Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler, Möglichkeiten der Verhütung beim Mann zu entwickeln. Pharmakologisch haben sie ihr Ziel noch nicht erreicht. Jetzt sorgt ein Medizinprodukt für Schlagzeilen: die Samenleiter-Verhütung per Wippschalter.
Kondome sind und bleiben das einzige steuerbare Verhütungsmittel in männlicher Hand. Seit Einführung von Latexvarianten im Jahr 1870 kam es zu keinen weiteren Innovationen. Alternativ bleibt, sich vom Arzt sterilisieren zu lassen: eine nicht immer revidierbare Entscheidung. Hormonelle Strategien führten bislang nicht zum Erfolg. Jetzt fasst Maria Roth, Seattle, den Stand der Forschung in einem Übersichtsartikel zusammen.
Eine „Pille für den Mann“, um die Spermatogenese zu beeinflussen, liege theoretisch im Bereich des Möglichen, so Roth. „Sein“ Hypothalamus setzt das Gonadotropin-releasing Hormon (GnRH) frei. Es stimuliert die Ausschüttung weiterer Faktoren, nämlich des luteinstimulierenden Hormons (LH) und des follikelstimulierenden Hormons (FSH) aus der Hypophyse. LH führt zur Bildung und Freisetzung von Testosteron, das zusammen mit FSH die Spermatogenese ankurbelt. Hohe Testosteronmengen hemmen über Regelkreise die Synthese von LH beziehungsweise FSH – und damit auch die Bildung weiterer Spermien. Soviel zur Theorie. In der Praxis führten 200 Milligramm Testosteron-Enantat intramuskulär bei zwei Drittel aller Männer zu Spermienkonzentrationen von weniger als einer Million pro Milliliter. Um Nonresponder zu identifizieren, mussten Ärzte regelmäßig das Ejakulat untersuchen. Im besten Fall erzielten sie bei der jeweiligen Partnerin Schwangerschaftswahrscheinlichkeiten von einem Prozent im Jahr. Moderne orale Kontrazeptiva für Frauen kommen auf deutlich bessere Werte.
Dass es zu keiner „Pille für ihn“ auf Testosteronbasis kam, hat noch weitere Gründe. In der Praxis war die Testosteronkonzentration im Serum doppelt so hoch, verglichen mit physiologischen Werten. Langfristig drohen Akne, Haarverlust, aber vor allem Hypogonadismus, wie vom Anabolika-Missbrauch bekannt. Regelmäßig erforderliche Injektionen erhöhen die Adhärenz auch nicht unbedingt. Durch die zusätzliche Gabe von Gestagen-Derivaten wie Etonogestrel ließ sich die Testosteronmenge zwar verringern. Auch kam es schneller zur Oligozoospermie. Nebenwirkungen blieben trotzdem nicht aus. Weitere Studien befassten sich mit Testosteron plus Nestoron als Gel oder mit dem synthetischen Androgen Dimethandrolon-Undecanoat. Dass zehn bis 15 Prozent aller Männer auf pharmakologische Strategien zur Unterdrückung der Spermatogenese nicht reagieren, bleibt ein ungelöstes Problem.
Sabatino Ventura, Forscher am Monash Institute of Pharmaceutical Sciences in Melbourne, verfolgt deshalb einen ganz anderen Weg. Er sucht nach Hemmstoffen, um den Transport von Spermien via Ductus deferens zu stoppen. Muskelzellen kontrahieren aufgrund von Impulsen des sympathischen Nervensystems, um Spermien in die Harnröhre zu befördern. An der Steuerung sind zwei Rezeptoren beteiligt. Der bereits zugelassene Arzneistoff Tamsulosin hemmt alpha-1A-adrenerge Bindungsstellen und führt bei 35 Prozent aller Männer zu „trockenen“ Ejakulationen. Ventura schaltete im Tierexperiment zusätzlich den P2X1-Purinrezeptor aus. Da er keinen Arzneistoff zur Verfügung hatte, arbeitete er mit Knockout-Mäusen, denen beide Rezeptoren fehlten. Die Nager waren steril, zeigten aber keine sonstigen Auffälligkeiten. Jetzt sind Pharmazeuten und Chemiker gefragt, um Inhibitoren des P2X1-Rezeptors herzustellen und zu testen. Das kann dauern.
Umso überraschender ist die Idee von Clemens Bimek, einem Tischler. Sein Samenleiterventil (SLV) besteht aus einem Wippschalter im wörtlichen Sinne, der chirurgisch in die Samenleiter eingebracht wird. Mit den Fingern ertasten Männer das Ventil im Hodensack. Zum Öffnen drücken sie den Schalter in Richtung Oberkörper, also in die Richtung, in der auch Spermien fließen sollen. Dadurch wird die entsprechende Fläche des Schalters im Ventilkörper versenkt. Gleichzeitig muss ein Sicherungsstift an der Unterseite des Ventils gedrückt werden. Zum Schließen drückt man den Wippschalter in Richtung Hoden, sodass die hodenseitige Fläche im Ventil versenkt ist. „Der Mann ist steril, kann das Bimek SLV lebenslang tragen und mit einem Klick selbst regulieren“, schreibt Bimek. Mit seiner rein technischen, hormonfreien Lösung konnte er 2014 einen Investor gewinnen. Er rechnet bis 2018 mit der Marktreife. Momentan läuft ein Zulassungsverfahren, wobei der Entwickler betont, ganz auf Tierversuche zu verzichten. Für eine klinische Studie hat er mehr als 2.000 interessierte Männer gefunden. Die Leitung soll Professor Dr. Dr. Hartwig-Wilhelm Bauer aus München übernehmen. Bleibt zu hoffen, dass er mehr Erfolg haben wird als Forscher mit pharmakologischen Ansätzen. Originalpublikation: Male hormonal contraception: looking back and moving forward M. Y. Roth et al.; Andrology, doi: 10.1111/andr.12110; 2016