Tagelang klagt eine Frau über ein seltsames Stechen im Hals. Während eines Fernsehabends mit ihrem Partner verschwindet sie kurz im Bad und kommt nicht wieder. Ihr Freund findet sie tot auf dem Boden.
Als der Mann nach seiner Freundin sieht und das Badezimmer betritt, sieht er sie in einer Blutlache auf dem Boden liegen, mit einer Wunde am Kopf. Woran ist die Frau gestorben?
Fünf Tage vor ihrem Tod hatte die 50-Jährige die Notaufnahme aufgesucht, weil sie ein Stechen im Hals spürte, als wäre ein Fremdkörper in ihrer Kehle. Eine Laryngoskopie zeigte keine Auffälligkeiten. Auch auf einer Röntgenaufnahme des Halses war nichts zu sehen. Die Frau wurde wieder nach Hause geschickt, nach vier Tagen erschien sie jedoch erneut in der Notaufnahme wegen einer Dysphagie.
Eine Blut-Analyse ergab: Leukozytose (16.3 x 10⁹/L) mit Neutrophilie (circa 92 Prozent) sowie eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins (38,90 mg/dL). Aufgrund ihrer Krankheitsgeschichte forderten die Ärzte zusätzlich eine psychiatrische Evaluierung an. Der herangezogene Psychiater war in Anbetracht der vorliegenden Beschwerden der Frau und der Ergebnisse der Analyse sicher, dass es sich um ein physisches Problem handelte. Letztendlich wurde der Frau ein Medikament gegen Rhinopharyngitis verschrieben mit der Empfehlung, wiederzukommen, wenn sich die Symptome verschlechtern sollten. Einen Tag später starb sie.
Für einen gewissen Zeitraum stand der langjährige Partner unter Mordverdacht, doch das änderte sich nach der Durchführung einer Autopsie. Dr. César Lares dos Santos ist am National Institute of Legal Medicine and Forensic Sciences in Portugal tätig. Zusammen mit seinen Kollegen untersuchte er den Fall genauer.
Eine Frage beschäftigte das Team: Warum war der Rat eines Psychiaters eingeholt worden? Vom Partner des Opfers erfuhren sie, dass die Frau in der Vergangenheit aufgrund einer psychiatrischen Störung medikamentös behandelt worden war. Vorrangig hingen die Beschwerden mit dem Umstand zusammen, dass sie Jahre zuvor Witwe geworden war. Mit einer psychischen Erkrankung hatten die Beschwerden der Frau aber nichts zu tun, wie sich herausstellte. Die Mediziner fanden ein 3,5 cm langes Stück Holz in der Speiseröhre – einen Zahnstocher.
Die letzte Mahlzeit der Frau waren Salamiwürstchen gewesen, sie hatte wohl versehentlich einen Zahnstocher gegessen. „Traumatische Läsionen der Speiseröhre sind relativ ungewöhnlich bei Erwachsenen“, wird Dos Santos in der britischen Tageszeitung The Sun zitiert. Er geht davon aus, dass der Zahnstocher eine Entzündung auslöste und zu einem Herzversagen führte.
„Plötzliche, unerwartete Todesfälle können Anlass für haltlose Spekulationen geben, besonders wenn Blut am Tatort gefunden wird“, heißt es im forensischen Fallbericht. Die Frau hatte sich den Schädel an den Fliesen des Badezimmerbodens angeschlagen, als sie kollabierte. Außerdem verursachte die Brille, die sie trug, weitere Verletzungen im Gesicht. „Das Opfer hatte blutende Wunden und Familienangehörige verdächtigten den Mann, der seit sechs Jahren Partner der Frau war, den Mord begangen zu haben.“ Bei der Autopsie bemerkten die Forensiker aber, dass der Nacken der Frau leicht grünlich gefärbt war.
Nach der Sektion des Halses und dem Öffnen der Speiseröhre entdeckten sie den Zahnstocher. Das dreieinhalb Zentimeter lange Holzstück steckte im oberen Bereich des Halses und war von Eiter überzogen. Außerdem waren zwei Stichwunden in der Halswand zu erkennen. Durch eine histopathologische und mikrobiologische Untersuchung konnten sie eine aktue bilaterale Entzündung des Halszellgewebes sowie Klebsiella oxytoca nachweisen. Die Autoren ziehen folgenden Schluss: Eine durch den Zahnstocher im Hals ausgelöste Entzündung beeinträchtigte wahrscheinlich sensible Nervenstrukturen, insbesondere den Vagusnerv, wodurch es letztendlich zu einem Herzstillstand kam. Sie weisen auf die ungewöhnliche traumatische Läsion in der oberen Speiseröhre hin und betonen in diesem Zusammenhang, wie wichtig es ist, bei Verletzungen genau hinzusehen.
In ihrer Arbeit raten sie Kollegen zu einem hohen Maß an Skepsis und zum Vermeiden diagnostischer Bias, wie sie etwa wie in diesem Fall aufgrund psychiatrischer Probleme in der Vergangenheit der Patientin zustande kommen können. Nur auf diese Weise könne man die bestmögliche evidenzbasierte Diagnose erzielen.
Textquelle: Dos Santos et al. / Journal of Forensic and Legal Medicine
Bildquelle: Toa Heftiba, unsplash