Jetzt noch schnell krank werden, um sich einen Termin in meiner Sprechstunde zu sichern! Denn es dauert nur noch wenige Stunden, bis es endlich passieren wird: Urlaub für das ganze Team. Zwei Wochen pro Quartal ist unsere Praxis leer.
Heute gibt es mal etwas Schönes zu berichten. Es steht ein kleiner Frühjahrsurlaub vor der Tür. Keine große Sache, aber immerhin ein paar Tage frei. Wir haben uns das in der Praxis so angewöhnt: Zwei Wochen pro Quartal wird die Praxis komplett geschlossen. Okay, mal auch kürzer oder länger (z.B. in den Sommerferien). Der Rhythmus tut dem ganzen Team gut, er scheint dem Überarbeitetsein vorzubeugen, außerdem gibt es immer etwas zu tun, auch wenn es nicht ums Kinderretten geht.
Urlaub ist nicht nur Freizeit
Denn Urlaub bedeutet nur „patientenfreie Zeit“, so wie es das im Studium gab. Vorlesungsfreie Zeit, nicht etwa Ferien. Da konntest du auch nicht nur Rumsitzen und auf Partys gehen (die gab es sowieso eher während der Vorlesungszeit), sondern es gab Praktika zu absolvieren, in der Medizin „Famulaturen“ genannt, außerdem musste immer etwas vorbereitet werden. Nach dem Staatsexamen war vor dem Staatsexamen. Famulatur kommt übrigens von Famulus, lateinisch Knecht, aber dazu ein anderes Mal mehr.
Oft ruft etwa die EDV. Oder die Abrechnung. Oder der Wasserhahn im Unisex-Personal-Klo. Oder die EDV. Oder die wichtigen Dokumente fürs Qualitätsmanagement. Oder die EDV. Die ist echt wichtig. In der Praxis haben wir inzwischen zwölf Arbeitsplätze, die gewartet werden wollen, da gibt es immer einen Bildschirm, der plötzlich so seltsames Flirren zeigt oder ein Betriebssystem, das in die Jahre kommt, oder einen Drucker, der mal systematisch eingeordnet werden muss, weil er nur jedes zweite Rezept druckt.
Zähflüssige Stunden
Die Woche vor dem Urlaub, also jetzt (huch, nur noch drei Tage, also eigentlich zweieinhalb) vergeht stehts am langsamsten, wer kennt das nicht. Die Zeit scheint zäher zu fließen, die Stunden sind derer mehr am Tag. Der Schreibtisch wird voller, ich werde fauler am Abend, ist doch der Reflex vorherrschend, ich komme sowieso im Urlaub mal vorbei, da werde ich das erledigen. Und der Wasserhahn im Personalklo tropft schneller als letzte Woche.
Für die Patienten ist so eine Woche vor dem Urlaub sehr unentspannt, denn mit dem Urlaub beginnt die „arztfreie Zeit“, jedenfalls die ohne ihren Hauskinderarzt, denn Vertretungen sind selbstredend noch und nöcher organisiert. Die Frequenz der Kindervorstellung steigt mit dem Näherrücken des Urlaubs, so der subjektive Eindruck des Besuchten, bestimmt ist das nicht wirklich so. „Sie sind ja dann im Urlaub“, wird zur ultimativen Erklärung der Patientenvorstellung, als ob ich im Präurlaub verhindern könnte, dass das Bobele periurlaub krank wird. Zu Schulferienzeiten lautet die Ansage übrigens „Wir fahren ja dann in Urlaub“. Mit ähnlichem Negativeffekt.
Der Kapitän verlässt das Schiff
Jedenfalls kommt der Freitag, die letzte Stunde der „Sprechstunde“ (aktuell übrigens näher der Tagesschau denn der heute-Sendung), der letzte Patient, die Papierberge des Schreibtisches werden hübsch ordentlich zu einem zusammengekehrt, alle Heizungen werden ausgemacht, alle PCs runtergefahren, die Server abgeschlossen. Der Kapitän verlässt als letzter das Schiff, ich werde die Praxis abschließen, auf den kleinen Vorplatz treten, einen Blick in den hoffentlich klaren Nachthimmel werfen und tief durchatmen.
Urlaub.
… dass ich wieder vergessen habe, den Anrufbeantworter zu besprechen, wird mir dieses Jahr nicht passieren. Sonst bin ich am Samstag wieder hier.
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