Viele Patienten stehen kurz nach ihrer Entlassung wieder in der Klinik auf der Matte, insbesondere ältere Menschen. Schuld daran sind unter anderem „optimierte“ Liegezeiten und eine fragwürdig kalkulierte Kostenerstattung. Schicken Ärzte ihre Patienten zu früh nach Hause?
Vor zehn Jahren herrschte in den US-amerikanischen Krankenhäusern ein beständiges Kommen und Gehen. Damals musste einer von fünf Medicare-Versichterten innerhalb eines Monats nach der Entlassung erneut stationär aufgenommen werden. Medicare ist die öffentliche und bundesstaatliche Krankenversicherung für Menchen mit Behinderung und Menschen ab 65 Jahren. Ein Programm der Obama-Regierung sollte die vielen Wiederaufnahmen in den US-Kliniken reduzieren. Schien die Maßnahme zunächst erfolgsversprechend, ist mittlerweile fraglich, ob das Programm die Gesundheit von Patienten aufs Spiel setzt, heißt es in einem Bericht der News York Times. Wie lassen sich erneute Aufnahmen –auch in Deutschland– verhindern, ohne dass die medizinische Versorgung leidet?
Mit dem „Patient Protection and Affordable Care Act“, bei uns besser bekannt als „Obamacare“, etablierte die US-Regierung 2012 das sogenannte „Hospital Readmissions Reduction Program.“ Krankenhäuser mussten jetzt Strafen zahlen, falls sie innerhalb von 30 Tagen mehr Patienten wiederaufnahmen als andere Krankenhäuser dies im gleichen Zeitraum taten. Die Regelung betraf Patienten mit Herzinsuffizienz, Herzinfarkt, mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), Pneumonien, Hüft- oder Kniegelenksendoprothetik sowie mit Koronararterienbypass. Das sind die häufigsten Interventionen bei älteren Menschen. Ein Effekt blieb nicht aus: Plötzlich wurden tatsächlich weniger Patienten nach Entlassung erneut stationär aufgenommen. Die Frage ist nur: Handelt es sich wirklich um einen medizinischen Erfolg?
Daran scheiden sich die Geister. Negative Auswirkungen zeigt diese Studie: Sie ergab, dass es seit Beginn des Programms zu höheren 30-Tages-Mortalitäten aufgrund von Herzinsuffizienz oder Lungenentzündung kam. Schaut man ganz genau hin, zeigt die Studie nur Assoziationen, aber ein kausaler Zusammenhang scheint nicht abwegig zu sein. Weitere Arbeitsgruppen kamen zu ähnlichen Resultaten. Sie äußern den Verdacht, dass Patienten eine erneute Behandlung im Krankenhaus verwehrt wird.
Auf der anderen Seite: Befürworter sehen sehr wohl wünschenswerte Effekte ohne höhere Sterblichkeit. Jetzt ist die Zeit reif für neutrale Untersuchungen, um zu klären, ob sich die Versorgung stationär verbessert hat oder ob einfach Patienten abgelehnt wurden.
Aber wie ist die Lage in Deutschland? Wir sprachen dazu mit mehreren Experten.
Peter Plettenberg, Chefarzt der Geriatrie an den Friesland-Kliniken, behandelt oft ältere Menschen mit Frakturen nach einem Sturz. Sie wurden früher rein chirurgisch versorgt, entlassen, und kurz darauf wieder eingewiesen. Deshalb hat er sich mit Chirurgen zusammengesetzt – und ist auf viel Bereitschaft seiner Kollegen gestoßen, über die Fachgrenzen hinaus interdisziplinär zusammen zu arbeiten.
„Wir versorgen ältere Patienten spätestens ab dem dritten Tag nach ihrer OP in der Geriatrie weiter“, berichtet Plettenberg. Es gehe eben nicht nur um die Hüftfraktur alleine, sondern um diverse Leiden. Sein Team klärt mögliche Sturzursachen ab, überprüft die Medikation und sucht nach weiteren Grunderkrankungen. „Zeitgleich bieten wir geriatrische Komplexbehandlungen zur Rehabilitation an“, sagt Plettenberg. Dazu zählen je nach Bedarf Physio- und Ergotherapie, aber auch Logopädie, psychologische Betreuung und eine aktivierende Pflege.
„Unser Ziel ist es, den Patienten nach einem Ereignis wieder bestmöglich zu mobilisieren, um ihn wieder in seine häusliche Umgebung zu entlassen, ohne baldige Rückkehr ins Klinikum.“ Gespräche mit Angehörigen sowie ein Blick auf die Lebenssituation zählen ebenfalls zum „Rundum-Sorglos-Paket.“ Gemeinsam mit den Patienten klärt Plettenberg, wie es weitergeht: mit Anschluss-Reha, zu Hause, mit einem Pflegedienst oder eben in Pflegeeinrichtungen. „Auch nach dem stationären Aufenthalt können sich Patienten mit Fragen an uns wenden, falls ihre Hausärzte überfordert sind.“
Der Erfolg gibt ihm Recht: Laut PROFinD 2-Studie wurde mit einem entsprechenden Co-Management die Sterblichkeit älterer Menschen mit Oberschenkelhalsfraktur um 22 Prozent reduziert. „Das ist auf alle medizinischen Disziplinen übertragbar“, erklärt Plettenberg. Doch wie sieht es ökonomisch aus?
