Infektionen mit humanen Papillomaviren werden fast immer im Zusammenhang mit sexuell übertragbaren Krankheiten erwähnt. Es scheint aber auch andere Übertragungswege zu geben. Können HP-Viren auch von Mund zu Mund übertragen werden?
In manchen Fällen könnte das Humane Papillomavirus (HPV) auch nicht-sexuell übertragen werden. Davon gehen Schweizer Autoren eines Case Reports aus: In der Uniklinik Bern stellte sich eine 18-Jährige vor, weil sie hartnäckige Probleme mit ihrer Stimme hatte.
Die Ärzte entdeckten bei ihr eine weiße Läsion am rechten Stimmband, die sich trotz ihres benignen Aussehens als mikroinvasives Plattenepithelkarzinom entpuppte. Auslöser war der HPV-Genotyp 45. Das Karzinom konnte komplikationslos komplett entfernt werden. Innerhalb der nächsten vier Jahre trat kein Rezidiv auf.
Bei der Suche nach dem Übertragungsweg mussten die Ärzte nahezu kriminalistische Fähigkeiten entwickeln. Vier Jahre vorher war die junge Frau mit dem tetravalenten Impfstoff Gardasil geimpft worden, der gegen HPV-6, 11, 16 und 18 schützt – offenbar hatte dies keinen Schutz gegen das verwandte HPV-45 erzeugt. Die Patientin hatte angegeben, 2012 ihren ersten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Es gab keinen Hinweis darauf, dass eine oro-genitale Übertragung stattgefunden hatte.
Missbrauch und auch eine Übertragung von der Mutter während der Geburt wurden ausgeschlossen. Ihre weitere Anamnese ergab, dass die Infektion möglicherweise durch das Mundstück einer Klarinette erfolgt sein könnte, die die junge Frau seit ihrer Kindheit spielte. Die Mundstücke kommen beim Musizieren mit Speichel in Kontakt, sodass eine Infektion über das Austauschen denkbar war.
Allerdings lässt der Report Fragen offen. Der Nachweis von HP-Viren auf dem Mundstück ist aus mehreren Gründen nicht möglich: Die Viren sind in der Umgebung begrenzt lebensfähig und die junge Frau muss sich drei oder mehr Jahre zuvor angesteckt haben, denn es dauert einige Zeit, bis sich ein Karzinom entwickelt. Außerdem ist im Paper nicht im Einzelnen genannt, was über die Anamnese alles ausgeschlossen wurde, zum Beispiel eine Infektion über das Küssen (oral-oral). Dennoch: Den Autoren der Studie zufolge war dies die erste Beschreibung eines nicht-sexuell übertragenen HPV-assoziierten Larynxkarzinoms. Auch Prof. Norbert H. Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft e.V, hält eine Infektion über die Klarinette für durchaus denkbar.
Die weltweit größte HPV-Studie unter jungen Paaren zeigt, wie HPV-Infektionen bei heterosexuellen Geschlechtspartnern verteilt sind und auf welchem Weg sie übetragen werden. In der HITCH-Studie wurden junge Studentinnen zwischen 18 und 24 Jahren aus Montreal (Kanada) und ihre männlichen Partner beobachtet. Dabei wurden mehr als 500 Paare über jeweils zwei Jahre hinweg eingeschlossen – auch später wechselnde männliche Partner wurden aufgenommen. Bei den Teilnehmern wurden zu Beginn und im späteren Studienverlauf mehrmals HPV-Typisierungen an Proben aus dem Mundraum, den Händen und der Genitalien vorgenommen. Außerdem beantworteten die Teilnehmer Fragebögen u.a. zu Sexualpraktiken.
Es ist die erste Studie zu HPV-Infektionen bei der auch Sexualpartner beteiligt sind und die einzige, die auf Paare beschränkt ist, die maximal 6 Monate zusammen sind. Dieser Zeitraum wurde aus folgendem Grund gewählt: innerhalb dieser Zeitspanne finden in einer Beziehung die meisten Übertragungen statt.
Das Ergebnis: Bei 69,1 Prozent der Paare war mindestens ein Partner mit wenigstens einem HPV-Typ infiziert, insgesamt betrug die Prävalenz in der Kohorte 55,8 Prozent. Wenn beide Partner das HPV trugen (49,0 %), handelte es sich nicht zwingend um dieselben Typen, aber die Übereinstimmung war wesentlich größer als erwartet, was für eine schnelle Übertragung spricht. 41,4 Prozent trugen denselben HPV-Typ, viermal häufiger als Menschen, zwischen denen keine Partner-Beziehung bestand. Kondome schützen signifikant, aber unvollständig vor der Infektion.
Die Prävalenz von HPV im Mundraum betrug bei Männern 7,2 Prozent. Häufiger war das Vorkommen bei Rauchern (12,2 %), Männern in nicht-monogamen Beziehungen (17,9 %) und wenn ihre Partnerin oral (28,6 %) oder genital mit HPV infiziert war (11,5 %), ein Hinweis darauf, dass HPV oral-oral oder genital-oral übertragen wird.
HPV-Typen von den Händen waren in den genitalen Proben der Partner nur 0,5-2,3-fach häufiger vertreten. Im Gegensatz dazu fanden sich bei beiden Partnern mit 19-28-facher Wahrscheinlichkeit dieselben HPV-Typen in den genitalen Proben. Die Autoren folgern daraus, dass es sich in den meisten Fällen um eine Autoinokulation zwischen Hand und Genitalien derselben Person handelt. Sie halten eine Übertragung von Hand zu Genitalien für eher unwahrscheinlich und gehen davon aus, dass sie in der Regel durch direkten Genitalkontakt erfolgt.
