Im Tierversuch klappt es schon ganz gut: Die Lebensverlängerung per Diät oder als Futterzusatz. Warum dem so ist, ist jedoch weit weniger klar. Zwischen zellulärer Energieversorgung und Altersprozessen scheint es ein paar entscheidende Kopplungspunkte zu geben.
Europa, das Altenheim der Welt? Glaubt man den Prognosen, ist schon in zehn Jahren jeder fünfte Europäer älter als 65 Jahre. In den Industrienationen sind Hundertjährige keine Seltenheit mehr. Das Methusalem-Alter beginnt jetzt nicht mehr mit 99 sondern zehn Jahre später. Eigentlich, so könnte man meinen, ist es doch ein Glück und ein Erfolg von guter Hygiene und moderner Ernährungslehre, dass anders als in früheren Jahrhunderten mehr Menschen ihre Enkel und oft sogar ihre Urenkel erleben.
„Altwerden ist nichts für Feiglinge“ heißt ein Buch des Schauspielers Joachim „Blacky“ Fuchsberger. Leider ist fortgeschrittenes Lebensalter auch der größte Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Krankheiten, genauso wie für neurodegenerative Krankheiten mit ihrem prominentesten Vertreter Morbus Alzheimer. Wer also das Altern unabhängig von seiner genetischen Basisausstattung bremsen will, muss sich darum kümmern, dass möglichst viel von seinen Zell- und Körperfunktionen erhalten bleibt. Er muss danach sehen, dass er niedriggradige Entzündungen in seinem Organismus klein und das adaptive Immunsystem fit halten kann. Kurz: Er muss das Risiko niedrig halten, dass sich aus einem kleinen Defekt ein größerer Schaden entwickelt.
Jenseits aller Anti-Aging-Kampagnen und Mittelchen, die im freien Handel erhältlich sind, scheint es es ein paar probate Mittel zu geben, um nicht nur die Lebensspanne zu verlängern, sondern die letzten Jahre auch noch gesund zu erleben. Tiermodelle für das Altern vom Einzeller bis hin zum Primaten bestätigen immer wieder, dass eine verminderte Nahrungszufuhr zusätzliche Lebenszeit schenkt. Allerdings reagieren nicht alle Labortiere gleich auf die Kalorienreduktion in ihrem Futter. Vergleicht man beispielsweise rund 40 Mäusestämme miteinander, so leben besonderes jene Mäuse deutlich länger, die es schaffen, sich trotz einer Diät mit 40 Prozent Kalorienreduktion ihre Fettreserven zu erhalten. Wenn diese Mäuse abnehmen, betrifft das dennoch vor allem den weißen Fettanteil. Humanes Muskelgewebe etwa verliert im Alter immer mehr die Fähigkeit, Glukose zur Energiegewinnung zu nutzen. Möglicherweise, so spekulieren etliche Experten, könnte das begrenzte Angebot an Zucker dazu führen, die Zelle auf Flexibilität zu trainieren. Die Möglichkeit, jederzeit verschiedenartige Substrate, sei es Glukose oder Fettsäuren, zu verbrennen, dürfte damit ihr Leben verlängern.
Wie funktioniert aber nun das Zusammenspiel zwischen begrenzter Verfügbarkeit von Nährstoffen, der entsprechenden Anpassung des Stoffwechsels und langem Leben im Detail? Eine Schlüsselrolle in der Signalkette zwischen den Reglern für die beiden Bereiche scheint unter anderem mTOR (mechanistic Target of Rapamycin) zuzukommen. Die Serin-Threonin-Kinase funktioniert als eine Art intrazellulärerer Energie-Sensor. Wachstumsfaktoren oder ein Überschuss von Aminosäuren in der Zelle aktivieren mTOR und sorgen für eine Abstimmung des gesamten Metabolismus und des Zellwachstums auf den verfügbaren Nährstoffpegel. Eine Hemmung von mTOR sorgt bei vielen Tiermodellen für eine Lebensverlängerung. Somit scheint dieses Enzym bei der Kopplung von „Altern“ und Energiezufuhr“ an zentraler Stelle zu stehen. Ähnliches gilt auch für Sirtuine. Sie spielen eine Rolle bei der NAD-abhängigen Deacetylierung von Histonen und Nicht-Histon-Proteinen. Eines der sieben Familienmitglieder, SIRT1, wird - zumindest im Mausmodell - durch das Nahrungsangebot reguliert. In Mäusen mit einer Überexpression von SIRT1 im Gehirn sahen Wissenschaftler kaum altersbedingte Veränderungen bei Mitochondrien betagter Mäuse. Diese Nager waren auch in ihrer letzten Lebensphase noch aktiv, mit entsprechendem Bewegungsdrang und entsprechendem Sauerstoffverbrauch. Eine wichtige Rolle bei der Energie-Lebenszeit Kopplung spielt schließlich auch noch AMPK (Adenosinemonophosphat-abhängige-Kinase). Bei intrazellulärem ATP-Mangel sorgt die Zelle dafür, dass auch Speichermoleküle mit geringerem Energiegehalt wie ADP und AMP zur Verfügung stehen. AMPK reguliert damit den Energieverbrauch in der Zelle herunter und sorgt für eine sparsame Ressourcenverwertung. Insgesamt scheinen etliche weitere Proteine, besonders aber mitochondriale, die Lebensspanne direkt oder indirekt zu beeinflussen. Reaktive Sauerstoffradikale - bisher als Zellgift verschrien, fördern neuesten Erkenntnissen nach sogar die Langlebigkeit. Möglicherweise auch deshalb, weil sie den Anstoß zu Erneuerung von Zellorganellen geben.
