Wenn ein Mensch krank ist, behandle ich ihn. Egal, ob es der krebskranke Raucher oder der trinkende Leberzirrhotiker ist. Und egal, ob er meine Sprache spricht oder nicht.
Seit der Flüchtlingswelle vor einigen Jahren kommt es immer häufiger vor, dass man in der Notaufnahme mit Patienten zu tun hat, die schlecht bis gar kein Deutsch oder Englisch sprechen. Immer häufiger höre ich dann auch abschätzige Bemerkungen von Kollegen, die mich etwas wütend stimmen. Nicht nur über Neuankömmlinge, sondern auch über Menschen, die schon länger im Land sind. „Die ist schon seit fünf Jahren hier und kann noch immer kein Deutsch”.
Klar, es ist schwierig, zu kommunizieren. Aber ich stelle mir vor, wie beängstigend es sein muss, wenn man flüchten musste und dann einen operativen Eingriff braucht, den man nicht oder kaum versteht. Man bekommt Infusionen, und weiß nicht, was einem verabreicht wird. Man wird gestochen, untersucht, muss sich ausziehen und hat wenig Ahnung, was mit einem geschieht. Man kann nur vertrauen und hoffen, dass alles gut geht.
In den meisten Fällen gibt es Angehörige, Freunde oder andere Helfer, die in so einer Situation übersetzen. Ob vor Ort oder über die Lautsprecherfunktion des Telefons. Hilfreich sind auch Zeichnungen oder Skizzen. Bei uns gibt es auch plastische Modelle, die sogar auch bei Deutsch sprechenden Patienten sehr hilfreich sind.
Egal ob Sprache, Konsumverhalten oder (Un-)Sportlichkeit – wir sollten alle Patienten mit Respekt und Fürsorge behandeln. Rassistisch angehauchte Bemerkungen sind in diesem Kontext oder anderswo nie angebracht. Vielleicht ist der seit fünf Jahren in Deutschland lebende Patient Analphabet, hat nie schreiben oder lesen gelernt. Vielleicht lebt die nicht Deutsch sprechende Frau hauptsächlich mit der Familie, ist Hausfrau und eingebettet in das Universum ihrer Angehörigen und hat, aus welchem Grund auch immer, nie Deutsch lernen können oder wollen.
Wenn ein Mensch krank ist, behandeln wir ihn. Wir behandeln Menschen mit Krebs, den sie vielleicht bekommen haben, weil sie sich ungesund ernährt und hunderte Zigaretten geraucht haben. Wir behandeln den Leberzirrhotiker, der trinkt oder getrunken hat. Wir behandeln Patienten mit Diabetes und Hypertonie, die ihr ganzes Leben nie Sport getrieben haben. Und wir behandeln Menschen, die eine andere Sprache sprechen.
Bildquelle: Mate Marschalko, flickr