Als meine Oberärztin anruft, mache ich kleine Freudensprünge: Ich darf einen ZVK legen! Doch meine Euphorie verpufft schnell, als ich den Patienten sehe: Schweißnass und schnaufend liegt er im Spezialbett. Hier stimmt was nicht.
„Du, da ist noch ein ZVK angemeldet. Hast du Lust, den zu legen?“
Der Anruf meiner Oberärztin löst bei mir kleinere Freudensprünge aus. Ein ZVK, oder Zentraler Venenkatheter, ist ein venöser Zugang, der direkt vors rechte Herz geht. So kann man Medikamente schnell und sicher verabreichen. Natürlich ist auch die Anlage eines ZVK, wie so ziemlich alles, was wir tun, nicht ohne Risiko. Deshalb muss man gut abschätzen, ob er wirklich nötig ist.
Wir legen den ZVK in der Regel in eine große Vene am Hals, welche mit dem Ultraschall aufgespürt wird. Ich habe bisher noch nicht so viele dieser Katheter gelegt, weshalb ich mich umso mehr freue, mehr Erfahrungen zu sammeln.
Der Patient wird von der chirurgischen Abteilung auf die Überwachungsstation gebracht, wo ich schon alles Material vorbereitet habe. Doch als ich den Patienten sehe, vergeht mir ein bisschen die Lust.
Er ist massiv übergewichtig – sein BMI ist über 50, lese ich später in der Kurve. Er kann sich kaum bewegen, liegt in einem Spezialbett. Durch das viele überschüssige Fett ist auch sein Hals nur schlecht zugänglich, was das Anlegen des Katheters deutlich erschweren wird.
Doch das ist nicht das Hauptproblem. Mein erster Gedanke ist: „Hui, der sieht schlecht aus.“ Nicht wegen seines Gewichts, sondern es ist mehr ein Gesamteindruck. Vielleicht ist es Intuition, vielleicht auch Erfahrung, aber für mich ist der Patient gar nicht knusper.
Er schnauft wie eine Dampflok. Er schwitzt, obwohl er sich kein bisschen bewegt. Seine Haut ist fahl, die Hand, die er mir zum Gruss reicht, ist kalt, nass und klebrig.
Ich installiere erstmal die Überwachung. Tatsächlich ist seine Sauerstoffsättigung nur bei 76 Prozent, das ist sehr schlecht. Ich gebe ihm Sauerstoff über eine Maske mit Reservoir, damit wirklich die volle Ladung bei ihm ankommt. So kommt er auf eine Sättigung von 88 Prozent.
Sein Puls ist schnell, über 120/min. Auch seine Atmung ist mit 30/min viel zu schnell. Sein Blutdruck ist normal, immerhin etwas. Ich gehe noch einen Schritt weiter und messe sogar seine Temperatur. 39.8°C.
Nun muss ich mich wirklich erstmal so richtig einlesen. Ich rufe meine Oberärztin an und informiere sie über den Zustand des Patienten, dann gehe ich die Diagnoseliste, Laborwerte und Kurve durch.
Ich rufe sogar kurz auf Station an, um mich nach dem vorherigen Zustand zu erkunden. „Bis vor Kurzem war noch alles okay“, bescheidet mir die zuständige Pflegekraft. „Kein Fieber, normale Sättigung. Alles gut. Wir können deine Beschreibung überhaupt nicht nachvollziehen.“ Die letzten gemessenen Werte sind von vor fünf Stunden. Aber na klar, der hat sich sicher auf dem Transport hierher so verschlechtert.
Eigentlich steht für mich fest, dass der Patient septisch ist und auf die Intensivstation gehört, aber das ist nicht meine Entscheidung. Ein Chirurg muss her, der alles in die Wege leitet.
Da wären wir auch schon beim Knackpunkt, denn die zuständige Stationsärztin ist im OP. Ihre Kollegin ist im chirurgischen Rapport, sie komme „dann vielleicht nachher mal vorbei.“ Das ist frühestens in einer Stunde. Ich würde den Patienten gerne direkt auf die IPS geben, aber da ich nur konsiliarisch beteiligt bin, steht mir das nicht zu. Ich bin ja nur Dienstleister, ich soll doch nur den Katheter legen. Stich und schweig, kleines Anästhesistchen.
Allerdings habe ich auch das Gefühl, dem Patienten nicht von der Seite weichen zu dürfen. Die Pflege auf der Überwachung hat viel zu tun, ich möchte ihnen nicht auch noch einen möglicherweise kritischen Patienten einfach so da lassen.
Ich setze mich also in die Nähe und rufe schon mal den Assistenzarzt auf der IPS an. Einfach, um mal auszukundschaften, ob sie dort überhaupt Platz hätten. Er bejaht und bescheidet mir nach meinen kurzen Ausführungen, dass sie den Patienten nehmen würden.
Nun brauchen wir nur noch das O.K. der Chirurgen – doch das lässt auf sich warten. Die Zwischenzeit nutze ich, um doch noch den zentralen Katheter zu legen. Wie erwartet gestaltet sich das Unterfangen rein anatomisch sehr schwierig.
Dazu kommt, dass ich den Patienten nicht so lagern kann, wie ich gern möchte, weil er sich nur ein paar Millimeter weit bewegen kann, und von der Kopftieflage, die mir helfen würde, bekommt er mehr Atemnot. Aber es klappt, was mir lobende Worte meiner Oberärztin einbringt für meinen ersten „ZVK unter widrigen Bedingungen.“
Eine gute Stunde später führe ich ein knappes Telefonat der Stationsärztin, die mir mitteilt, der Patient könne jederzeit verlegt werden. Sie selbst macht aber offensichtlich weder Anstalten, den Patienten selber anzuschauen, noch irgendwas an Übergabe zu organisieren.
Ich helfe also einer Intensivpflegekraft, den Patienten in die IPS zu verfrachten, und mache eine Übergabe, so gut ich kann. Ich ärgere mich ein bisschen über das Desinteresse und mangelnde Engagement der chirurgischen Kollegin. Ich mache hier ihren Job, und ich hätte wirklich Anderes zu tun, als zwei Stunden einen Patienten zu hüten. Aber Hauptsache, der Patient landet da, wo er hingehört und ihm am besten geholfen wird.
Der Fall hat mir wieder einmal deutlich gemacht, wie wichtig es ist, über seinen Tellerrand (in meinem Fall den Auftrag, den Katheter zu legen) hinaus zu sehen. Es lohnt sich, auf Bauchgefühle zu hören, und Patienten als Ganzes einzuschätzen.
Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich den Patienten einfach gestochen und so wieder auf die Normalstation verlegt hätte? Wem wäre es dann aufgefallen, wie sehr er sich verschlechtert hat? Und vor allem, wann wäre es aufgefallen?
Jeder von uns ist ein Zahnrädchen im Uhrwerk der Klinik, und jeder kann seinen Beitrag leisten, um Patienten zu helfen. Das ist das Schöne daran.
Bildquelle: Jim, Flickr