Meine Patientin für die Hüft-OP ist extrem kritisch. Sie beäugt mein Namensschild, buchstabiert Müller und schreibt die Uhrzeit unseres Gesprächs in ihr kleines Büchlein. Außerdem fragt sie sich, wann denn endlich die richtigen Ärzte kommen, um sie zu behandeln.
Medikamentenwechsel, Visiten und Anmerkungen der Gesundheits- und Krankenpfleger werden penibel genau notiert. Die Aufklärungen für ihre OP (Hüftprothese, Thromboseprophylaxe, etc.) liegen kopiert auf ihrem Nachttisch, einzelne Sätze sind grell markiert hervorgehoben.
Heute besuche ich sie einen Tag, nachdem ich ihre Hüftprothese implantiert habe. Zusammen mit meinem Oberarzt natürlich, einem der Hauptoperateure in unserem EndoProthetikZentrum der Maximalversorgung.
Bereits vor der Operation stellte ich mich ihr vor und untersuchte sie. Aber das scheint sie tatsächlich vergessen zu haben. Es war früh und die Angst vor der Operation war vielleicht zu groß.
Der Stationsarzt, der sie diese Woche betreut, fing mich bereits auf dem Gang ab. „Lieschen. Sei vorsichtig. Sie ist wirklich extrem ängstlich. Sag ihr bloß nichts Kritisches. Das bade ich sonst die ganze Woche aus. Sie glaubt mir nichts, immer soll ich einen Oberarzt holen. Selbst die gerichteten Tabletten soll ich mit ihr durchgehen. Sie traut mir nichts zu.“
Jarin, der neue Kollege, ist erst seit Kurzem bei uns. Er hat vor wenigen Monaten seine Approbation erhalten und ist voller Ehrgeiz und Eifer. Er ist klein, etwas untersetzt, trägt eine dicke Brille und plumpe Schuhe. Seinen Arztkittel trägt er nie und seine eigenen T-Shirts sind ungebügelt.
Als ich nun vor dem Patientinnenbett stehe, habe ich Jarin dabei. Ich habe ihn gezwungen, seinen Arztkittel anzuziehen, ihn zuzuknöpfen, sein Namensschild auf Brusthöhe zu hängen, sein Stethoskop in die Tasche zu stecken, seine Haare aus dem Gesicht zu kämmen und seine Brille zu putzen. Außerdem weise ich ihn an, gerade zu stehen und die Schultern zurück zu nehmen.
Am Bett erkläre ich der Patientin lächelnd, dass die Operation wunderbar komplikationslos verlaufen ist und sie sich nun endlich auf eine schmerzfreie Beweglichkeit freuen darf. Sie ist zufrieden und bedankt sich. Bisher habe sie noch gar keinen Arzt gesehen und sei etwas verunsichert gewesen.
Ich stelle ihr nun Jarin als ihren Stationsarzt vor, der diese Woche jeden Tag einmal zur Visite kommen wird, bis sie in die Reha entlassen wird. Sie erkennt ihn nicht, notiert seinen Namen in ihr Büchlein und lächelt ihn an: „Dann bin ich ja bestens aufgehoben.“
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