Der Im- und Export von Proteinen zwischen Zellkern und Zellplasma wird an den Kernporen selektiert. Das Shuttle-Protein CRM1 ist ein vielseitiger Transporter, der nicht nur zwischen vielen Zellen differenzieren kann, sondern auch den Rücktransport verirrter Proteine steuert.
In Zellen von Pilzen, Pflanzen und Tieren herrscht strikte Arbeitsteilung: Sie sind in verschiedene Kompartimente gegliedert, die spezielle Aufgaben übernehmen. Im Zellkern ist das Erbgut gespeichert, das die Baupläne für die Produktion von Proteinen enthält. Die Proteinfabriken allerdings, die nach diesen Anleitungen arbeiten, befinden sich außerhalb des Kerns im Zellplasma. So müssen nicht nur Baupläne aus dem Zellkern exportiert, sondern auch fertige, im Zellkern benötigte Proteine importiert werden.
Um diese logistische Herausforderung zu meistern, muss die Zelle großen Aufwand betreiben. Die Kernporen in den Hüllmembranen des Zellkerns fungieren dabei als hochselektive Sortieranlagen, die nur kleine Moleküle direkt passieren lassen. Größeres „Frachtgut“ benötigt einen molekularen Passierschein und ist auf seinem Weg durch die Kernpore auf Exportine und Importine angewiesen. Doch die Sicherheitskontrolle an der Kernpore funktioniert nicht perfekt – und das mit weitreichenderen Folgen als bisher gedacht. Dies zeigen neue aufwendige Proteomik-Experimente des Teams um Dirk Görlich am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. In einem ersten Schritt ermittelten die Forscher für 5.000 verschiedene Proteine am Modell des Krallenfrosches, in welcher Menge sie jeweils im Zellplasma und im Zellkern vorhanden waren. „Wir haben bei dieser ‚Inventur’ wichtige Aufschlüsse darüber erhalten, welche Proteine wo ihre Arbeit verrichten“, berichtet Samir Karaca, Mitarbeiter in Görlichs Abteilung Zelluläre Logistik. Im nächsten Schritt ermittelten die Wissenschaftler, welche Art von Proteinen vom Exportin CRM1 transportiert wird. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass CRM1 als Transporter beeindruckend vielseitig ist. In Zellen vom Krallenfrosch und vom Menschen erkennt CRM1 bis zu 1.000 verschiedene Frachtmoleküle, die es aktiv aus dem Zellkern herausschafft. Bei Hefezellen sind es rund 700“, ergänzt Erstautor Koray Kirli.
„Überraschenderweise sind die Mehrheit der Frachtmoleküle Proteine, die ausschließlich im Zellplasma vorkommen, im Zellkern aber bisher nicht gefunden wurden“, so Karaca weiter. Dass solche Proteine die Shuttle-Dienste von CRM1 benötigen, macht daher auf den ersten Blick keinen Sinn. „Wenn wir CRM1 jedoch in seiner Shuttle-Funktion blockieren, ergibt sich ein völlig anderes Bild: Dann sehen wir im Zellkern plötzlich auch Zellplasma-Proteine, die sich scheinbar dorthin verirren und allein – ohne Hilfe von CRM1 – nicht mehr herausfinden. Wir vermuten, dass CRM1 den Rücktransport verirrter Proteine so schnell und effizient bewerkstelligt, dass wir ihr extrem kurzes Intermezzo im Zellkern mit verfügbaren Methoden gar nicht erfassen können. Offensichtlich ist CRM1 nicht nur der universellste Transporter in der Zelle. Er arbeitet auch als höchst aufmerksamer und effizienter ‚Lotse’, der falsche Proteine im Zellkern erkennt und umgehend hinausschafft“, sagt Görlich. „Unsere Experimente legen nahe, dass es im Zellkern häufiger Irrläufer gibt als bisher gedacht. Versehentlich in den Zellkern gelangte Proteine schnellstens zu exportieren, scheint daher ein lebenswichtiger Vorgang zu sein. Wenn sich mit der Zeit immer mehr Proteine im Zellkern anreichern, die dort nicht hingehören, könnte dies die Funktion der Kommandozentrale empfindlich stören“, so Henning Urlaub. Die Erkenntnisse erlauben neue Einblicke, wie die Zelle mithilfe von CRM1 ihre Kompartimentierung aktiv aufrechterhält und sich so vor Schaden schützt. Originalpublikation: A deep proteomics perspective on CRM1-mediated nuclear export and nucleocytoplasmic partitioning Koray Kirli et al.; eLIFE, doi: 10.7554/eLife.11466; 2016