Das Alterstraumazentrum wurde von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie zertifiziert. Plettenberg kann geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlungen ohne Probleme abrechnen: „Wir legen dem MDK unsere Dokumentationen vor, daran lässt sich fachlich nicht rütteln.“ Quartalsgespräche mit einzelnen Gesetzlichen Krankenversicherungen seien ebenfalls üblich. Sein Modell macht Schule.
Vertreter großer Klinken in Hamburg waren schon zu Gast. Auch sie denken über zeitgemäße Versorgungsformen nach. „Sind Kliniken nicht bereit, neue Wege zu gehen, die vielleicht mal ein bisschen unorthodox sind, werden wir das Problem niemals bewältigen“, so Plettenberg.
„Patienten aus dem Bereich der Alterstraumatologie sind bei Wiederaufnahme nicht das Problem“, sagt ein Experte, der namentlich nicht genannt werden möchte. Er ist Chefarzt für Innere Medizin und Geriatrie in einem Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen. Seiner Erfahrung nach kämen diese Patienten eher selten zurück, denn man könne bei ihnen eine geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung durchführen.
Schwieriger werde es bei älteren Patienten mit einer Pneumonie oder nach einem Sturz. Sie kämen für geriatrische Komplexbehandlung häufig nicht infrage. Stattdessen erhalten sie ein geriatrisches Setting mit akutmedizinischer Behandlung.
Ich weiß, den sehe ich wieder
Hinter dem eigentlichen Ereignis stecken aber vielleicht weitere Grunderkrankungen. Stürze sind möglicherweise nicht nur Folge einer Gangunsicherheit durch orthopädische Probleme. Auch Diabetes, Polyneuropathien oder Entzündungen können dazu führen. „Im Rahmen der DRGs (Diagnosis Related Groups) fragen wir uns immer, ob man es schafft, eine solche umfangreiche Diagnostik mit dem zur Verfügung stehenden Budget durchzuführen und die Ursachen zu ermitteln“, sagt der Fachmann. „Beschränke ich mich aber auf die Fraktur oder die Pneumonie, weiß ich genau, dass ich den Patienten wiedersehe.“
Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von sechseinhalb Tagen sei es utopisch, Krankheiten in den Griff zu bekommen. „Ich kann einen längeren Aufenthalt der Patienten medizinisch begründen, stoße bei der Verweildauer jedoch häufig an Grenzen.“ In der häuslichen Umgebung habe es schon zuvor nur grenzwertig funktioniert. Danach sei die Sache eher schwieriger als besser. „Hier handelt es sich häufig um ein Problem der DRGs, also der Wirtschaftlichkeit“, so das Fazit des Chefarztes.
Auch für Dr. Konstatin Lieder sind Fallpauschalen Teil des Problems bei Wiederaufnahmen: „DRGs treffen in vielen Fällen, aber eben nicht immer zu“, sagt der Facharzt für Chirurgie und Allgemeinmedizin aus Kürten. Lieder hat 13 Jahre Krankenhaus-Erfahrung in unterschiedlichen Kliniken. Seit zwei Jahren ist er im niedergelassenen Bereich tätig. DRGs würden Ärzten einen gewissen Spielraum bieten, dieser sei jedoch zu klein und fördere frühe Entlassungen aus rein ökonomischen Argumenten.
Lieder kennt aber nicht nur medizinische Argumente, sondern auch Druck von anderen Seiten. „Vielleicht kann der Platz im Altersheim nicht länger freigehalten werden, vielleicht wollen Angehörige Oma oder Opa aber auch schon vor den Feiertagen wieder nach Hause holen.“ Auch eine späte Entlassung um 18 Uhr oder später führt trotz des Entlassmanagements schon mal dazu, Patienten schneller als erhofft wiederzusehen – falls keine Anschlussbehandlung möglich ist oder falls das Heim nichts vorbereitet hat: Da helfen eben zwei Tabletten Ibuprofen nicht aus.
„Der kassenärztliche Notdienst verlagert Probleme nur aus einem Bereich in den anderen“, sagt Lieder. Für ihn bleibt nur eine Lösung: „Manche Patienten brauchen eben mehr Zeit, um zu genesen, nicht immer ist eine geriatrische Komplexbehandlung möglich.“ Auch eine bessere Verzahnung mit niedergelassenen Kollegen sei wünschenswert. „Jede Lösung ist mit mehr Arbeit verbunden. Das heißt: Ärzte brauchen mehr Zeit für ihre Patienten“, sagt Lieder. Ohne grundlegende Reformen wird sich nichts ändern.
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