Ich bin ein Fan von Leitlinien. Aber warum müssen zwei verschiedene Fachgesellschaften ihre Leitlinie zum Thema Husten herausgeben? Ich als Arzt muss nun die Unterschiede herausarbeiten. Und das, obwohl selbst unter den Experten Uneinigkeit herrscht.
Vor kurzem ist eine aktualisierte Version der Leitlinie „Husten“ der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) erschienen. Ich hatte mich bislang an der bis dato aktuellsten Leitlinie zum Thema orientiert, die aus dem Jahr 2014 stammt und von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) herausgebracht wurde. Auch für diese Leitlinie ist bis Ende dieses Jahres eine aktualisierte Version geplant.
Ich bin ein Fan von Leitlinien, aber für mich stellt sich hier die Frage: Warum müssen zwei Fachgesellschaften zwei verschiedene Leitlinien erstellen? Mir als Arzt raubt das Zeit, weil ich mich natürlich auf dem neuesten Stand halten will und als Allgemeinmediziner auch die internistischen bzw. in diesem Fall pulmologischen Leitlinien lese.
Wäre es nicht möglich gewesen, mehrere Fachgesellschaften an einen Tisch zu holen und gemeinsam ein Schriftstück für alle zu verfassen? So geschehen bei der Leitlinie zu Harnwegsinfektionen.
Nach dem ersten Lesen der DGP-Leitlinie stellt sich erstmal Erleichterung ein: Im Wesentlichen kann ich so weitermachen wie bisher.
Die Leitlinien unterscheiden sich etwas im Aufbau. Die DGP-Leitlinie hat zwar weniger Seiten, ist aber mit kleinerer Schrift geschrieben und enthält zu Beginn viel mehr Theorie (z.B. über die Pathophysiologie des Hustens). Die DEGAM-Leitlinie ist deutlich praxisorientierter und fängt deswegen erstmal mit den abwendbar gefährlichen Verläufen an, bevor auf die Details der typischen Erkrankungen in der Hausarztpraxis eingegangen wird. Beide Leitlinien geben für die jeweiligen Empfehlungen die Evidenzstärke an, damit man als Anwender einsortieren kann, ob es sich um evidenzbasierte Empfehlungen oder eine Experten-Empfehlung, also eine „eminenzbasierte“ Empfehlung, handelt.
In beiden Leitlinien wird die Klassifikation zwischen einem akuten, subakuten und chronischen Husten als wichtigste Maßnahme hervorgehoben, wobei die DEGAM den subakuten mit dem akuten in eine Kurz-Leitlinie zusammengefasst hat. Es geht also nicht mehr um die Frage „trockener oder feuchter Husten?“, wie in einem DocCheck-Artikel vor kurzem so treffend erwähnt, sondern erstmal um die Frage: „Seit wann husten Sie denn?“
Kleiner Tipp aus der Praxis: Immer nach genauen Zeiträumen (Tagen, Wochen, etc.) fragen. Da Husten die Patienten nämlich oft sehr quält, kann die Angabe „Ich huste schon sooo lange“ schon mal bedeuten, dass eigentlich erst seit fünf Tagen gehustet wird. Ansonsten kann man mit einer entsprechenden Anamnese und klinischer Untersuchung, z.B. Inspektion des Rachens, Abtasten der Hals-Lymphknoten, Abhören von Lunge und Herz, Atemfrequenzbeurteilung, bei den meisten Patienten eine entsprechende Diagnose stellen. Deshalb sprechen sich auch beide Leitlinien dafür aus, nur in unklaren Fällen oder beim Auftreten von Alarmsymptomen, z.B. bei hohem Fieber, Hämoptysen, Atemnot, Immunsuppression überhaupt eine weitere apparative Diagnostik zu erwägen.
Bei den Krankheitsbildern, die in beiden Leitlinien im Kapitel „Akuter Husten“ behandelt werden, gibt es kleinere Abweichungen. Beispielsweise führt die DEGAM die Influenza als eigenen Punkt, den es zu beachten gilt, an. Das kann ich in Anbetracht der letzten Infektsaison nur unterschreiben.
Und auch das Statement, dass man nicht unbedingt einen Erregernachweis anstreben soll, finde ich gut. Meistens ist die Diagnose klinisch relativ eindeutig, sodass man sich das Geld sparen kann, wenn es gleichzeitig keine therapeutische Konsequenz hat.
Andererseits ist der DGP noch die explizite Erwähnung der akuten inhalativen Intoxikation einen Abschnitt wert, während die DEGAM die inhalativen Noxen eher im chronischen Bereich sieht.
Der subakute Husten ist, wie oben schon erwähnt, bei der DEGAM mit dem akuten Husten zusammengefasst, hat aber bei der DGP ein eigenes Kapitel bekommen. Inhaltlich gibt es aber kaum Unterschiede. Handelt es sich um eine postinfektiöse Hyperreagibilität, empfehlen beide Leitlinien die Anwendung von entweder inhalativen Kortikoiden oder von ß-Mimetika.
