Patienten sind ungeduldig – sie warten nicht gern auf ihren Arzt. Und sie sind zunehmend bereit, für medizinische Hilfe selbst zu zahlen. Ärzte haben diesen Trend erkannt und kommen ins Büro oder nach Hause. Teil 1 unserer Serie: Die Zukunft des niedergelassenen Arztes.
Immer weniger Ärzte besuchen ihre Patienten zu Hause. Das geht aus einer kleinen Anfrage der Linkspartei hervor. Zwischen 2009 (30,3 Millionen Kontakte) und 2017 (24,6 Millionen) ging es deutlich bergab. Achim Kessler (Die Linke) erklärt dies mit „Angst vor Rückzahlungsforderungen der Krankenkassen“. Er meint hier Gesetzliche Krankenversicherungen.
Doch Patienten wünschen sich diesen Service. Wer das nötige Kleingeld hat oder bei einer PKV versichert ist, muss sich keine Sorgen machen. „Ärztlicher Notdienst rund um die Uhr - Unsere Ärzte versorgen Sie zu Hause, an Ihrem Arbeitsplatz oder im Hotel“, bieten beispielsweise die Alpha-Ärzte an. Wir sprachen mit Raphael Weiland, Managing Director bei der Alpha Medical Management GmbH, über das Geschäftsmodell.
„Gründer war Dr. Thorsten Maier, der langjährige Erfahrungen im privatärztlichen Notdienst hat und einen Bedarf bzw. eine Versorgungslücke in diesem Segment erkannt hat“, berichtet Weiland. „Wir ermöglichen Menschen einen Arztbesuch, denen das im bestehenden System schlechter möglich ist: der beruflich unter Stress stehende Selbstständige, die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern oder die immobile Omi.“
Weiland beschreibt seine Zielgruppe als „bunt gemischt vom Kind bis zum 90-Jährigen“. Deutlich häufiger handele es sich um PKV-Versicherte. Momentan bieten die Alpha-Ärzte ihre Services in Frankfurt, Hamburg und Nürnberg an. „Wir wollen unsere Tätigkeit auf München, Köln, Düsseldorf und Berlin ausweiten“, ergänzt Weiland. Ihm geht es aber nicht nur um Hausbesuche. Videosprechstunden seien „ganz entscheidend, da durch sie der Arzt noch schneller und leichter erreicht werden kann“.
Doch die Konkurrenz schläft nicht. Medlanes aus Berlin wollte ab 2014 reine Online-Visiten anbieten, was damals nicht wirklich zum Erfolg geführt hat. Deshalb erweiterten die Gründer Erik Stoffregen und Emil Kendziorra ihr Portfolio um Hausbesuche. Der Patient füllt vorab einen Fragebogen aus, um seine Beschwerden zu beschreiben. Anschließend sucht Medlanes den passenden Arzt im eigenen Netzwerk.
„Wir versorgen auch immer mehr Ausländer, die in Berlin arbeiten oder studieren – sogenannte „Expats“, berichtet Kendziorra. Diese Zielgruppe schätze den Service, Ärzte per Anruf oder Anfrage per App innerhalb von rund einer Stunde bei allen Beschwerden nach Hause kommen zu lassen. Besonders gefragt seien Kinderärzte, Internisten und Orthopäden. Auch aPRImed bzw. PrivAD bieten Hausbesuche in vielen Metropol-Regionen Deutschlands an. Hingegen ist arztbesuche.de nur in Berlin verfügbar. Abgerechnet wird nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Die Angebote stehen neben PKV-Patienten auch GKV-Versicherten als Selbstzahler-Leistung zur Verfügung.
