Die EMA hat eine Zulassungsempfehlung für den SGLT-Inhibitor Sotagliflozin ausgesprochen. Wird das Arzneimittel tatsächlich zugelassen, kann es begleitend zu einer Insulintherapie geschluckt werden. Wie sinnvoll sind orale Antidiabetika plus Insulin bei Typ-1-Diabetes?
Bislang kann ein Typ-1-Diabetiker nur mit Insulin behandelt werden. Das wird vorerst auch so bleiben, doch könnten einige Patienten demnächst zusätzlich mit Sotagliflozin behandelt werden. Der erste duale SGLT-1- und SGLT-2-Hemmer blockiert Glukose-Rücktransporter in der Niere. Dadurch wird weniger Glukose vom Primärharn ins Blut rückresorbiert. Der Blutzuckerspiegel sinkt, während mehr Glukose mit dem Urin ausgeschieden wird. Der Patient profitiert auch von einem Gewichtsverlust.
Der Humanarzneimittelausschuss der EMA (Committee for Medicinal Products for Human Use – kurz CHMP) hat hier eine Zulassungserweiterung für ein orales Antidiabetikum ausgesprochen.
Wirkstoff
Sotagliflozin
Indikation
Add-On-Therapie Diabetes-Typ-1
Substanzklasse
Orales Gliflozin
Wirkungsweise
Dualer SGLT 1/2- Inhibitor
Besonderheiten
Erster Vertreter seiner Klasse
Unerwünschte Wirkungen
Zulassungsstatus
Empfehlung der EMA
Wartestellung bei der FDA
Was ist drin?
Sotagliflozin (Zinquista®)
Wogegen?
Add-On-Therapie gegen Diabetes-Typ-I
Das Besondere?
SGLT-2 ist der Haupttransporter der Glukoserückresorption. Seit dem Jahr 2012 sind selektive SGLT-2-Inhibitoren gegen Diabetes zugelassen. Diese Gliflozine führen zu einer vermehrten Ausscheidung von Glukose und senken neben dem Glukosespiegel auch das Körpergewicht.
Sotagliflozin ist ein dualer Hemmer, der beide Natrium-Glukose-Transporter inhibiert.
SGLT-1 reguliert die Aufnahme von Glukose und Galaktose im Magen und im Darm, SGLT-2 reguliert die Wiederaufnahme von Glukose in der Niere.
Studienlage
Die 24-Wochen-Studie TANDEM-3 untersuchte die Sicherheit und Wirksamkeit von Sotagliflozin bei randomisierten Patienten, die mit Insulin behandelt wurden.
Bei allen vier sekundären Endpunkten erreichte Sotagliflozin signifikant bessere Werte als Placebo. Auch der HbA1c-Wert, dasKörpergewicht und der systolische Blutdruck wurden verändert.
Wie bei SGLT-2-Hemmern üblich, zeigten die Patienten mehr Episoden diabetischer Ketoazidosen. Außerdem kam es zu Diarrhö und genitalen Pilzinfektionen.
Das CHMP empfiehlt die Zulassung von Sotagliflozin als Ergänzung der Insulintherapie zur Verbesserung der glykämischen Kontrolle bei Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes mellitus. Die Therapie richtet sich an Patienten mit einem Body Mass Index (BMI) ≥ 27 kg/m2, die trotz optimaler Insulintherapie keine ausreichende glykämische Kontrolle erreicht haben. Sotagliflozin ist der erste duale SGLT-1 und SGLT-2-Hemmer, der ein Zulassungsverfahren für die EU durchläuft.
In Phase-III-Studien mit 1853 Typ-1-Diabetikern verbesserte das Pharmakon die Blutzuckerkontrolle, die Gewichtsreduktion und den Blutdruck deutlich.
Die Probanden wurden entweder mit 200 mg Sotagliflozin plus Insulin oder Placebo und Insulin behandelt. Als primärer Endpunkt wurde ein HbA1c-Wert von unter sieben Prozent ohne schwere Hypoglykämien oder Ketoazidosen definiert. Unter Sotagliflozin erreichten 28,6 Prozent der Probanden und unter Placebo 15,2 Prozent das Ziel. Das Risiko für Hypoglykämien war unter Verum leicht erhöht.