Von klinischer Seite kann ich das bestätigen, aber sehe ein anderes Problem: In den Fachinformationen der Inhalativa stehen meines Wissens nach nur chronische Atemwegserkrankungen wie Asthma und/oder COPD. Somit benutze ich ein Medikament für eine Erkrankung, für die es nicht zugelassen wurde. Das hat mir auf Nachfrage auch unsere KV bestätigt (ich lasse mich aber gerne korrigieren). Demnach handelt es sich also um einen Off-Label-Use. Dazu äußern sich die Leitlinien nicht, obwohl dies durchaus rechtliche Konsequenzen hat, nachzulesen beispielsweise hier:
Zwar sollte der juristische Aspekt beachtet werden: „Wenn Ärztinnen oder Ärzte ein Arzneimittel im Off-Label-Use verordnen, sind damit auch für sie Risiken verbunden. Wenn schwere Nebenwirkungen auftreten, können sie unter Umständen haftbar gemacht werden.“ Gleichzeitig entlastet die Erwähnung in den Leitlinien uns aber auch: „Daher empfehlen ärztliche Fachgesellschaften, Medikamente nur dann ‚off-label‘ zu verordnen, wenn Leitlinien, Empfehlungen oder wissenschaftliche Studien Belege für den Nutzen des Medikaments liefern.“
Bei den empfohlenen Medikamenten handelt es sich sicherlich um eher ungefährliche Medikamente, die trotz langjähriger Erfahrung nicht für gefährliche Nebenwirkungen bekannt sind. Trotzdem müssten wir eigentlich jeden Patienten darüber aufklären, dass diese Medikamente dafür keine Zulassung haben. Und noch ein Aspekt, den wir als Ärzte eigentlich berücksichtigen müssten: Die Gesetzlichen Krankenkassen bezahlen nur „in Ausnahmefällen Medikamente, die off-label eingesetzt werden“. Bei diesen Ausnahmefällen geht es aber eigentlich um schwerwiegende Erkrankungen, für die bislang keine adäquate/etablierte Therapie existiert. Das ist bei der bronchialen Hyperreagibilität definitiv nicht der Fall. Somit müssten wir eine solche Medikation eigentlich jedes Mal auf Privatrezept verordnen. Aber mal Hand aufs Herz: Macht das jemand?
Aber zurück zur Leitlinie und zum chronischen Husten: Auch da sind sich die beiden Leitlinien im Großen und Ganzen einig, was Ursachen und die jeweilige Therapie angeht. Bei länger dauerndem Husten sollte man einmalig eine Röntgen-Thorax-Aufnahme und eine Mitbeurteilung durch den HNO-Arzt durchführen lassen, um keine Erkrankungen bzw. Tumoren in diesen Bereichen zu übersehen. Wobei man sicherlich darüber streiten kann, inwiefern ein konventionelles Röntgen zum Tumorausschluss ausreicht, vor allem bei starken Rauchern.
Beide Leitlinien weisen explizit auf medikamentöse Nebenwirkungen hin. Und zwar nicht nur klassischerweise auf die Nebenwirkungen von ACE-Hemmern, sondern auch diverse andere (ß-Blockern, Gliptinen, Amiodaron, etc.).
Handelt es sich um einen refluxassoziierten Husten, kann man einen Therapieversuch mit PPI starten, was aber laut beiden Leitlinien in Studien nur begrenzte Wirksamkeit gezeigt hat. Und Vorsicht: Auch PPI können einen Husten auslösen (s.o.)!
Neben diversen anderen Krankheitsbildern, z.B. Eosinophile Bronchitis, Lungenparenchymerkrankungen oder Erkrankungen der oberen Atemwege, die dann den Hustenreflex verstärken, bleibt in beiden Leitlinien noch der Husten „unklarer Genese“ zu erwähnen. Da sind sich die beiden Leitlinien nämlich doch mal uneins: Die DEGAM erwähnt dazu, dass es Studien gebe, die eine psychotherapeutische Behandlung favorisieren, die DGP empfiehlt die Bronchoskopie.
Was für mich aber offen geblieben ist: Warum müssen sich zwei Fachgesellschaften wie die DGP und die DEGAM in zwei verschiedenen Leitlinien zum selben Thema äußern? Mir als Arzt raubt das Zeit, weil ich mich natürlich auf dem neuesten Stand halten will und als Allgemeinmedizinerin damit auch die internistischen bzw. in diesem Fall pulmologischen Leitlinien lese.
Nochmal zurück zu meiner eingangs gestellten Frage: Warum braucht es zwei Fachgesellschaften und zwei Leitlinien? Eine gemeinsame Leitlinie erleichtert es allen Beteiligten, sich zu informieren. Das wäre übersichtlicher und als Arzt wüsste man direkt, woran man ist. Bei Uneinigkeit der Experten besteht die Möglichkeit, noch ein Minderheitenvotum einfügen – das gab es früher auch schon bei gemeinsamen Leitlinien. Die Datenlage ist manchmal einfach nicht eindeutig. Wenn diese Uneinigkeit totgeschwiegen wird und nur beim direkten Vergleich der Leitlinien auffällt, bleibt die wissenschaftliche Beurteilung der Sachlage am Anwender hängen. Und wenn sich schon die Experten nicht einigen können, wie sollen wir dann eine wissenschaftlich fundierte Entscheidung treffen?
Deshalb: Bitte, liebe Fachgesellschaften, einigt euch und bringt gemeinsame Leitlinien heraus. Das spart Ressourcen und erleichtert die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Fachrichtungen – und das nicht nur beim Husten.
Bildquelle: Lucija Ros, unsplash