In der Praxis höre ich es ständig: „Der Kleine will immer noch nicht alleine schlafen!“ Überall suchen Eltern Hilfe, auch im Internet. Aber ausgerechnet eine Pressemitteilung des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte führt auf direktem Wege zurück in die 80er.
In jeder Kinderarztpraxis hört man es fast täglich:
„Herr Doktor, wir sind völlig verzweifelt, die kleine Marie will immer noch nicht alleine in ihrem Bett schlafen.“„Aber sie ist doch auch erst vier Monate alt.“„Aber in der Krabbelgruppe schlafen alle schon alleine. Und auch durch.“
„Herr Doktor, was sollen wir nur tun. Der Josip kommt jede Nacht dreimal. Dann weint er ganz viel. Und am Ende lege ich mich zu ihm, dann kann er ruhig schlafen.“„Schlafen Sie denn dann alle besser?“„Ja, auf jeden Fall. Dann schlafen wir alle durch.“
„Herr Doktor, seitdem das Baby auf der Welt ist, möchte Emmaluise wieder zu uns ins Bett. Das geht doch nicht.“„Warum denn nicht?“„Jedes Kind muss doch irgendwann mal schlafen lernen, oder?
So oder ähnlich fragen viele Eltern beim Arzt nach. Sie suchen auch im Internet nach Hilfe und finden am Ende vielleicht diese Pressemitteilung unseres Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ):
Ein- und Durchschlafprobleme sind häufig bei Kindern. Bereits ein Baby kann, ohne dass es Eltern bemerken, Gewohnheiten entwickeln, die zu Schlafproblemen führen. Schrittweise kleine Veränderungen können dann helfen, dieses Verhalten zu verändern.
„Wenn ein Baby sich daran gewöhnt hat, nur einzuschlafen, wenn Vater oder Mutter neben ihm liegt, so fordert es dieses Ritual immer ein – auch wenn es zwischendrin aufwacht. Hier sollten Eltern das Kind schrittweise ‚entwöhnen‘. Dabei sollte ein Elternteil anfangs nicht mehr im Bett liegen, sondern auf dem Bett sitzen, dann zu einem Stuhl wechseln, um schließlich ganz aus dem Zimmer zu gehen und das Kind alleine einschlafen zu lassen“, erläutert Prof. Dr. Hans-Jürgen Nentwich, Kinder- und Jugendarzt sowie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) das Vorgehen.
Eltern sollten sich über das Schlafbedürfnis in den verschiedenen Altersstufen informieren und bei individuellen Unterschieden von ihrem Kinder- und Jugendarzt beraten lassen. Über das individuelle Schlafbedürfnis eines Kindes kann die Dokumentation des Schlafverhaltens Auskunft geben. Viele Eltern wissen zum Beispiel nicht, dass es normal ist, wenn Vorschulkinder etwa 20 Minuten und Grundschulkinder und Jugendliche etwa 30 Minuten brauchen, bis sie einschlafen können.
„Bei größeren Kindern ist es u.a. wichtig, dass sie das Bett nur zum Schlafen nutzen und nicht für andere Aktivitäten, wie z.B. fernsehen oder Hausaufgaben machen“, erklärt Professor Nentwich. Entspannung kann das Einschlafen erleichtern. Bei kleinen Kindern kann eine Kindermassage schlaffördernd wirken und bei größeren Kindern die progressiv Muskelentspannung nach Jacobson, manchmal ist auch eine kognitive Verhaltenstherapie zielführend.
Folgende Maßnahmen gehören zu einer guten Schlafhygiene:
Soweit der BVKJ. Ich persönlich finde vor allem den ersten Absatz des wissenschaftlichen Beirats bedenklich. Wir kehren wieder zurück zum „Entwöhnen“ der Babys, zurück zu „Jedes Kind kann Schlafen lernen“. Das ist doch sehr anachronistisch, oder? Es ist schade, dass eine Institution wie unser Berufsverband solche Empfehlungen abgibt.
Schließlich ist es auch Teil der Vorbeugung des Plötzlichen Kindstodes, dass vor allem Säuglinge im Schlafzimmer der Eltern schlafen sollen. Aber das alleine ist es ja noch gar nicht. Zu viel Druck lastet auf den Eltern, wenn ihnen suggeriert wird, dass Kinder ab einem bestimmten Alter alleine einschlafen oder durchschlafen müssen. Ich dachte in den letzten Jahren, dass wir uns von diesen alten Vorstellungen gelöst hätten.
Eltern sind jedenfalls in der Praxis sehr beruhigt und viel gelassener, wenn ich ihnen empfehle, einen ureigenen Weg zu finden, wie alle ruhiger schlafen können. Ob das am Ende das gemeinsame Familienbett ist oder das Schlafen im eigenen Bett und eigenen Zimmer, bleibt doch jeder Familie selbst überlassen, oder? Es hakt immer erst dann, wenn ein Part schlechter wegkommt: Wenn die Kinder nicht schlafen können oder auch die Eltern. Im schlimmsten Fall beide. Echte Schlafprobleme, wie sie in der Pressemitteilung suggeriert werden, entstehen nicht durch das Co-Sleeping, sondern durch andere Probleme oder Schwingungen in der Familie.
Etwas mehr Gelassenheit würde der Diskussion auf jeden Fall gut tun, die Wissenschaft sollte man hier besser nicht bemühen. Es geht doch vielmehr um Nähe, Beziehung und Geborgenheit.
Welche Erfahrungen habt ihr mit dieser Thematik in eurer Praxis gemacht?
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