Während Humanmediziner auch nach dem Physikum hauptsächlich ihre theoretischen Kenntnisse erweitern und vertiefen, wird es für die Zahnärzte von morgen ernst: Irgendwann muss man ja mit dem Bohren beginnen. Ein Blick hinter die Klinik-Kulissen der Uni Würzburg.
Der Tag, auf den jeder Zahnmedizinstudent hinarbeitet, ist der erste Behandlungstermin am eigenen Patienten. Zum ersten Mal schaut man in einen fremden Mund und ist für die Zähne eines anderen verantwortlich. „‚Entfernen Sie die Karies und dann zeigen Sie es mir mal‘ – so oder so ähnlich wurde man vom Assistenzarzt in die erste Behandlung geschickt. Mit anfangs noch leichter Nervosität erfolgte der Griff zum Winkelstück, der Patient öffnete schon reflexartig den Mund“, berichtet Maximilian Bock, im neunten Semester an der Uni Würzburg, von seiner ersten Patientenbehandlung. „Eine Umstellung war es zu Beginn schon, dass man nun einen lebenden Patienten statt eines Plastikkopfs vor sich hat, der sich bewegt, Schmerz empfindet und seine Halswirbelsäule leider nicht um 180 Grad drehen kann. Es dauert seine Zeit, bis man reibungslos mit der stark eingeschränkten Sicht zurecht kommt – bis dahin ist Geduld gefragt und eine hilfreiche Assistenz, die aus ihrer Perspektive immer nützliche Hinweise geben kann. Umso bereichernder ist es, wenn die Behandlung erfolgreich abgeschlossen ist und der Patient glücklich nach Hause geht.“ Auch Wieland Holzknecht, der inzwischen das 10. Semester an der Uni Würzburg erreicht hat, erinnert sich: „Man macht sich vor der ersten Behandlung mega in die Hose und wenn es rum ist, ist man der König der Welt. Die Patienten sind super nett und die Zehntsemester helfen einem gut durch. Es gibt eigentlich nichts zu befürchten, da man eigentlich alles, was man wissen muss, im Phantomkurs gelernt hat.“
In der Uni-Zahnbehandlung behandeln Studenten selbstständig ihre Patienten. Dabei stehen sie unter strenger Aufsicht von Assistenz- und Oberärzten. In Würzburg teilen sich vier Studenten eine Box, d. h. einen Behandlungsstuhl. Daran arbeiten sie dann immer schichtweise zu zweit: ein Student behandelt, der andere assistiert. Jedes Semester hat (je nach Uni) ungefähr 30 bis 50 Studierende, die von wissenschaftlichen Mitarbeitern/Assistenzärzten, Oberärzten und dem Direktor oder den Direktoren der Abteilung in wechselnder Besetzung betreut werden. „Als Assistenzärztin arbeite ich neun Halbtage in der Woche. Ein Drittel meiner Arbeitszeit verbringe ich im Studentenkurs“, erzählt Dr. Britta Hahn, Assistenzärztin in der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie in Würzburg. In der Zahnklinik als Lehrkrankenhaus finde die Hauptbehandlung durch Studenten statt. Das bedeute natürlich auch, dass sehr gründlich gearbeitet würde, erklärt sie weiter. Jeder einzelne Arbeitsschritt, angefangen bei Vorstellung und Anamnese, wird von einem Zahnarzt testiert. Wenn dann bei den einzelnen Behandlungsschritten noch nicht alles stimmt, muss der Student noch einmal nacharbeiten. Ab und zu müsse man auch als Assistenzarzt selbst Hand anlegen, meint Dr. Hahn. Die Behandlung ist erst beendet, wenn ein perfektes Ergebnis erreicht ist. Die Studenten sind froh über die Hilfe. „Die Assistenzärzte kontrollieren jeden Zwischenschritt und stehen mit Rat und Tat zur Seite, falls es mal Probleme gibt“, meint Bock und mehr noch hat auch „der Professor als letzte Instanz stets ein offenes Ohr. Größere konservierende Arbeiten wie Kronen wandern zur Qualitätskontrolle vor der Behandlung über seinen Tisch“. In der Vorklinik und im ersten klinischen Semester findet die Vorbereitung durch Übungen an Phantomeinheiten (Dummies sozusagen) und Kommilitonen statt (z. B. Zahnreinigung und Spritzenkurs). „Etliche Stunden wurde jeder Handgriff am Phantomkopf geübt, sodass die ersten Behandlungen meistens besser liefen als gedacht“, so Bock.
Da sich die zahnmedizinische Versorgung innerhalb der letzten Jahrzehnte in Deutschland stark verbessert hat und viele Menschen als Gewohnheitstiere immer zu ihrem angestammten Zahnarzt „ums Eck“ gehen, herrscht an einigen Unis immer wieder Patientenmangel. Einige Studenten suchen sich dann selbst ihre Patienten im Verwandten- und Bekanntenkreis zusammen. Andererseits kann es bei erhöhter Nachfrage infolge äußerst überzeugender „Mund-Propaganda“ auch mal zu Wartezeiten kommen. Ein besonders bestechender Vorteil ist der verhältnismäßig günstige Preis. Die prothetische Behandlung ist in Würzburg beispielsweise bis zu 30 % günstiger als beim niedergelassenen Zahnarzt, da Laborarbeiten ohne zahnärztliches Honorar berechnet werden. In der konservierenden Abteilung sind die sonst circa 80 Euro teuren Kompositfüllungen im Frontzahnbereich zuzahlungsfrei, Seitenzahnfüllungen sind um 80 % günstiger.
„Vor allem Rentner schätzen die Zahnklinik“, sagt Dr. Hahn. „Die Würzburger kennen die Klinik.“ Viele ältere Patienten freuen sich über den Kontakt mit jungen Leuten und lassen sich schon jahrelang von Studenten behandeln. Rentner bringen die dafür nötige Zeit mit und manchmal auch ihr Fotoalbum. In ihrer Studentenzeit ist das Dr. Hahn selbst passiert: „Bei einer prothetischen Versorgung verbringen die Studenten über einen längeren Zeitraum viel Zeit mit ihrem Patienten, da entstehen sogar richtige Freundschaften.“ Die Patienten möchten dann zum Beispiel auf Fotos ihre Familie oder einen Teil ihres Lebens zeigen. Annette Marquardt, eine ehemalige Patientin, ist hochzufrieden mit dem Ergebnis der Studentenbehandlung: „Die damals eingesetzte Teilkrone ist immer noch da; inzwischen seit über 20 Jahren.“ Sie ließ sich in ihrer Studienzeit an der Zahnklinik in Bonn behandeln. Als Gründe dafür nennt sie „Unzufriedenheit mit ihrem vorherigen Zahnarzt und die Empfehlung ihrer Schwester, die damals an der Uniklinik arbeitete.“ Marquardt hat sich stets gut aufgehoben gefühlt, nicht zuletzt wegen der regelmäßigen Kontrollen durch Assistenz- und Oberärzte oder den Chefarzt. Allerdings war die Behandlung auch sehr zeitaufwendig. „Die Atmosphäre war angenehm. Wenn ich Zeit hätte, würde ich wieder hingehen.“ Patient kann eigentlich jeder sein, das Behandlungsspektrum ist breit.