Medizinstudenten leiden häufig an psychischen Störungen, kein Beruf hat eine höhere Suizidrate als der Arztberuf. Im aktuellen „Deutschen Ärzteblatt“ machen drei Ärzte nun einen grandiosen Vorschlag, um diesen Missstand zu beseitigen. Die Studien- und Arbeitsbedingungen ändern? Nein. Vielmehr sollen nur psychisch besonders stabile Abiturienten zum Medizinstudium zugelassen werden.
Im aktuellen „Deutschen Ärzteblatt“ ist ein Artikel zu lesen mit dem Titel „Sollen, können – und aushalten“[1], verfasst von zwei Anatomieprofessoren und einem Psychiater. Medizinstudium und ärztliche Tätigkeit, so der Artikel, seien kein Zuckerschlecken. Die Prävalenzen von psychischen Störungen wie Depressionen, Angst- oder Abhängigkeitserkrankungen seien unter Medizinstudentinnen und -studenten „besorgniserregend“ hoch. Und keine Berufsgruppe habe eine höhere Suizidrate als die der Ärzte.
Die Autoren haben jedoch eine elegante Lösung parat: mit Hilfe eines Fragebogentests sollen nur diejenigen Abiturienten für das Medizinstudium ausgewählt und zugelassen werden, die sich als psychisch besonders belastbar erweisen. Denn eine „gezieltere Auswahl und Rekrutierung bereits beim Eintritt in die universitäre Ausbildung“ sei „längst überfällig“. Schließlich könne so auch für die Universitäten „die Auswahl von belastbarerem, wissenschaftlichem Nachwuchs erleichtert werden“.
Warum die Bedingungen ändern, wenn man aussieben kann?
Die Sichtweise der Autoren ist jedoch eine recht einseitige. Offenbar sehen sie im Individuum das Problem und somit den primären Ansatzpunkt für Interventionen. Wenn zahlreiche Studenten/Ärzte unter der Last des Studiums bzw. Arbeitsalltags psychisch zusammenbrechen, depressiv und sogar suizidal werden, ist das aber eher ein starkes Indiz dafür, dass mit den Kontextfaktoren etwas grundlegend nicht stimmt.[2]
Diese Bedingungen zu ändern (Verhältnisprävention), wäre zwar die effektivste und nachhaltigste Maßnahme, jedoch auch langwierig und mühsam: das Medizinstudium müsste man z. B. umstrukturieren, den verdichteten Lehrplan entzerren, die Regelstudienzeit erhöhen. Bei ärztlicher Arbeit verhält es sich ähnlich: diese müsste man attraktiver gestalten, Arbeitszeiten verkürzen, den Anteil nicht ärztlicher Tätigkeiten reduzieren etc.
Anstatt die offensichtlich schädlichen Kontextbedingungen zu verändern, möchte man es sich nun also lieber bequem machen – und sich mittels eines Tests diejenigen Personen herauspicken, die mit den Belastungen hoffentlich am besten zurechtkommen werden. Abgesehen von den damit verbundenen methodischen Problemen und dem zweifelhaften Effekt wirkt dieser Vorschlag recht zynisch. Käme er von einem Betriebswirt, wäre das nachvollziehbar. Dass er von drei Ärzten, darunter einem Psychiater stammt, erscheint hingegen befremdlich. Müsste nicht gerade für sie das Wohlergehen des Menschen im Mittelpunkt stehen, in dem Sinne, dass sich die Studien- und Arbeitsbedingungen den Menschen unterzuordnen haben und nicht umgekehrt?
Medizin – nichts für Sensibelchen?
Nur psychisch besonders belastbare Abiturienten zum Medizinstudium zuzulassen, hätte zudem eine fragwürdige Nebenwirkung: die Varianz an Studenten würde sehr früh und stark eingeschränkt. Das Spektrum an medizinischen Fächern ist jedoch enorm groß. Sicherlich gibt es Fachgebiete, die aufgrund ihrer Arbeitsinhalte eine hohe psychische Belastbarkeit erfordern. Allerdings gibt es auch genügend Fachgebiete, in denen zwar weniger belastbare, dafür umso sensiblere und einfühlsamere Ärztinnen und Ärzte oftmals die bessere Wahl darstellen.
Jedoch nur, wenn sie nicht bereits vor dem Studium ausgesiebt worden sind.
Endnoten:
[1] Michael Scholz, Pascal Burger und Friedrich Paulsen, »Sollen, können - und aushalten«, in: Deutsches Ärzteblatt 115/41 (2018), B1514-B1515
[2] Dies gilt besonders im Hinblick auf das Medizinstudium: dass ärztliche Arbeit mit psychischen Belastungen einhergeht, ist – zumindest in bestimmten Fächern – teils aus den Arbeitsinhalten heraus verständlich (z. B. Begegnung mit sterbenden oder schlimm verunfallten Patienten). Dass dies analog für das Medizinstudium gelten soll (d. h. die Studieninhalte führten zu psychischen Belastungen), leuchtet hingegen nicht ein. Psychische Belastungen beruhen dort stattdessen zum größten Teil auf den Bedingungen (z. B. überladene Curricula, zu hohe Prüfungsfrequenz).