Die FDA möchte noch mehr Studiendaten sehen, bevor Sie endgültig grünes Licht zur Zulassung gibt. Acht der Berater sprachen sich für eine Zulassung aus, acht dagegen. In ihrer letzten Entscheidung folgte die FDA vorerst der Argumentation der Skeptiker und lehnte den Antrag auf eine Zulassung von Sotagliflozin bei Typ-1-Diabetes ab.
Unter der zusätzlichen Gabe von Sotagliflozin kam es zu einer Abnahme des HbA1c-Werts um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte der Insulintagesdosis um 4 bis 9 Einheiten und des Gewichts um 2 bis 3 kg in 24 Wochen. Demgegenüber stand der FDA aber ein etwa achtfach erhöhtes Risiko für Ketoazidosen.
Bei einer Zulassung wird Sotagliflozin als Zusatz zur Insulintherapie bei erwachsenen Typ-1-Diabetiker indiziert sein, die einen BMI höher als 27 kg/m2 haben und deren Blutzucker trotz optimierter Insulintherapie nicht ausreichend kontrolliert ist.
Was ist unerwünscht?
Bei der Anwendung von SGLT-2-Hemmern sind Nebenwirkungen zu beachten. Durch die erhöhte Glukosekonzentration kommt es häufiger zu Genitalinfektionen, zum Beispiel Scheidenmykosen. Aber durch die erhöhte Glukosekonentration im Darm kann es auch zu gastrointestinalen Störungen wie Diarrhö und Flatulenz kommen. In Studien wurden diese als mild und mit der Zeit abnehmend beschrieben.
Da Sotagliflozin genau wie die SGTL-2-Hemmer eine Ketonbildung begünstigt, treten diabetische Ketoazidosen etwas häufiger auf als unter Placebo. Sowohl die europäische Regulationsbehörde EMA als auch die amerikanische FDA hatten auf dieses Risiko bei der Behandlung von Diabetes mit SGTL-2-Hemmern hingewiesen.
Eine weitere Besonderheit ist, dass die Ketoazidosen mit einem normalen oder leicht erhöhten Blutzucker einhergehen können, sogenannten euglykämischen Ketoazidosen.
Da vermehrt Glucose renal ausgeschieden wird, enthält der Urin vergleichsweise mehr Glukose. Deshalb wurde ein Warnhinweis auf ein Fournier-Gangrän in die Fachinformationen aufgenommen. Bei dieser Erkrankung handelt es sich um eine nekrotisierende Fasziitis des Leisten- und Genitalbereiches. Die Erreger gelangen vermutlich über eine banale oberflächliche Verletzung in die Weichteile, wo sie sich entlang der Faszien ausbreiten.
Das Fournier-Gangrän ist eine sehr seltene, aber lebensgefährliche Infektion. Sie tritt fast ausschließlich bei Männern auf. Die Symptome sind starke Schmerzen, Druckschmerz, Erytheme, Schwellungen im Genitalbereich oder im Bereich des Perineums.
Bewertung
Mit Sotagliflozin steht eine ganz neue Substanzklasse in den Startlöchern der Zulassung. Es ist das erste Gliflozin, dass beide SGLT-Transporter inhibiert. Es soll als Add-On bei einem mit Insulin behandelten Typ-1-Diabetes eingesetzt werden. Damit steht eine innovative Therapieoption zur Verfügung. Auch das lediglich auf einen Transporter wirksame Dapagliflozin könnte demnächst eine entsprechende Indikationserweiterung erhalten.
Artikel von Matthias Bastigkeit
Bildquelle: Nerivill, pixabay
Hier noch ein grundsätzlicher Hinweis unseres Kanal-Experten und Diabetologen Dr. Dirk Hochlenert:
Bei schlanken, insulinbehandelten Typ-2-Diabetikern lohnt sich der Versuch, einen versteckten Typ-1-Diabetes durch die Bestimmung von Antikörpern (GAD-Antikörper beispielsweise) zu erfassen.