Ein Typ-2-Diabetiker mit schwerer Fettstoffwechselstörung muss intensivmedizinisch behandelt werden. Das Blut des Patienten ist milchig weiß und derart zähflüssig, dass es das Plasmapheresegerät verstopft. Um das Leben des Patienten zu retten, greifen die Ärzte zu einer ungewöhnlichen Methode.
Ein 39-Jähriger stellt sich mit Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen in einer Notaufnahme vor. Der Mann ist Typ-2-Diabetiker und muss täglich mehrere Medikamente einnehmen, darunter 100 mg Sitagliptin, 10 mg Dapagliflozin und 40 mg Pantoprazol. Bei Aufnahme weist er einen Glascow Coma Score von 7 auf, der sich bald bis auf 4 verschlechtert.
Kurz darauf muss er auf die Intensivstation verlegt und beatmet werden. Die Blutanalyse zeigt, dass der Patient an schwerer Ketoazidose leidet. Ein weiteres Resultat der Analyse überrascht: Während ein Triglycerid-Wert unter 150 mg/dl als normal gilt, sind Werte über 500 mg/dl bereits bedenklich hoch. Der Wert des Patienten liegt jedoch noch weit darüber – bei erstaunlichen 18.000 mg/dl.
Um das Fett aus dem Blut des Patienten herauszufiltern, entscheiden sich die Ärzte neben einer konventionellen Therapie dafür, eine Plasmapherese durchzuführen. Doch dabei ergibt sich ein Problem: Das Blut ist durch die Hypertriglyceridämie milchig weiß, extrem viskos und verstopft die Schläuche des Geräts. Auch ein zweiter Versuch schlägt fehl.
„Wir mussten uns schnellstens eine Alternativtherapie überlegen“, kommentiert Co-Erstautor Dr. Paul Bröckelmann, Notfallmediziner und Assistenzarzt der Klinik für Innere Medizin der Uniklinik Köln rückblickend. „Um eine Plasmapherese durchführen zu können, hätten wir das Blut des Patienten in einer nicht durchführbaren Weise drastisch verdünnen müssen.“
Die Ärzte entscheiden sich schließlich für eine recht ungewöhnliche Methode – den Aderlass. Dabei nehmen sie dem Patienten insgesamt zwei Liter Blut ab und ersetzen es mit Erythrozytenkonzentraten, gefrorenem Frischplasma und isotoner Kochsalzlösung. Der Plan geht auf: Die Triglycerid- und Cholesterinwerte sinken rasch deutlich ab. Endlich ist auch die Plasmapherese möglich, wodurch die Werte nochmals gesenkt werden können. Gemeinsam mit der konservativen Therapie sind nach fünf Tagen die neurologischen Symptome und metabolischen Veränderungen des Patienten vollständig abgeklungen.
Heute gilt der Aderlass zwar als längst überholte Methode, war zu früheren Zeiten jedoch einer der häufigsten medizinischen Eingriffe. Dr. Bröckelmann erklärt: „Wichtig ist, dass man in so einer Situation ‚outside the box‘ denkt und alle Therapiemöglichkeiten in Betracht zieht. So sind wir schließlich auf diese heutzutage unkonventionelle Methode gekommen.“ Dieser bislang beispiellose Fall zeige, dass der Aderlass in Ausnahmefällen auch heute noch seinen Zweck erfüllt. Er fügt hinzu: „Natürlich handelte es sich hierbei um eine Einzelfallentscheidung in einer Situation, wo Standard- und apparative Maßnahmen an ihre Grenzen stoßen. Aber eine Übertragung auf andere Fälle, denen eine Hyperviskosität zugrunde liegt, könnte möglich sein.“ Er nennt die Beispiele Hyperproteinämie oder Leukozytose bei hämatologischen Erkrankungen.
Wie es bei dem Patienten zu diesem extremen Ausmaß der Hypertriglyceridämie kommen konnte, darüber mutmaßt Dr. Bröckelmann wie folgt: „Das Übergewicht, die vorbestehende Insulinresistenz und die Tatsache, dass der Patient seine Medikamente inklusive neuer oraler Antidiabetika unregelmäßig eingenommen hat, sind mögliche Gründe für die massive Ausprägung. Vermutlich spielt auch eine genetische Prädisposition eine Rolle, wobei keine primäre höhergradige erblich bedingte Fettstoffwechselstörung festgestellt werden konnte.“