Wie sieht es nun in der Praxis aus? Wenn wir immer genauer wissen, wo wir angreifen müssen, sollte der Weg zur geeigneten Pille nicht mehr allzu weit sein. Einer der berühmtesten, aber auch meist diskutierten Aktivatoren der SIRT-Proteine ist Resveratrol, das bekannte Rotwein-Polyphenol. Kurioserweise verlängert zugesetztes Resveratrol das Leben von Mäusen mit Mager- wie auch übermäßig energiereicher Kost, nicht jedoch bei „normal“ gefütterten Tieren. Humanstudien zeigen, dass Resveratrol effektiv gegen die Verkalkung von Koronararterien angeht und besonders bei Übergewichtigen für einen aktiveren Stoffwechsel und verbesserte Muskelfunktion sorgt. Auf welche Weise es das tut, ist bisher jedoch noch nicht klar. Rapamycin wurde vom US National Institute of Aging als vielversprechendes Mittel gegen das Altern gekürt. Der ursprünglich in Bakterien gewonnene Wirkstoff galt lange Zeit als Immunmodulator bei Organtransplantationen und bei der Behandlung von Nierentumoren. In Mäusen verlängern Gaben von Rapamycin die Lebenszeit vor allem bei weiblichen Mäusen um 10-20 Prozent, vermutlich aufgrund der Hemmung des mTOR-Komplexes. Kurzzeitige Behandlung schwächt das Immunsystem und senkt den Insulinspiegel. Bei einer längeren Behandlung verbessert sich indes die Insulinsensitivität und der Stoffwechsel wird angekurbelt. Auch die Wachsamkeit des Immunsystems profitiert davon. Ob Rapamycin auch bei zweibeinigen Senioren zu längerem gesunden Leben führt, werden wohl Studien in den nächsten Jahren zeigen. Vorerst sollen Versuche an Affen die guten Ergebnisse bei Mäusen zumindest bestätigen.
Ähnliche Effekte wie die Kalorienreduktion bewirkt auch Metformin, bisher als Mittel bei Diabetikern bekannt. Zumindest Mäuse im Seniorenalter leben mit Metformin nicht nur länger und gesünder, sondern sind auch weniger anfällig für Krebserkrankungen. Höhere Dosen sind schädlich, geringe Mengen an Metformin bewirken jedoch eine vermehrte AMPK-Aktivierung, bessere Aufnahme von Glukose und effektivere Oxidation von Fettsäuren. Ob das auch für den Menschen gilt, wird zur Zeit in der TAME-Studie (Targeting Aging with Metformin) erprobt. Zumindest Diabetiker, die Metformin nehmen, haben ein verringertes Krebsrisiko. Die Organisatoren der TAME-Studie geben ganz offen zu, dass Sie damit auch die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA überzeugen wollen, das Altern als eine Krankheit anzuerkennen, die sich mit pharmakologischen Mitteln behandeln lässt. Der Eingriff in den Insulin-Stoffwechsel hängt scheinbar eng mit dem Alterungsprozess zusammen. Ein vermindertes Signalling von Insulin/IGF-1 (Insulin-like-Growth Factor 1) ist ebenfalls mit zusätzlichen Tagen im Leben einer Labormaus verknüpft.
Noch ist relativ unklar, inwieweit alle diese metabolischen Knotenpunkte miteinander verbunden sind und voneinander abhängen. Wahrscheinlich geht bei der Erprobung von Anti-Aging-Agenzien die Konzentration auf einen bestimmten Marker für den Alterungsprozess an der Wirklichkeit vorbei. So setzt etwa der Muskelabbau beim Menschen schon ziemlich früh im Lauf seines Lebens ein, während sich die verminderte geistige Leistungsfähigkeit erst sehr spät bestimmen lässt. Die Zunahme des Fettanteils am Körpergewicht ist schließlich individuell sehr verschieden. Viele der erwähnten und im Tierversuch erprobten Wirkstoffe haben schließlich massive Nebenwirkungen. Rapamycin beeinträchtigt die Sehkraft und sorgt für eine Degeneration der Testikel.
Altern ist anders als gut beschriebene onkologische oder neurologische Erkrankungen kein klar definierter Prozess, der sich anhand von typischen Symptomen klar studieren lässt. Schon bei der Verwendung von Inzucht-Mäusen und standardisiertem Futter zeigen Studienergebnisse eine enorme Variabilität, die sich zum Teil sogar bei einigen Tieren in einer verkürzten Lebensspanne zeigt. Der Mangel an geeigneten Biomarkern bei pathologischen Alterungsprozessen hat bisher verhindert, dass Anti-Aging in die Klinik vorgestoßen ist. Eine Entwicklung, die sich auf einen einzelnen Stoffwechselschritt konzentriert, wird wohl kaum zu einem universellen Altersverzögerer führen. Wenn es jedoch gelingt, Reparaturvorgänge und Ersatzteillieferungen im Körper so lange wie möglich zu erhalten, wenn wir es schaffen, dass die Aufmerksamkeit des Immunsystems auch jenseits der 70 nicht nachlässt, dann hätten wir wohl eine gute Anti-Aging-Strategie. Viele Krankheiten entstehen erst weit in der zweiten Lebenshälfte. Wenn es gelingt, sie noch vor dem ernsthaften Ausbruch zu erkennen und zu behandeln, würde dies wohl nicht nur das Leben verlängern, sondern auch zu einem Altwerden entsprechend unseren Wunschvorstellungen führen.