Verbände reagieren skeptisch auf Angebote wie die Alpha-Ärzte. „Wir sehen das Angebot aus verschiedenen Gründen mit einer gewissen Skepsis“, sagt Karl M. Roth von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen auf Nachfrage von DocCheck. Schon jetzt bestehe ein Versorgungsangebot, was Hausbesuche betreffe. „Unseres Erachtens finden Hausbesuche auch immer dann statt, wenn sie medizinisch notwendig sind“, ergänzt Roth. „Und dies, obwohl die Vergütung in der GKV mit rund 23 Euro Honorar zuzüglich Fahrtkosten bekanntlich jeder Beschreibung spottet.“ Er sieht in solchen Angeboten „ein gutes Beispiel für eine Zwei-Klassen-Medizin, die ja eigentlich auch nicht gewollt sein kann bzw. gewollt ist“. Denn: „Gutverdiener erhalten die Möglichkeit, sich bequem und ohne Wartezeiten versorgen zu lassen.“
Ann Marini ergänzt gegenüber DocCheck im Namen des GKV-Spitzenverbands: „Die ambulante Versorgung der gesetzlich Versicherten ist über die vertraglichen Regelungen zwischen GKV und Kassenärzten umfassend sichergestellt ist.“ Dazu gehörten auch Hausbesuche und Videosprechstunden. „Warum gesetzlich Versicherte ein solches Selbstzahler-Angebot zusätzlich zu den bestehenden Regelleistungen ihrer Kasse in Anspruch nehmen sollten, erschließt sich uns insofern nicht“, sagt Marini. Ja, das ist doch wirklich merkwürdig, dass Patienten neben den bestehenden Regelleistungen tatsächlich noch mehr Wünsche haben, möchte man Frau Marini zurufen.
Dominik Heck vom Verband der Privaten Krankenversicherung gibt seine Einschätzung ab: „Bei den genannten Versorgungsangeboten handelt es sich um privatärztliche Notdienste bzw. Bereitschaftsdienste, die sich an alle Bürgerinnen und Bürgern bzw. Patientinnen und Patienten wenden, die mit dem Versorgungsangebot im „regulären“ Gesundheitssystem nicht zufrieden sind. Das dürfte häufig die Versorgung zu ungewöhnlichen Zeiten (nachts, Wochenende, Feiertage) betreffen und dort insbesondere den Hausbesuch.“ In telemedizinischen Angebote wie Videosprechstunden sieht Heck die Möglichkeit, „eine gute Versorgung bestimmter älterer, multimorbider und immobiler Privatpatienten insbesondere in ländlichen Regionen mit langen Anfahrtszeiten für ärztliche Hausbesuche sicherzustellen“.
Als Einschränkung bleibt: In so manchem Fall sind Konsultationen zu Hause oder in der Praxis unnötig. Zava, bekannter unter der früheren Bezeichnung DrEd, bietet reine Online-, Video- oder Telefonsprechstunden an. Das Spektrum umfasst wenige Indikationen aus der Gynäkologie, der Sexualgesundheit, der Allgemeinmedizin bzw. der inneren Medizin. User suchen entweder Hilfe bei schambehafteten Themen wie Erektionsstörungen bzw. sexuell übertragbaren Infektionen. Oder sie ärgern sich über Deutschlands restriktive Politik, keine Folgeverordnung bei chronischen Erkrankungen auszustellen. In dem Zusammenhang nennt Zava u.a. Hypertonien, Hypercholesterinämien, Asthma, Haarausfall oder Migräne. Auch Kontrazeptiva gehören zum Beratungs- und Verordnungsangebot. Rein spekulativ geht es Patienten eher um ein Privatrezept als um eine Erstdiagnose.
Die Geschäftsmodelle zeigen: Viele Menschen, auch GKV-Versicherte, sind heute bereit, für Leistungen selbst zu zahlen. Dafür erwarten sie auch einen besonderen Service. Sie wollen als Kunden, nicht als Versicherte oder gar als Patienten (lateinisch patiens bedeutet „geduldig“) wahrgenommen werden. Das schafft Marktnischen für Ärzte, setzt aber auch Kollegen vor Ort unter Druck, sich gegen Konkurrenten zu behaupten.
Artikel von Michael van den Heuvel