Spritzen, Kanülen, Schläuche – Plastik ist im Krankenhausbetrieb allgegenwärtig. Das neue EU-Verbot lässt medizinischen Kunststoff nach wie vor zu. Aber die Plastikflut im Klinikmüll ebbt nicht ab: Wie lässt sich das Dilemma von Hygiene und Nachhaltigkeit lösen?
Adieu, bunte Plastikstrohhalme! Wir werden euch nicht nachweinen. Im vergangenen Dezember hat die EU einen wichtigen Schritt gegen die Verschmutzung der Erde gewagt und ein Verbot von Einweg-Plastik auf den Weg gebracht. Ziel dieser Maßnahme ist es, Gewässer und Land besser vor Kunststoff-Abfällen zu schützen. In den kommenden Jahren werden jene Einwegplastik-Produkte vom Markt genommen, für die es leicht verfügbare und erschwingliche Alternativen gibt. Das betrifft beispielsweise Wattestäbchen, Plastikbesteck und -geschirr.
Die Gesundheitsbranche ist von diesem Verbot derzeit nicht direkt betroffen. Selbst Wattestäbchen und Plastikstrohhalme für den medizinischen Einsatz sind von der neuen Regelung ausgenommen. Doch gerade der Gesundheits-Sektor ist von Plastik überflutet: Kunststoffe sind aus dem Alltag einer Klinik oder einer Arztpraxis kaum mehr wegzudenken. Muss das so sein? Gibt es jetzt schon Möglichkeiten auch in diesem Bereich Plastikabfälle zu reduzieren?
Wer sich in Untersuchungs- und Behandlungsräumen umsieht, merkt schnell, wie dominant Kunststoffartikel hier vertreten sind. Spritzen, Kanülen, Schläuche, Infusionsbestecke, Injektions- und Transfusionsbeutel, Implantate, Einwegkittel, Medizinlöffel, Katheter, Laborgefäße, Pipetten. Aber auch zahlreiche andere, zum Teil hochtechnologische medizinische Instrumente und Hilfsmittel bestehen teilweise oder komplett aus Kunststoffen.
Mehr als die Hälfte aller Medizinprodukte sollen mittlerweile daraus gemacht sein. Tendenz steigend, wie der Bundesverband für Medizintechnologie schätzt. Denn für den Wachstumsmarkt Medizinbranche sind Kunststoffe weiterhin aus vielerlei Hinsicht ein Segen. Sie lassen sich gut verarbeiten, sind sterilisierbar, vielfältig formbar und robust in der Handhabung. Ein weiteres Plus: Sie sind in vielen Fällen so preiswert, dass der Einweggebrauch dem Geldbeutel nicht unbedingt weh tut. Kein Wunder also, dass die steril verpackte Einwegspritze die Welt erobert hat: Jedes Jahr werden schätzungsweise 16 Mrd. Stück verbraucht.
Auch wenn in der Gesundheitsbranche viele Kunststoff-Geräte in Verwendung sind, macht dieser Sektor einen verhältnismäßig kleinen Anteil an der Gesamtproduktion von Plastik-Gütern aus. Rund 262.000 Tonnen Kunststoffe wurden in Deutschland im Jahr 2017 für den medizinischen Einsatz verarbeitet. Das sind gerade einmal 1,8 Prozent der gesamten Kunststoffverarbeitung des Landes. Nicht einberechnet sind hier allerdings die Verpackungen.
Viele der medizinischen Instrumente, die aus Kunststoffen hergestellt werden, sind zum einmaligen Gebrauch bestimmt und landen oft schon nach extrem kurzer Einsatzdauer im Abfall. Welche Mengen Plastikmüll in einem Krankenhaus täglich anfallen, ist schwer zu sagen, da die Mülltrennung vor allem nach gefährdungsspezifischen Kategorien funktioniert. In der Gelben Tonne, deren Inhalte wiederverwertbar sind, wird oftmals nur ein Bruchteil der Kunststoffe, wie etwa Verpackungsmüll aus der Krankenhausküche, gesammelt. Theoretisch könnten auch Schutzkappen und Sterilverpackungen über diesen Weg recycelt werden, sofern sie nicht mit Patienten in Kontakt kamen. Doch im hektischen Alltag geschieht dies wohl kaum.
So landet der weitaus größere Teil in den Abfallbehältern für medizinischen Sondermüll. Getrennt nach spitzen und scharfen Gegenständen, organischen Abfällen inklusive Bluttransfusionsbeutel, Windeln, Einwegkleidung und Ähnlichem sowie infektiösen Abfällen. Peter Leonards, Umweltbeauftragter des Klinikum Mutterhaus in Trier, schätzt, dass rund 20 bis 40 Prozent dieser Abfälle aus Kunststoffen bestehen. Da jeder Krankenhauspatient nach Angaben der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) täglich durchschnittlich sechs Kilogramm Abfälle verursacht, könnten ein bis zweieinhalb Kilogramm davon Plastikmüll sein.
Der in den verschiedenen Abfallbehältern gesammelte Plastikabfall aus der Patientenversorgung landet schließlich in der Müllverbrennungsanlage. Im Jahr 2016 wurden insgesamt 312.700 Tonnen medizinische Abfälle thermisch verwertet. Das macht gerade einmal 1,2 Prozent der gesamten thermischen Entsorgung in Deutschland aus. Damit ist Krankenhausmüll, verglichen mit anderen Müllverursachern, ein kleines Übel. Zudem lässt sich durch die Verbrennung sicherstellen, dass gefährliche Krankheitserreger nicht in die Umwelt gelangen und dass Plastikspritze und Co. nicht in den Flüssen und Meeren enden.
