Eine Aneuploidie tritt oft schon früh im Verlauf einer Tumorentwicklung auf und verursacht Stress bei der DNA-Verdopplung. Ein Ungleichgewicht des Enzymkomplexes MCM2-7 konnte als wichtiger Faktor in der eskalierenden genomischen Instabilität der Zellen identifiziert werden.
Bekannt ist, dass es im Verlauf von Krebserkrankungen oftmals schon sehr früh zu einer Veränderung der Chromosomenzahl kommen kann. Möglicherweise tritt dieses als Aneuploidie bezeichnete Phänomen sogar bereits vor den gefürchteten Genmutationen auf, welche als die eigentlichen Auslöser von Tumorleiden gelten. „Wir wollten wissen, ob die Veränderung der Chromosomenzahl direkt zu Genmutationen beiträgt“, erklärt Storchová.
Dafür nutzte das Team in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Batsheva Kerem an der Universität in Jerusalem sowie der Gruppe von Wigard Kloosterman am University Medical Center in Utrecht auch eine Methode, die bislang nur von wenigen Teams weltweit erfolgreich eingesetzt wurde: den Chromosomentransfer. Dabei werden zunächst einzelne Chromosomen isoliert und in Empfängerzellen eingebracht. Über den Vergleich mit identischen Zellen ohne Extra-Chromosom lassen sich dann die Auswirkungen der Aneuploidie im Detail entschlüsseln. Viele Krebszellen sind aneuploid. Das heißt, sie besitzen mehr oder weniger Chromosomen als gesunde Zellen. Die veränderte Chromosomenzahl (pink) führt zu einer deutlich höheren Rate an DNA-Schäden. @ V. Passerini, MPI für Biochemie Dabei zeigten die aneuploiden Zellen eine deutlich höhere Rate an DNA-Schäden, sowie eine verstärkte Umorganisation ihrer genetischen Elemente. „Wir sehen, dass das zelluläre Ungleichgewicht der Chromosomen schwerwiegende Folgen hat“, sagt Verena Passerini, Erstautorin der Studie und Mitarbeiterin in der Gruppe von Zuzana Storchová. Chromosomen enthalten die Gene und damit die Bauanleitungen für die verschiedenen Proteine, welche die eigentlichen Funktionsträger der Zellen sind. Von ihrer Funktion hängt das zelluläre Gleichgewicht ab. „Überzählige oder fehlende Chromosomen wirken sich auf die Proteinproduktion aus, von denen dann entsprechend mehr oder weniger hergestellt werden. Vermutlich verursacht dieses Ungleichgewicht Stress, der die betroffenen Zellen schädigt ‒ und das gesamte System aus der Balance bringt“, ergänzt Passerini.
Die Forscher konnten mit dem Enzymkomplex MCM2-7 einen verantwortlichen Faktor identifizieren. Dieser Komplex aus sechs Proteinen ist essentiell für die Verdopplung der DNA bei der Zellteilung. In den aneuploiden Zellen war weniger MCM2-7 als normal vorhanden. Die reduzierten MCM2-7 Mengen führten zu Beeinträchtigungen bei der DNA-Verdopplung und infolgedessen zur Umorganisation von Teilen der Chromosomen sowie zu Genmutationen. Durch eine Erhöhung der Menge an MCM2-7 konnten die Defekte zum Teil behoben werden. „Wir konnten erstmals zeigen, welche massiven Auswirkungen die Aneuploidie auf wichtige Zellfunktionen haben kann“, so Storchová. „Eine Abweichung der Chromosomenzahl verursacht Stress bei der DNA-Verdopplung, was zu genetischer Instabilität führt.“ Klar ist nun auch, dass Defekte wie die Aneuploidie, die bereits im frühen Entwicklungsstadium von Tumoren auftreten, weitere genetische Schäden verursachen können. „Die Anfangsphasen von Krebs sind schwierig nachzuvollziehen“, so Storchová. „Unsere aneuploiden Zellen bieten ein neues Modellsystem für Prozesse, die Krebserkrankungen vorantreiben.“ Originalpublikation: The presence of extra chromosomes leads to genomic instabilityVerena Passerini et al.; Nature Communications, doi: 10.1038/NCOMMS10754; 2016