Ist das Reh an einer für Menschen gefährlichen Infektion gestorben? Wurde der Nachbarshund vergiftet? Lässt sich die Erkrankung des Viehbestands auf die Impfung zurückführen? Diese Fragen beantworten Tierpathologen und ihre Arbeit wird von Jahr zu Jahr wichtiger.
Tagtäglich landen Tierleichen auf Dr. Schwabes Tisch. Um die 7.000 Fälle pro Jahr bearbeitet der Fachtierarzt für Pathologie zusammen mit seinen Kollegen. „Mittlerweile ist die Veterinär-Diagnostik fast auf dem Niveau der Humanmedizin angekommen“, erzählt Schwabe, der am Chemischen und Vetrinäruntersuchungsamt Stuttgart arbeitet. Bei etwa 60 Fällen handelt es sich um Straftaten, Tendenz steigend.
Von den untersuchten Tieren sind 80 Prozent landwirtschaftliche Nutztiere und 20 Prozent Heimtiere, Kleintiere, Pferde, Zootiere, Versuchstiere, Exoten oder heimische Wildtiere. Wie in der Humanmedizin gibt es auch in der Veterinärmedizin ein standardisiertes Prozedere, nach dem die Tiere untersucht werden: Pflegezustand, Alter, Geschlecht und Identität. „Dann suche ich äußerlich nach krankhaften Veränderungen“, erzählt der Experte. „Anschließend beginnt die innere Leichenschau: Man präpariert alle Organsysteme.“ Proben landen im Labor und werden je nach Fragestellung weiter untersucht. „Daraus entstehen schließlich Befunde oder Gutachten zur Verwertung vor Gericht.“ Wie in der Humanmedizin gibt die Erfassung des Todeszeitpunkts so manches Rätsel auf. „Bei dieser Frage müssen wir oft passen,“ sagt Schwabe. In der Humanforensik gibt es Aufzeichnungen über Umweltbedingungen – diese fehlen dem Tierpathologen weitestgehend. Bei Tötungsdelikten werden u.a. die Temperatur der Leiche und die Umgebungstemperatur erfasst, um Anhaltspunkte für den Todeszeitpunkt zu bekommen. Teilweise sammeln Biologen sogar Insekten, deren Lebenszyklus Aufschlüsse über die Liegezeit menschlicher Körper gibt. Tierpathologische Institute sind personell nicht gut genug ausgestattet, um selbst Untersuchungen an Tatorten vorzunehmen. „Meistens kommen wir auch ohne diese Information zu brauchbaren Ergebnissen", sagt Schwabe.
Immer öfter hat es der Tierpathologe mit „Wühltischwelpen“ zu tun: So werden Jungtiere beliebter Hunde- und Katzenrassen genannt, die illegal über die Grenze nach Deutschland kommen. Günstige Preise sind für viele Menschen Grund genug, um zuzugreifen. Allerdings wurden die Tiere unter schlechten Bedingungen aufgezogen und leiden an diversen Krankheiten. Viele verenden rasch. Häufig bringen die viel zu früh von der Mutter getrennten Jungtiere tödliche Infektionskrankheiten wie Parvovirose, Katzenseuche oder Staupe mit. Außerdem bearbeitet Schwabe Verdachtsmomente zu Wildtier-Rissen. Er soll klären, ob ein freilaufender Hund oder vielleicht doch ein Luchs schuldig im Sinne der Anklage ist. An Tatorten war Schwabe noch nie. Ihm stehen jedoch alle gängigen Methoden der Histologie, der Toxikologie, Virologie, Bakteriologie oder Parasitologie zur Verfügung. Genetische Fingerabdrücke macht sein Labor nicht. Anhand des Rissbildes, sprich des Zahnabdrucks, kann er häufig sehen, welche Tierart zum Zuge gekommen ist. Heute gebe es mehr forensische Sektionen in Bezug auf Tierschutz als früher, erklärt Schwabe. „Tierschutzvergehen werden in der Gesellschaft und damit auch bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft und bei Gerichten deutlich ernster genommen“, lautet seine Einschätzung. Die Kriminalstatistik