sich als energiereicher Morgenmensch in Lichtgeschwindigkeit aus dem Auto gebeamt hatte. Wir nahmen die Frau und stiegen sofort wieder ein. Jetzt stieg Fritzi auch hinten zu uns, um in dem von mir geleitenten Notarztpatientenassessment zu assistieren.
„Hmhm“, sagte ich. Dann bat ich Fritzi und Klaus um die Feststellung der Vitalparameter und die Frau mit dem vielleicht Herzinfarkt um einen Ereignisbericht. Dies ermöglichte mir, erstmal möglichst wenig zu tun und mich außerdem nicht zu erbrechen.
„Ah“, sagte ich dann, „Frau Hommel, Ihr Blutdruck liegt bei 220/120 mmHg. Möglicherweise ein Grund für Ihr Problem.“
„Oh“, sagte Frau Hommel und dann noch einiges mehr, aber daran kann ich mich wirklich nicht mehr erinnern, weil mir immer noch wirklich schlecht war.
„Also“, erklärte ich, „ich höre Sie jetzt noch kurz mit diesem Stethoskop ab, das ich glücklicherweise in der Klinik beim Anziehen dieser Notarztjacke nicht verloren habe. Dann legen wir so einen Venenzugang für die Blutdrucktherapie und machen ein ausführlicheres 12-Kanal-EKG.“
Fritzi zog erfreut 10 verschieden EKG-Kabel aus der EKG-Kiste und Klaus, vermutlich ein uneheliches Kind von Flash, knallte mir instant Zubehör für die Kanüle hin.
Ich baute die Kanüle ein und gab Frau Hommel das liebste blutdrucksenkende Medikament aller Internisten. Hierfür musste ich nicht mal aufstehen. Dies war gut für meinen Kopf und weil ich große Sehnsucht nach meiner Station hatte, wo meine Schwestern gleich Frühstückspause machen würden und ich in Ruhe grumpelige Arztdinge tun konnte, gab ich Fritzi nach ca. 5 Minuten Aufenthalt auf diesem Parkplatz das Signal zum Aufbruch.
Wir erreichten die Klinik superschnell, Frau Hommel fühlte sich mit niedrigerem Blutdruck schon viel besser und mein Notaufnahme-Kollege nahm die Patientin unbeeindruckt von meinen glorreichen Notarztleistungen an sich. Ich fühlte mich jetzt diffus zittrig. Mittags würde hoffentlich alles besser.
Fritzi und Klaus verabschiedeten sich fröhlich und ich bin mir nicht sicher, ob das jetzt ein realistischer Bericht über das ist, was Notärzte so tun.
Urgh, ich hasse Morgenstunden.
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