Gezielte Eingriffe in das menschliche Erbgut sind der Traum vieler Wissenschaftler. Und ein Tabu, das zunehmend zu bröckeln beginnt. Denn die Forschung kommt dieser Vision gerade wieder einen großen Schritt näher.
Wissenschaftler wollen das Genom gesunder menschlicher Embryonen verändern. Die Versuche sollen am Francis Crick Institute in London stattfinden und wurden bereits von der britischen Aufsichtsbehörde HFEA (Human Fertilisation and Embryology Authority) genehmigt, wie die Zeitschrift Nature berichtet. Weltweit hat damit zum ersten Mal eine staatliche Behörde solche Versuche gestattet. Nur die Zustimmung eines Ethikkomitees steht formell noch aus. Im vergangenen Jahr war bereits bekannt geworden, dass chinesische Wissenschaftler mit dem Erbgut von Embryonen experimentiert hatten. Allerdings waren die Embryonen nicht lebensfähig gewesen. Das Londoner Team um die Molekularbiologin Kathy Niakan will mit wenige Tage alten, befruchteten menschlichen Eizellen arbeiten. Es handelt sich dabei um überschüssige Embryonen aus der In-vitro-Fertilisation, Patienten von Fruchtbarkeitskliniken hatten diese gespendet. Das Forschungsprojekt zielt darauf ab, die Erfolgsraten der Kinderwunschbehandlung und künstlichen Befruchtung zu steigern. Dafür möchten die Londoner Forscher mehr über Prozesse erfahren, die im Frühstadium des Embryos ablaufen. In einem ersten Schritt wollen sie ein OCT4 oder POU5F1 genanntes Regulator-Gen blockieren. Es wird in Zellen exprimiert, die später den Fetus formen und ist für die normale Embryonalentwicklung wichtig. Innerhalb der ersten Woche nach der Befruchtung wollen die Forscher die Experimente beenden und die Embryonen abtöten. Diese befinden sich dann im Blastozystenstadium und bestehen aus bis zu 256 Zellen. Arbeiten werden die Wissenschaftler mit dem Verfahren CRISPR-Cas9. Mithilfe der Technik lassen sich Stellen auf der DNA gezielt ansteuern, um dort Sequenzen herauszuschneiden oder einzuschleusen. Die Entwicklung von CRISPR-Cas9 gilt als Meilenstein in der Forschung, weil es im Vergleich zu älteren Methoden der Gentechnik leichter und schneller anwendbar ist. Bei vielen Forschern hat das die Hoffnung geweckt, Krankheiten durch DNA-Veränderungen heilen zu können. So ließen sich beispielsweise Blutkrankheiten wie die Sichelzellanämie behandeln, indem man die DNA von Blutstammzellen manipuliert. Oder man könnte die T-Zellen von HIV-Patienten so verändern, dass sie widerstandfähiger gegen das HI-Virus werden – Experimente dazu hatte es bereits mit Vorgängertechnologien gegeben.
Allerdings ist das CRISPR-Cas9-Verfahren noch fehleranfällig, wie auch das Beispiel der chinesischen Forscher zeigte, die ebenfalls damit gearbeitet hatten. Ihnen war es nur bei einem Bruchteil der Embryonen gelungen, das gewünschte genetische Material in die DNA einzuschleusen. Dafür hatte die Methode an anderer Stelle das Erbgut verändert und Off-target-Mutationen erzeugt. Sie gehören zu den Risiken bei Eingriffen in das Erbgut und können unabsehbare Schäden im Organismus zur Folge haben. In den Versuchen mit menschlichen Embryonen waren Off-target-Mutationen deutlich häufiger aufgetreten als zuvor in Versuchen mit Mäuse-Embryonen oder adulten menschlichen Zellen. Bei dem Experiment mit Embryonen liegt noch dazu ein besonderer Fall vor: Die Zellen, die manipuliert werden sollen, sind Stammzellen, die sich noch in alle Arten von Zellen weiterentwickeln können. Daher könnte sich das veränderte Erbgut später in den Keimzellen des Embryos wiederfinden, wenn dieser ausgetragen würde, man spricht dabei von einer Keimbahnveränderung. In Folge würden Erbgutveränderungen an die nächsten Generationen weitergereicht.