Doch die Gesundheitsbranche wächst und damit wachsen auch die Berge an medizinischen Abfällen. Daher ist es wichtig, über Möglichkeiten zur Reduktion von Plastikmüll und einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen nachzudenken. Der beste Weg bleibt die Vermeidung. Doch ein plastikfreies Krankenhaus wird es in naher Zukunft nicht geben. Das Problematische ist, dass sich Plastik in der Medizin nur selten durch andere Materialien ersetzen lässt. Ein Positivbeispiel hat sich bei den Nierenschalen abgezeichnet: Wie im Klinikum Mutterhaus Trier verwenden viele Krankenhäuser heutzutage Nierenschalen aus Pappe statt aus Kunststoff.
Doch sind auch diese Wegwerfartikel. Ein Umstieg auf Materialien zur Mehrfachnutzung würde jedoch nicht zwingend einen ökologischen Vorteil bringen, wie Leonards erklärt. Denn Sterilisationsanlagen verbrauchen viel Energie und benötigen zum Teil umweltbelastende chemische Lösungen. „Einwegartikel sind oft günstiger in der Ökobilanz als das Wiederaufbereiten,“ sagt der Umweltbeauftragte. So mache seiner Meinung nach das Reinigen von medizinischen Kitteln ökologisch gesehen keinen Sinn. In Trier werden daher wieder Einwegkittel aus Polymerfasern verwendet. Um dennoch Müll zu reduzieren, wurde die Einwegschutzkleidung für Besucher der Intensivstation abgeschafft.
Viel vermeidbarer Müll entstehe laut Leonards durch die Wäschereien. Denn jeder Kissenüberzug, jedes Laken und jeder Arztkittel wird nach der Reinigung einzeln in Folie verpackt. Bei den Wäschereien Kritik zu üben, traut sich Leonards allerdings nicht. „Nicht wir suchen uns die Wäscherei aus, sondern sie uns. Wenn wir sagen, wir wollen die Plastikfolien nicht, sind wir raus bei der Wäscherei“, so der Umweltbeauftragte.
Die Verantwortung für einen nachhaltigen Umgang mit Kunststoffen sollte nicht nur bei den Gesundheitseinrichtungen liegen, sondern auch bei den Herstellern und Zulieferern. Damit Einweginstrumente nach kurzem Gebrauch nicht zwingend im Abfall landen, hat die EU mit der Medical Device Regulation die Möglichkeit der Wiederverwendung eingeräumt. In Artikel 17 wird „Reprocessing“ ausdrücklich erlaubt, wenn das wiederaufbereitete Instrument hinsichtlich Qualität und Sicherheit mit dem ursprünglichen Originalprodukt gleichwertig ist. Die Medical Device Regulation von 2017 nimmt damit eine Regelung auf, die in der deutschen Gesetzgebung bereits seit einigen Jahren in Kraft ist.
Ein deutsches Unternehmen, das sich der Wiederaufbereitung von medizinischen Instrumenten verschrieben hat, ist die Vanguard AG. Seit 1998 reinigt und sterilisiert sie in geprüften Verfahren teure Einweginstrumente aus Elektrophysiologie und Chirurgie für die Hälfte des Neupreises. Bis heute hat Vanguard laut eigenen Angaben 2,5 Millionen Produkte aufbereitet und damit 275 Tonnen Müll eingespart. Marcus Bracklo, CEO des Unternehmens, erinnert sich, dass die Hersteller dies am Anfang „massiv bekämpft“ hätten. Mittlerweile würden aber einige mit den Aufbereitungsfirmen zusammenarbeiten oder selbst einen Wiederaufbereitungs-Service anbieten.
Eine weitere Möglichkeit zur nachhaltigeren Produktion von Instrumenten könnte auch der Einsatz von recycelten Kunststoffen und Biokunststoffen sein. Recycling scheitert derzeit allerdings schon beim Sammeln und Sortieren der dafür notwendigen Kunststoffabfälle. Denn Kunststoffrezyklate für den medizinischen Gebrauch müssen sortenrein aus hochwertigen Medical Grade Plastics gewonnen sein. Das erscheint momentan noch als eine nicht realisierbare Aufgabe.
Der Einsatz von Biokunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen könnte hier in Zukunft eher voranschreiten. Doch für Hersteller, wie dem Medizintechnikunternehmen B. Braun, ist das heute noch kein Thema. Der Aufwand, die Produktion auf einen neuen Kunststoff umzustellen, sei schlichtweg zu groß. Schließlich muss der unbekannte Werkstoff auf Biokompatibilität und Zytotoxizität und viele andere Kriterien geprüft werden, bevor er in einem Medizinprodukt verarbeitet werden darf. Zudem seien Biokunststoffe derzeit noch sehr teuer, wie Dr. Susoff, Head of Material Science bei B. Braun, näher erläutert. In der Gesundheitsbranche – in der Wirtschaftlichkeit eine große Rolle spielt – könne B. Braun den Kunden solche Mehrkosten nicht zumuten. „Aber wir haben das Thema im Blick,“ sagt Dr. Susoff.
Es werden also noch viele Milliarden Einwegspritzen im Einsatz sein, bis erdölfreie Alternativen preislich machbar und verfügbar sind. Vermutlich wird es aber auch einen Motivationsschub in Form eines Gesetzes brauchen, damit ein Umdenken tatsächlich geschieht.
Artikel von Iris Fegerl
Bildquelle: Karina Tes, unsplash