Ein Team von Paläontologen und Medizinern hat Knochenkrebs bei der ältesten bekannten Schildkröte entdeckt. Das Exemplar stammt aus der Trias-Zeit vor 240 Millionen Jahren. Heute könnte es Einblick in die Entwicklung von Krebserkrankungen liefern.
Paläopathologie beschäftigt sich mit Krankheiten und Fehlbildungen bei Lebewesen der Vorzeit. Dieser Wissenschaftszweig dient dem Verständnis, wie Krankheiten, Pathogene und auch Heilung evolvierten. Es ist eine junge Wissenschaft, die auf der interdisziplinären Zusammenarbeit von Paläontologen und Medizinern beruht. „Paläopathologien sind grundsätzlich selten bei Fossilien, und dies gilt insbesondere für bösartige Tumore, die bei Fossilien fast unbekannt sind. Das macht unseren Fund so bedeutend“, so Patrick Asbach, Mitautor der Studie und Radiologe an der Charité Berlin.
Knochenkrebs ist älter als gedacht
„Untersuchungen der äußeren Morphologie sowie micro-CT-Aufnahmen des erkrankten Knochens ergaben, dass das Tier unter Knochenkrebs gelitten hat“, erklärt Yara Haridy vom Museum für Naturkunde Berlin. Sie ist die Leiterin der Studie. „Dies ist einer der ältesten Fälle von Krebs im Fossilbericht, und sein ältestes bekanntes Auftreten bei Amnioten überhaupt, also der Gruppe von Tieren, zu denen die Reptilien, Vögel und Säugetiere gehören”, sagt Florian Witzmann, Mitautor und Haridys Kollege am Berliner Naturkundemuseum. Die Studie wurde im Journal für Krebsforschung der American Medical Association, JAMA Oncology, veröffentlicht.
Die Urschildkröte Pappochelys wurde 2015 im Steinbruch Schumann in Baden-Württemberg entdeckt. Sie machte Schlagzeilen als ein wesentlicher Teil im Puzzle der frühen Evolution von Schildkröten. Das pathologische Pappochelys-Exemplar wird im Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart aufbewahrt. „Über die Frage nach dem Ursprung der Schildkröten und ihres hochspezialisierten Bauplans haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jahrzehntelang gerätselt“, erklärt Mitautor Rainer Schoch vom Naturkundemuseum Stuttgart. Er ist einer der Entdecker dieses für die Wissenschaft so wichtigen Tieres. So besitzt Pappochelys beispielsweise noch keinen vollständigen Schildkrötenpanzer und gibt Forschern damit einen Hinweis, wann und wie sich der Panzer in der Evolution entwickelt hat.
Diagnose: Die Schildkröte hat Krebs
In seiner paläopathologischen Studie arbeitete das Team an einem isolierten Oberschenkelknochen von Pappochelys, der einen auffälligen, zunächst rätselhaften Auswuchs aufweist. Durch die Auswertung von micro-CT-Aufnahmen konnte der Auswuchs als sogenanntes periosteales Osteosarkom diagnostiziert werden. Das ist eine Form von bösartigem Knochenkrebs, die es auch beim Menschen gibt.
Krebs wird im Allgemeinen als unkontrollierte Zellteilung, hervorgerufen durch einen defekten Regulator, definiert. Dies gilt sowohl für Weichteil-Tumore als auch für solche in Hartgeweben, wie Knochen und Zähnen. „Bei Fossilien sind meist nicht die Weichgewebe erhalten, weshalb wir nur Pathologien untersuchen können, die sich im Hartgewebe des Skeletts manifestieren“, so der Mitautor und Paläopathologe Bruce Rothschild aus den USA.
Uralte Antwort auf aktuelle Fragen?
Anhand von Pathologien im Fossilbericht können Wissenschaftler herausfinden, wann bestimmte Eigenschaften in der Evolution aufgetreten sind. „Im Fall der Urschildkröte hat wahrscheinlich eine Genmutation eine Funktionsstörung des Regulators bewirkt. Beim Menschen heißen solche Gene Tumorsuppressorgene, und sie stellen momentan ein sehr aktuelles Thema in der medizinischen Forschung dar“, sagt Mitautorin Nadia Fröbisch vom Museum für Naturkunde Berlin. Sie ergänzt: „Leider können wir weder wissen, ob die Urschildkröte dieselben krebserzeugenden Gene besessen hat wie heute der Mensch, noch ob diese Krebserkrankung tödlich für das Tier war.“
Dennoch gibt die Studie den Forschern wichtige Einblicke. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Krebs nicht auf den modernen Menschen beschränkt ist. Stattdessen reicht die Anfälligkeit für diese Krankheit weit zurück in der evolutionären Geschichte der Wirbeltiere, hunderte von Millionen Jahren vor der Entstehung des Menschen“, sagt Yara Haridy.
Quelle: Pressemitteilung des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart
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