Die Tonsillektomie verläuft bei der Patientin ohne Probleme. Doch etwas beunruhigt die Anästhesistin während der OP: Die Frau rollt ihre Augen auffällig nach oben. Nach dem Aufwachen leidet die Frau zudem an einer gelähmten linken Gesichtshälfte. Erklären kann sich die Symptome zunächst niemand.
Eigentlich sollte die Tonsillektomie einer 32-Jährigen ein Routineeingriff werden. Vollnarkosen hatte die Frau bisher gut vertragen, relevante Vorerkrankungen wies sie nicht auf. Entsprechend konnten die Gaumenmandeln (Tonsilla palatina) ohne Probleme entfernt werden. Doch während der Narkoseausleitung bemerkt die Anästhesistin plötzlich, dass die Patientin ihre Augen auffällig nach oben rollt. Diese Symptomatik zeigte sich auch im Aufwachraum weiterhin. In der neurologischen Untersuchung wird zudem eine Dysphasie, eine linksseitige Kraftminderung mit 4/5 Kraftgraden nach Janda sowie eine linksseitige Gesichtslähmung diagnostiziert. Die Suche nach der Ursache bleibt in der Neurologie ohne Erfolg. Sämtliche Tests inklusive Labor, CT, EEG und MRT sind unauffällig.
Zwei Tage lang wird die Patientin auf der Station überwacht – ohne Ergebnis. Bei Entlassung hat sich die Gesichtslähmung zurückgebildet, die linksseitige Kraftminderung besteht jedoch nach wie vor. Erst bei der Nachuntersuchung einige Zeit später berichtet die Patientin, dass sie seit Jahren unter langanhaltenden Kopfschmerzattacken leidet. Ungefähr drei- bis viermal im Monat habe sie Episoden, die von Lichtempfindlichkeit, Übelkeit und Schwindel begleitet werden und ungefähr 12 Stunden andauern.
Bereits vor der Operation gingen drei Episoden mit linksseitiger Kraftminderung einher, auch damals habe man keine Ursache gefunden. Auf Basis dieser Informationen und den vorangegangenen Untersuchungsergebnissen stellen die Neurologen die Diagnose einer hemiplegischen Migräne. Sie verschreiben der Patientin zur Prophylaxe Topiramat. In ihrem Bericht betonen sie die Bedeutung einer vollständigen präoperativen Anamneseerhebung. In diesem Fall hätte dies erheblich die Nerven der Ärzte und die Ressourcen der Neurologen geschont.
Text von Maren Böcker
Quelle:
Postoperative hemiparesis following tonsillectomy Zahir Mughal et al., JSCR, doi: 10.1093/jscr/rjy348; 2019
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