Professor Dr. Norbert H. Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft e.V., hat ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass Autoinokulationen eine größere Rolle spielen: „Bei Frauen mit Zervixveränderungen treten auch vermehrt anale Veränderungen auf, vermutlich durch Schmierinfektionen. Es gibt Hinweise darauf, dass diese bei HPV durchaus ernst zu nehmen sind.“
Es gibt mehr als 100 verschiedene HPV-Typen, von denen 14 von der WHO als kanzerogen eingestuft und als „high-risk“-Typen bezeichnet werden. Sie verursachen am häufigsten Gebärmutterhalskrebs, aber auch andere anogenitale oder oropharyngeale Tumoren wie im Fall der jungen Musikerin. 70 Prozent aller Zervix-Karzinome und der präkanzerösen Läsionen werden durch die Typen 16 und 18 verursacht. 2018 starben etwa 311.000 Frauen an Gebärmutterhalskrebs, die meisten von ihnen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.
Eine medikamentöse Therapie zur Eliminierung der Infektion gibt es nicht. Ein therapeutischer Impfstoff zur Behandlung von zervikalen intraepithelialen Neoplasien bis Grad III, verursacht durch HPV-16 oder 18, befindet sich in der Entwicklung – Ergebnisse einer klinischen Phase-III Studie werden 2020 erwartet.
Seit gut zehn Jahren stehen prophylaktisch wirkende Impfstoffe zur Verfügung, mit denen junge Mädchen geimpft werden, bevor sie sexuell aktiv werden. Durch die Impfung soll eine „Herdenimmunität“ erzielt werden, die nach und nach zu immer weniger Infektionen führt. In Deutschland ist die Impfrate mit ca. 31 Prozent der Mädchen dafür viel zu gering, weshalb die STIKO Mitte letzten Jahren auch eine Impfempfehlung für Jungen von 9-14 Jahren ausgesprochen hat.
Brockmeyer ist der Meinung, dass die vorhandenen Möglichkeiten, vor allem die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche, besser genutzt werden müssen: „Daten aus Amerika zeigen, dass Kinder, die früh aufgeklärt und gegen HPV geimpft werden, später sexuelle Kontakte haben und seltener an sexuell übertragbaren Infektionserkrankungen wie beispielsweise Chlamydien erkranken. Darauf sollten wir reagieren: Wir müssen in die Schulen gehen und besser aufklären. Impfgegner werden wir nicht unbedingt überzeugen, weil man Glaubenssätzen mit realen Argumenten schlecht begegnen kann. Aber wir müssen dafür sorgen, dass wir die anderen Kinder geschützt bekommen.“
Der Deutsche Ethikrat hat Ende Februar in Berlin getagt und sich mit der nachlässigen Impfpolitik und den geringen Impfraten beschäftigt. „Wir brauchen erstens ein Impfregister als Forschungsressource und als Möglichkeit zur gezielten Kommunikation, zweitens Zurückhaltung gegen pauschale Zwangsmaßnahmen in die Allgemeinbevölkerung hinein und drittens eine Fokussierung der Maßnahmen auf die Verantwortungsträger, insbesondere die Ärzteschaft“, fasst Wolfram Henn, Leiter der Arbeitsgruppe „Impfen als Pflicht?“ die Vorschäge der Experten zusammen.
In Australien, wo die Impfrate mit über 80 Prozent vorbildlich ist, werden einer aktuellen Studie zufolge bis 2035 nur noch vier Zervixkarzinome pro 100.000 Einwohner erwartet. Sie gehen davon aus, dass Gebärmutterhalskrebs bis 2099 in 149 von 181 Ländern kein größeres Gesundheitsproblem mehr darstellen wird, wenn konsequent geimpft und Krebsvorsorgeuntersuchungen wahrgenommen werden. Sie erwarten, dass bis 2069 etwa sieben Millionen Fälle vermieden werden können, wenn die Impfrate weltweit bis 2020 auf 80-100 Prozent gesteigert wird. Durch nur zwei Vorsorgeuntersuchungen im Alter von 35 und 45 Jahren bei 70 Prozent aller Frauen könnten ihren Berechnungen zufolge in den nächsten 50 Jahren nochmals knapp sechs Millionen Fälle vermieden werden.
In Japan hatte die Regierung 2013 ein Impfprogramm gestartet, das mit einer Impfrate von über 70 Prozent zu guten Erfolgen kam. Bis Impfgegner kurz darauf gefälschte Studiendaten und eine Medienkampagne in Verkehr brachten, in denen über Einzelfälle mit schweren Impfreaktionen berichtet wurde. Die Regierung zog die Impfempfehlung daraufhin zurück. Später stellte sich jedoch heraus, dass es sich bei den „Nebenwirkungen“ um psychosomatische Reaktionen gehandelt hatte, die keinerlei Zusammenhänge mit einer HPV-Impfung hatten. Eine später in Nagoya durchgeführte anonyme Befragung von geimpften Mädchen und Frauen ergab ebenfalls keine Hinweise auf Impfreaktionen. Trotzdem sank die Impfrate in Japan bis heute auf unter ein Prozent, obwohl die Impfung nach wie vor kostenlos ist.
Brockmeyer gibt zu bedenken: „Wir müssen uns fragen, ob wir als Ärzte, die für die Gesundheit zuständig sind, unsere Aufgabe ernst genug nehmen, um unsere Kinder und Jugendlichen zu schützen. Wir haben nicht nur das Problem mit Zervixkarzinomen, sondern auch HPV-induzierte Penis-/Analkarzinome und vor allem pharyngeale Karzinome, die immer mehr zunehmen und von der Quantität mittlerweile bedeutender sind als Zervixkarzinome.“
Artikel: Karen Zoufal
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