nennt bundesweit rund 6.500 Verstöße gegen das Tierschutzgesetz, Stand 2017. Anfragen kommen meist von Veterinärämtern und Behörden. Ingo Schwabe selbst erzählt von „Animal Hoardern“. Das sind Personen, die sich selbst als Tierfreunde sehen, aber auf engstem Raum mit unzähligen Tieren leben – meist unter schlechten hygienischen Bedingungen. Findet die Polizei eine verendete Kreatur, muss Schwabe klären, ob der Tod mit Vernächlässigung in Zusammenhang steht. Er tritt als Gutachter vor Gericht auf, erfährt aber meistens nicht, welche Urteile letztlich gesprochen werden. Auch humanpathogene Erreger sind ab und zu Gegenstand seiner Untersuchungen. „Ein Fall ist mir noch sehr stark in Erinnerung geblieben“, erzählt Schwabe. Er hat bei einem Reh eine Lungen- und Brustfellentzündung gefunden. Das Leiden tritt bei Wiederkäuern zwar häufig auf und wird durch bakterielle Infektionen mit Mannheimien oder Pasteurellen verursacht. Tatsächlich handelte es sich in diesem Fall um eine Brucellose, sprich einer humanpathogenen Erkrankung durch Brucellen. „Damit hatten wir eine Erstbeschreibung. Dass Brucellose diese Veränderung beim Reh verursachen kann, war zuvor nicht bekannt.“ Glücklicherweise blieb es beim Einzelfall. Dr. Ingo Schwabe, Fachtierarzt für Pathologie © privat
Nicht nur Züchter geraten in Verdacht, auch Tierhalter verhalten sich manchmal verantwortungslos. Hat ein Besitzer das Tier medizinisch nicht versorgen lassen, muss Ingo Schwabe das anhand des Alters von Krankheitsprozessen wie Tumoren oder Verletzungen nachweisen. Das gilt auch für Viehzüchter mit schlechten Haltungsbedingungen. Sie versuchen, verletzte Tiere in den Schlachthof zu bringen, was in Deutschland nicht zulässig ist. Sie behaupten, Verletzungen seien erst beim Transport, aber nicht zuvor, entstanden. Doch solche Lügen kann Schwabe schnell entlarven: „Das können wir zeitlich sehr exakt einordnen.“ Häufig beschäftigt sich der Tierpathologe auch mit Fällen, wo es um vermeintliche Vergiftungen geht. „So ein Verdacht bestätigt sich aber glücklicherweise fast nie“, erzählt er. „Die Fälle der letzten 15 Jahre kann ich an beiden Händen abzählen.“ Ein Fall ist ihm aber in Erinnerung geblieben: Da hatten offensichtlich genervte Nachbarn einem Hund selbstgemachte Hackbällchen zum Fressen gegeben. Der Hund starb. Schwabe fand bei seinen Untersuchungen später heraus, dass die Nachbarn den Hackbällchen reines Coffein beigemischt hatten. Bei anderen Fällen lässt sich der Verdacht auf Vergiftung häufig entkräften: „Meistens lassen sich Symptome einer Vergiftung eher durch Aufnahme weggeworfener und verdorbener Lebensmittel erklären.“ Gezielte Vergiftungen seien bei Tauben häufiger, aber auch nicht so häufig, wie oft kolportiert. Wollen Besitzer auf Nummer Sicher gehen, sind 100 bis 250 Euro für die Untersuchung zu berappen.
Apropos Geld: Schadensersatz-Forderungen sind ebenfalls Thema der Tierpathologie. Landwirte führen Erkrankungen ihres Viehbestands teilweise auf Arzneimittel oder Impfungen zurück. Auch hier muss Ingo Schwabe nachweisen, ob es sich um unerwünschte Effekte oder um Wechselwirkungen handeln könnte. Bei großen Viehbeständen geht es um viel Geld. „Die Frage nach Fehlbehandlungen kommt in dem Zusammenhang ebenfalls auf. Wir finden aber nur selten etwas.“ Aus seiner Erfahrung heraus sei „die Hemmschwelle, gegen Veterinärmediziner zu klagen, niedriger als in der Humanmedizin“.