Der Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit ist erwiesen. Aber wodurch entsteht gesundheitliche Ungleichheit? Wie kann sie bekämpft werden? Diesen wichtigen Fragen geht eine Studie der Brendan-Schmittmann-Stiftung nach.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit, oder genauer: Morbidität und Mortalität. Armut schränkt im Alltag ein und mindert die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Menschen aus den unteren sozialen Schichten haben statistisch ein erhöhtes Sterberisiko, eine verringerte Lebenserwartung und insgesamt weniger Lebensjahre bei guter Gesundheit.
In Deutschland gilt jemand als arm, der weniger als 60 % des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung hat. Diese „relative Armut“ entsteht im Vergleich zum allgemeinen Wohlstand. Die soziale Ungleichheit zwischen den „unteren“ und den „oberen“ Schichten in der Gesellschaft wird immer größer.
Sozial, wirtschaftlich und kulturell benachteiligte Bevölkerungsgruppen sind besonders häufig von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, funktionellen Störungen sowie depressiven Syndromen betroffen. Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes mellitus, COPD, Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen treffen besonders häufig Menschen mit niedrigem Sozialstatus. Allergische Erkrankungen sowie u. a. Brustkrebs korrelieren allerdings eher mit einem höheren Sozialstatus. Insgesamt gilt aber: Je höher der Status, desto besser die Chance auf eine gute Gesundheit.
Warum? Laut den Soziologen Mielck und Elkeles (1997) sind Wissen, Macht, Geld und Prestige ungleich verteilt. Dadurch unterscheiden sich Menschen im
Der Faktor Bildung ist besonders entscheidend. Ein niedriger Bildungsgrad begünstigt oftmals ein schlechtes Ernährungs- und Bewegungsverhalten, einen erhöhten Drogenkonsum sowie ein unzureichendes Vorsorgeverhalten. Menschen mit niedrigerer Bildung und niedrigerem Einkommen schätzen ihren Gesundheitszustand auch selbst schlechter ein. Der Datenreport 2018 des Statistischen Bundesamtes zeigt zudem: niedrige Bildung der Eltern wirkt sich auch auf die Gesundheit Kinder aus.
Es gibt aber auch signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Abgesehen von gynäkologischen Untersuchungen suchen Frauen bei Erkrankungen, die in ähnlicher Weise auch bei Männern vorkommen, tendenziell mehr Fachärzte auf. Im ambulanten Bereich nehmen Männer im Gegensatz zu Frauen weniger häufig Präventions- bzw. Gesundheitsangebote in Anspruch; und wenn, dann eher in Bezug auf Maßnahmen bei spezifischen Erkrankungen. Im Alter verringern sich diese Unterschiede. Bei den Über-60-Jährigen lassen sich kaum noch Differenzen erkennen.
Frauen scheinen sich generell gesundheitsorientierter und –bewusster zu verhalten. Männer neigen in problematischen Situationen (z. B. Armut) eher zu gesundheitsgefährdenden Bewältigungsstrategien (Coping). Sie greifen zum Beispiel häufiger zu Alkohol. Diese Geschlechtsunterschiede im Bereich der Verhaltensweisen können weder durch das Alter noch durch den sozialökonomischen Status erklärt werden.
Damit Public Health nicht scheitert
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass viele Maßnahmen zur Dezimierung der sozialen Ungleichheit, insbesondere bei Prävention und Gesundheitsförderung, ihre Zielgruppen nicht angemessen erreicht haben. Public Health kann nur funktionieren, wenn alle Politikbereiche vernetzt und finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden. Mehr Kooperation ist dringend notwendig: sowohl zwischen wissenschaftlichen Disziplinen als auch zwischen Akteuren und sogar Staaten.
Wer arbeitslos ist, schlittert dadurch oft in die Armut. Darum muss Deutschland in Bildung, Arbeitsplätze und bessere berufliche Qualifikation investieren. Auch langfristige, strukturelle und aufeinander abgestimmte Veränderungen im Rahmen des Wohnungsbaus, der Stadtplanung, der Verkehrs- und Umweltpolitik sowie der Integrationspolitik tragen dazu bei.
Menschen müssen motiviert, befähigt und bestärkt werden (Empowerment), um gesundheitsfördernde Lebensbedingungen überhaupt zuzulassen. Angebote zur Gesundheitsförderung und Prävention werden nicht von allen Zielgruppen gleichermaßen in Anspruch genommen. Gleichzeitig tendieren Menschen mit niedriger Gesundheitskompetenz bzw. einem niedrigen Gesundheitswissen (Health Literacy-Niveau) dazu, das Gesundheitssystem und seine Dienstleistungen unnötig häufig zu nutzen.
Präventionsmaßnamen können auf das Verhalten abzielen oder auf die Verhältnisse. Bei Verhaltensprävention geht es darum, die individuelle Gesundheitskompetenz zu stärken. Menschen sollen gesundheitlichen Risikofaktoren besser entgegenwirken können. Verhältnisprävention dagegen bezieht sich auf Lebens- und Arbeitsverhältnisse, wie z. B. Wohnung, Einkommen und Bildung. Bessere Verhältnisse bedeuten bessere Voraussetzungen dafür, auch das Verhalten zu ändern oder schädliche Verhaltensweisen gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Soziale und gesundheitliche Ungleichheit sind aber auch ein regionales Problem und müssen daher bei der Bedarfsplanung berücksichtigt werden. Der sogenannte Deprivationsindex kann dabei helfen, regional spezifische und soziale Gegebenheiten zu berücksichtigen.
Alles begann mit Virchow
Die Sozialepidemiologie geht zurück auf den Arzt und Sozialpolitiker Rudolf Virchow, den Namenspatron des NAV-Virchow-Bundes. Virchow und Salomon Neumann betonten die gesellschaftlichen Ursachen von Morbidität und verfrühter Mortalität und forderten staatliche Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit.
Die moderne Sozialepidemiologie beschäftigt sich mit der sozialen Verteilung von Krankheitsrisiken, Gesundheitschancen und den sozialen Gesundheitsdeterminanten. Mit einbezogen werden die individuelle Lebenslaufperspektive, epigenetische Mechanismen, Migrationshintergründe, Versorgungsforschung, regionale und sozialräumliche Ungleichheiten sowie internationale Vergleiche.
Die Studie „Armut – Morbidität – Mortalität: Situation in Deutschland“ der Brendan-Schmittmann-Stiftung vergleicht diverse sozialepidemiologische Ansätze und Modelle und leitet Empfehlungen für die deutsche Gesundheits- und Sozialpolitik daraus ab.
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