Stell dir vor, du wirst im Dienst alarmiert. Ein bislang vollkommen unbekannter Patient zerlegt in wilder Raserei eure schöne Notaufnahme. Was tust du? Und vor allem: Welche Medikamente nimmst du mit?
Meine Kurzantwort: Ich würde in diesem Fall vier Medikamente einpacken.
Damit ist man gut gerüstet.
Mein Vorgehen: Die Frage nach der Ursache
Das Bild oben zeigt ein gut mitnehmbares Ampullarium, in das man die Medikamente seiner Wahl einsortieren kann, dann ist man für einen solchen Notfall unabhängig von einem zusätzlichen Notfallrucksack gut vorbereitet. In der Mitte sieht man die für die nasale Gabe von Midazolam gedachte Spritze.
Generelle Empfehlungen und Leitsymptome
Und nun zur ausführlichen Version der Antwort. Über das Thema kann man ganze Bücher schreiben. Das ist zum Glück auch schon erfolgt, eines der guten Bücher hierzu ist „Mein erster Dienst – Psychiatrische Notfälle“ von Jan Klein.
Die amerikanische Gesellschaft für Notfallpsychiatrie hat außerdem ein Konsensuspapier vorgestellt, das sehr praxisnah das Vorgehen in Abhängigkeit von der vorläufigen diagnostischen Einschätzung beschreibt und wirklich lesenswert ist. Auch der deutschsprachige Artikel von Messer et al. ist sehr empfehlenswert.
In einigen der Psychopharmakologie Büchern findet man ebenfalls ein Kapitel hierzu, auch in meinem Buch „Psychopharmakotherapie griffbereit“ gibt es ein ausführliches Kapitel zu psychiatrischen Notfällen, in dem ich einleitend einige grundsätzliche Überlegungen beschreibe.
Leitsymptome: Hinweise auf eine somatische Ursache
Es gibt einige wenige Leitsymptome, die man heranziehen kann, um zu einer ersten Verdachts- und Arbeitsdiagnose zu gelangen.
Gerade bei unbekannten Patienten ist es wichtig, sich klar zu machen, dass eine Reihe von körperlichen Erkrankungen akute Erregungszustände verursachen können. Schon eine einfache Unterzuckerung oder Luftnot können eindrucksvolle agitierte Zustände bewirken. In diesen Fällen muss natürlich die Ursache behoben werden, um den Erregungszustand zu beenden und dem Patienten gerecht zu werden. Hinweise auf eine somatische Ursache des Erregungszustandes können zum Beispiel sein:
Gibt es solche Hinweise, ist es besonders wichtig, gründlich nach der möglichen somatischen Ursache zu suchen, um diese spezifisch behandeln zu können.
Leitsymptome: Hinweise auf eine psychiatrische Ursache
Es gibt auch Leitsymptome, die auf eine psychiatrische Ursache hinweisen können. Dabei sollte man aber nicht davon ausgehen, dass ein Erregungszustand eine psychiatrische Ursache hat, wenn man keine somatische Ursache gefunden hat. Eine Ausschlussdiagnostik ist das nicht. Mögliche Hinweise auf eine psychiatrische Ursache sind zum Beispiel:
Und um ehrlich zu sein gibt es in der Praxis auch den Erregungszustand unklarer Ursache. Man findet keinen belastbaren Hinweis, weder in die eine noch in die andere Richtung. Dennoch muss man handeln, damit von der Notaufnahme noch etwas übrig bleibt.
Die Gabe von Midazolam nasal hat verschiedene Vorteile:
Haloperidol i.m. plus Diazepam i.v.
Die alte 10/10 Regel (10 mg Haloperidol und 10 mg Diazepam) klingt zwar antiquiert, wirkt aber bei ernsten Erregungszuständen mit einer realen Gefahr für Leib und Leben des Patienten und des Mitarbeiters verlässlich. Auch aktuelle Untersuchungen [paywall], die die vermeintlich verträglicheren atypischen Neuroleptika in dieser Indikation mit Haloperidol vergleichen, kommen zum Ergebnis, dass Haloperidol in einer maßvollen Dosis eine gute Wahl ist.
Bei älteren Patienten sind eher 2,5 bis 5 mg die richtige Dosis, bei jungen und kräftigen Patienten eher 10 mg. Und diese Studien können naturgemäß nur zustimmungsfähige Patienten einschließen, der echte Erregungszustand ist grundsätzlich nicht geeignet, eine 32-seitige Zustimmung zu einer Doppelblindstudie zu unterschreiben. Haloperidol/Diazepam ist also weiterhin eine state of the art Behandlung, zumindest in dieser sehr engen Indikation.
Podcast-Empfehlung
Abschließend noch eine Empfehlung: Es gibt eine interessante Podcastfolge des Podcasts PsychPharm Update zu dem Thema, ihr findet sie hier.
Bildquelle: Ryan McGilchrist, flickr