Im Idealfall könnte man bei Eingriffen an Embryonen Erbkrankheiten wie Mukoviszidose oder Chorea Huntington aus der Keimbahn entfernen. Schlimmstenfalls könnten unerwünschte Mutationen einprogrammiert und an Folgegenerationen weitergegeben werden. Das Austragen genmanipulierter Embryonen ist bisher noch nicht vorgesehen. Es könnte aber einer der nächsten Schritte sein, wenn Versuche wie der geplante erst einmal gelingen. Aufgrund der Risiken hatten amerikanische Forscher bereits kurz vor Erscheinen der chinesischen Publikationen einen Stopp von Versuchen gefordert, bei denen die DNA von Embryonen manipuliert wird. „Unserer Ansicht nach könnten Genomveränderungen menschlicher Embryonen mit den heutigen Technologien unvorhersehbare Effekte auf zukünftige Generationen haben. Das macht es gefährlich und ethisch unakzeptabel‟, schrieben die Wissenschaftler, ebenfalls in der Fachzeitschrift Nature. Auch Christiane Woopen, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und Professorin für Medizin-Ethik, ist gegenüber den geplanten Versuchen skeptisch: „Das ist so ein großer Schritt, dass wir eine gesellschaftlich Auseinandersetzung dazu brauchen.‟ Die DNA sei im symbolischen Sinne das gemeinsame biologische Erbe der Menschheit. „Schon deshalb haben solche Eingriffe eine besondere Dimension‟, sagt Woopen. „Wissenschaftler sollten sich erst einmal zurückhalten, anstatt die notwendige Debatte einfach durch ihr Handeln zu überholen.‟
Woopen fürchtet auch, dass es künftig anstatt um das Heilen um das künstliche Optimieren von Menschen gehen könnte. „All das birgt die Möglichkeit, dass Menschen Eigenschaften eines anderen Menschen von Anfang an nach ihren Vorstellungen gestalten.‟ Falls es denn einmal möglich wird: Warum sollten dann neben einem Schutz vor Krankheiten nicht auch Intelligenz, gutes Aussehen und erfolgsgarantierende Fähigkeiten in die Gene eingepflanzt werden? Bereits die geplanten Versuche dienten ja nicht der Bekämpfung von Krankheiten des Embryos, sondern der Grundlagenforschung und „dem Interesse der Eltern an Fortpflanzung‟, sagt Woopen. Befürworter von Gentherapien hingegen setzen darauf, dass die Methodik immer präziser und weniger fehleranfällig wird. Der Genetiker George Church von der Harvard Medical School wies Ende vergangenen Jahres in einem Aufsatz in Nature darauf hin, dass CRISPR in Zukunft um ein Vielfaches genauer funktionieren werde. Die Technologie sei geeignet, „einen Wandel in der Präventivmedizin‟ einzuläuten. Geneditierungen der menschlichen Keimbahn seien nötig, um Erbkrankheiten zu bekämpfen.
Einen Bann solcher Eingriffe hält Church für den falschen Weg. Der werde „die beste medizinische Forschung behindern‟ und entsprechende Praktiken „in den Untergrund auf den Schwarzmarkt‟ verdrängen. Dann drohe ein unkontrollierter Medizin-Tourismus zu entstehen, der ein erhöhtes Missbrauchsrisiko berge. Statt über Verbote zu sprechen, solle man lieber überlegen, wie man Sicherheit und Effizienz bei Erbgut-Eingriffen fördern könne, so Church. Uneinigkeit herrscht auch darüber, wie die in London geplanten Versuche die internationale Forschung beeinflussen werden. „Die britische Genehmigung wird der Startschuss für ein internationales Wettrennen sein‟, glaubt Christiane Woopen. Und falls die Gentechniker erst einmal in den Wettbewerb treten, könnten schnell weitere Hemmschwellen fallen. Woopen würde ein weltweites Verbot von Experimenten mit der menschlichen Keimbahn begrüßen, weiß aber, dass das unrealistisch ist. Für die internationale Forschung brauche man daher zumindest verbindliche Regeln. Anders als Woopen hofft Sarah Chan, Bioethikerin an der Universität Edinburgh, auf eine positive Signalwirkung der britischen Genehmigung. Andere Länder könnten nun ihre Regularien in Bezug auf die Gentechnik entsprechend überdenken, sagte sie gegenüber Nature. In einem gut regulierten System sei es möglich, zwischen Forschungszwecken und dem Zweck zur Reproduktion zu unterscheiden.