Sie ist die häufigste Ursache für Neuerblindung: Die altersbedingte Makuladegeneration ist schwer aufzuhalten. In der Gentherapie sieht die Forschung eine potenzielle Waffe gegen AMD. Molekularbiologen gehen einen anderen Weg. Sie setzen auf die Stammzelltherapie.
Altersbedingte Makuladegenerationen (AMD) sind mit knapp 41% die häufigste Ursache für Neuerblindungen in Deutschland. Rund 6,9 Millionen Menschen sollen laut Gutenberg-Gesundheitsstudie der Unimedizin Mainz bundesweit betroffen sein.
Während sich bei der feuchten Form unerwünschte Gefäßneubildungen mit VEGF-Inhibitoren unterbinden lassen, haben Augenärzte bei der trockenen Form keine evidenzbasierte Therapiemöglichkeit. Das wollen Forscher aus Oxford ändern. Sie untersuchen erstmals Patienten, ob es per Gentherapie gelingt, die trockene AMD zu behandeln.
Trockene AMD: Pilotstudie mit zehn Patienten
Die Phase I/II-Studie steht unter Leitung von Prof. Dr. Robert McLaren von der Universität Oxford. Industrieller Partner ist das forschende Start-up Gyroscope Therapeutics. Insgesamt sollen zehn Patienten eingeschlossen werden. Laut BBC-Bericht erhielt bislang eine 80-jährige Patientin mit trockener AMD die Gentherapie – und zwar nur am linken Auge. Sie hat die Anwendung gut vertragen.
McLaren greift einen bereits lange diskutierten Ansatz auf. Neben dem Alter und dem Nikotinkonsum gilt ein überaktives Komplementsystem als Risikofaktor. Mehrere Genorte wurden identifiziert. Im Experiment bringt der Forscher intakte DNA-Abschnitte mit Adeno-assoziierten Viren als Vekoren ein. „Die Idee ist, das Komplementsystem zu deaktivieren, aber nur in betroffene Regionen“, so McLaren gegenüber der BBC. „Eine frühzeitige Behandlung zur Erhaltung der Sehkraft bei Patienten, die sonst ihr Augenlicht verlieren würden, wäre ein enormer Durchbruch in der Ophthalmologie und sicherlich etwas, das ich in naher Zukunft sehen möchte“, so McLaren zur BBC. Es sei noch zu früh, um zu beurteilen, ob der Sehverlust am linken Auge gestoppt werden könne. Das Studiendesign sieht 48 Wochen als Nachbeobachtungszeit vor. Primärere Endpunkte sind die Sicherheit und die Verträglichkeit. Als sekundäre Endpunkte kamen funktionale Parameter hinzu. Wie bewertet ein Experte die Berichte?
Wir stehen noch am Anfang
„Bei der Gentherapie der AMD stehen wir noch recht weit am Anfang“, sagt Prof. Dr. Dr. Dominik Fischer im Gespräch mit DocCheck. Er ist Oberarzt an der Klinik für Augenheilkunde des Uniklinikums Tübingen. „Es handelt sich um eine Pionierleistung von Prof. Robert McLaren und seinem Industriepartner, erstmals das Prinzip beim Menschen anzuwenden.“ Bis zu den finalen Studienergebnissen und im besten Fall bis zur Zulassung könnten noch viele Jahre vergehen, und so manche Therapie würde im so frühen Entwicklungsstadium auch wieder verworfen. „Ohne solche Studien käme man aber auch nicht zu neuen Therapien“, ergänzt der Experte. „Derzeit lässt sich noch nicht abschätzen, wie erfolgreich McLarens Ansatz ist.“ Im Idealfall sei die Anwendung nur einmal nötig. „Das sehen wir bei anderen Gentherapie-Studien auch in der Praxis.“
Das Auge – ein ideales Organ für Gentherapien
Fischer: „Das Auge ist generell das ideale Organ für Gentherapien – in dem Bereich herrscht wissenschaftlich rege Aktivität.“ Warum sich Augen so gut eignen, erklärt der Experte so: „Man kann ein Auge behandeln und es mit dem nicht behandelten Auge vergleichen.“ In dem kleinen Organ muss nur wenig Gewebe therapiert werden. McLaren habe sein Therapeutikum unter die Netzhaut gespritzt. Intravitreale Gaben, das sind Spritzen in den Glaskörper, reichen in diesem Ansatz nicht aus. Augen sind nicht nur für Interventionen leicht zugänglich. Es gibt präzise, hoch aufgelöste Messverfahren, um Effekte zu untersuchen. „Und nicht zuletzt sind kaum systemische Nebenwirkungen zu erwarten, weil es sich beim Auge um ein geschlossenes System handelt“, sagt Fischer. Er weist außerdem auf das Immunprivileg unserer Augen hin, Mehrere Barrieren wie die die Blut-Kammerwasser Schranke und die Blut-Netzhaut Schranke schirmen unsere Augen stark vom körpereigenen Immunsystem ab. Es kommt seltener zu Immunreaktionen gegen virale Vektoren. Das Thema wird intensiv bearbeitet, wie weitere Studien zeigen.
