Ungeplante Überstunden, fehlendes Personal, lückenhafte Einarbeitung und ineffiziente Digitalisierung – für viele Assistenzärzte Alltag. Zu diesem ernüchternden Schluss kommt jetzt eine Umfrage des Hartmannbundes. Die Befragten machen auch Lösungsvorschläge.
Die Statistiken sind eindeutig: Deutsche Assistenzärzte machen viele Überstunden, die weder erfasst noch anerkannt werden. Das ist das Ergebnis der großen HB-Assistenzarztumfrage 2018/19. An der Umfrage beteiligten sich gut 1.440 Mediziner, davon etwa 1.000 Frauen. Die Befragten arbeiten zum größten Teil in kommunalen oder privaten Krankenhäusern sowie Unikliniken (jeweils circa 31, 17 und 19 Prozent). Gut ein Drittel von ihnen ist in der Inneren Medizin beschäftigt.
Bei den üblichen Arbeitszeiten kommt es gleich zu mehreren Konflikten. Mehr als ein Viertel der Assistenzärzte arbeitet pro Woche bis zu 55 Stunden, rund 14 Prozent arbeiten sogar mehr als 60 Stunden. Dabei gibt mehr als ein Drittel der Befragten an, bis zu sechs Stunden ungeplante Mehrarbeit pro Woche zu leisten. Fast 37 Prozent liegen noch darüber und arbeiten wöchentlich zum Teil bis zu 15 Stunden zusätzlich.
Mehrarbeit gibt es auch im Bereitschaftsdienst, trotz einer vorgeschriebenen Begrenzung der tatsächlichen Arbeitszeit. Über 70 Prozent der Befragten hielten fest, immer oder häufig mehr als die zulässige Beanspruchung im Bereitschaftsdienst zu leisten.
Das Problem: Wunsch und Wirklichkeit bezüglich der Arbeitszeiten liegen weit auseinander. Knapp 99 Prozent der jungen Ärzte sagen, mit einer Wochenarbeitszeit zwischen 30 und 46 Stunden hätten sie eine zufriedenstellendere Work-Life-Balance. Erschwerend kommt hinzu, dass nur gut die Hälfte der Mediziner den Eindruck hat, Überstunden unkompliziert nachhalten zu können – wenn überhaupt eine Möglichkeit zur Erfassung besteht. Denn: Knapp 50 Prozent geben an, ihre Überstunden nicht erfassen oder anerkennen lassen zu können. Selbst Pausenzeiten können fast 40 Prozent der Befragten selten oder so gut wie nie einhalten. Und gut 74 Prozent berichten, sie seien schon arbeitsunfähig zum Dienst erschienen, aus Angst, sie würden sonst die Kollegen im Stich lassen.
Die dünne ärztliche Personaldecke scheint eine der Hauptursachen für die Masse an Überstunden zu sein. Nur knapp die Hälfte der befragten Assistenzärzte hat den Eindruck, die Abteilungen seien ausreichend besetzt. Selbst hier wird angegeben, dass es bei Personalausfällen dennoch immer wieder zu großen Problemen kommt. Mehr als ein Drittel erleben schon die Normalbesetzung als mangelhaft oder ungenügend.
Ein weiterer Grund liegt im Arbeitsaufwand für Aufgaben wie Dokumentation, Organisation, Anträge und Recherche. Fast 80 Prozent der Mediziner verwenden mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit für diese überwiegend administrativen Erledigungen. Dazu kommt eine häufige Dopplung der Dokumentation (bei über 60 Prozent oft oder sehr oft) und mangelhafte Digitalisierung der Arbeitsprozesse und -materialien.
Mehr als zwei Drittel der Befragten erleben diese als ineffizient, bei gut 20 Prozent sind sie gar nicht vorhanden. Ob Digitalisierung dafür eine Rolle bei der Weiterbildung spielt? Nein, geben über 85 Prozent an. Und das, obwohl fast die Hälfte der Assistenzärzte den Eindruck hat, dass effiziente Digitalisierung Abhilfe bei den bestehenden Problemen schaffen könnte.
Die Folgen sind spürbar ernst. Gut 68 Prozent der Befragten bemerken, dass die hohe Arbeitsbelastung sich auf ihr Privatleben auswirkt. Soziale Kontakte nehmen ab, Partnerschaften zerbrechen. Und auch beruflich kommt der wichtige menschliche Kontakt oft zu kurz: Knapp 74 Prozent finden, dass sie sich nur manchmal oder selten genug Zeit für ihre Patienten nehmen können. Zusätzlich werden die Mediziner dabei häufig mit Situationen konfrontiert, für die sie noch nicht bereit waren. Bei etwa 70 Prozent kommt das sogar täglich oder mehrmals pro Woche vor.
Versäumnisse oder Fehleinschätzungen sind hier keine Seltenheit – und können schnell gefährlich werden. Rund 69 Prozent räumen ein, bei sich selbst oder Kollegen schon patientengefährdende Fehler beobachtet zu haben. Dementsprechend schlecht beurteilen die Befragten den Umfang und die Qualität ihrer Einarbeitung. Diese wird von etwa 56 Prozent der Assistenzärzte nur als ausreichend oder sogar mangelhaft bewertet. Mehr als ein Viertel schätzt die Möglichkeit, Rücksprache mit den zuständigen Vorgesetzten zu halten und Feedbackgespräche zu führen, als schlecht oder sehr schlecht ein.
Um ihre berufliche Situation zu verbessern, schlagen die Assistenzärzte einige Änderungen vor. Engere Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und anderen Abteilungen stehen ebenso auf der Liste wie die Reduzierung von Protokollen, Zeitdruck und Überstunden. Aber auf die Frage, was sich generell ändern und verbessern müsste, reagierten einige der jungen Ärzte auch mit Überforderung: „Oh je, wo soll ich anfangen ... . Sprengt wohl den Rahmen, tut mir leid“, schreibt einer der Befragten.
Bildquelle: Yuya Tamai, Flickr