Feuchte AMD: Erste Ergebnisse
Bereits Mitte 2017 stellte Jeffrey S Heier aus Boston zusammen mit Kollegen Ergebnisse zur feuchten AMD vor. Sie schlossen 19 Patienten ein, die bereits unter straken Beschwerden litten. Hier ging es vor allem um die Sicherheit und Verträglichkeit, weniger um die Wirksamkeit. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten nicht auf. Nur elf Patienten hätten aufgrund der Erkrankungsphase überhaupt Chancen auf eine Verbesserung gehabt, schreibt Heier. Tatsächlich fand er bei sechs dieser elf Teilnehmer zu Effekten wie einer Verbesserung des Visus oder einem Rückgang der Flüssigkeitsmenge im Auge.
Es geht auch ohne Gentherapie
Molekularbiologen sehen in Gentherapien nicht den einzigen Weg, um verschiedene AMD-Formen zu therapieren. Zwei Studien zeigen, welche Potenziale in Stammzellen stecken. Lyndon da Cruz vom University College London (UCL) arbeitet an der feuchten AMD. Der Wissenschaftler experimentierte mit kleinen, abbaubaren Kunststoffmembranen. Im Labor kultivierte sie darauf 100.000 retinale Pigmentepithelien pro Patch. Basis waren induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS). Anschließend transplantierte da Cruz das Gewebestück zwei Patienten im subretinalen Raum direkt hinter der Makula. Die Zellen integrierten sich, sobald ihr Trägermaterial abgebaut worden war. Nach einem Jahr hatte sich der Visus deutlich gebessert. Im Artikel schreiben die Autoren, sie rechnen in fünf Jahren mit der Verfügbarkeit ihres Implantats.
Deutlich schlechter sieht es bei trockener AMD aus, hier gibt es lediglich Daten aus Tierexperimenten. Ruchi Sharma vom National Eye Institute, Bethesda, arbeitete ebenfalls mit Transplantaten, die retinale Pigmentzellen aus iPS trugen. Sie integrierten sich problemlos in die Netzhaut von Nagern bzw. Schweinen, bei denen Sharma eine künstliche Atrophie erzeugt hatte. Demnächst soll eine klinische Studie folgen.
Reden wir über Geld
Mit welchen Kosten innovative Therapien zu Buche schlagen, lässt sich derzeit nicht abschätzen. Luxturna® (Voretigen-Neparvovec) zeigt zumindest eine Größenordnung. Bei Voretigen-Neparvovec handelt es sich um eine In-vivo-Gentherapie zur Behandlung der Leberschen kongenitalen Amaurose (LCA). Das Gentherapeutikum wurde bei der seltenen Form der erblichen Blindheit zugelassen. Medien nennen 850.000 US-Dollar als Preis. Bei der häufigeren AMD ist mit etwas niedrigeren Kosten zu rechnen, aber ein erheblicher Beitrag wird sicherlich fällig werden.
„Patienten, speziell junge Patienten, gewinnen durch die Behandlung ein hohes Maß an Lebensqualität – und das über einen langen Zeitraum“, erklärt Fischer. Gesundheitsökonomisch gehe es um den Gewinn an qualitätskorrigierten Lebensjahren (quality-adjusted life year oder QALY). Fischer: „Bei der AMD muss man sehen, wie stark der Effekt ist. Erst dann ist eine Kalkulation möglich.“
Bildquelle: Marcelo Augusto, pexels