Ist es in Ordnung, wenn ein Chefarzt am katholischen Klinikum nach der Scheidung seinen Posten räumen muss? Nein, sagt das Bundesarbeitsgericht. Es geht aber nicht nur um ein Urteil. Es geht auch um den Vertrag zwischen Kirche und Staat.
Frau weg, Job weg: So ist es einem früheren Chefarzt des St. Vinzenz-Krankenhauses in Düsseldorf ergangen. In seinem Arbeitsvertrag stand, er habe die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre zu beachten. Das tat er nicht, denn nach der Scheidung heiratete er erneut – standesamtlich. Nach der Glaubens- und Sittenlehre wäre eine neue Vermählung für ihn aber nur nach dem Tod seiner Partnerin oder nach der offiziellen Aufhebung seiner ersten Ehe durch den Vatikan möglich gewesen.
Das Privatleben wird öffentlich
Warum sich ein Arbeitgeber im 21. Jahrhundert für das Privatleben seiner Angestellten interessiert, mag verwundern. Mit ihrer Qualifikation hat das sicher nichts zu tun. Und auch nicht mit ihrer Moralvorstellung: Schlechte Ehen gibt es wie Sand am Meer. Warum soll es verwerflich sein, Fehler zu revidieren?
Noch dazu gibt es weder im alten noch im neuen Testament ein verbindliches Modell von Ehe oder Familie. Man findet neben Monogamien auch polygame Lebensformen (Abraham, Loth, Jakob, David und Salomo) bzw. Inzest (Loth). Auch Leihmutterschaften mit Sklavinnen oder Mägden (Abraham) sind zu finden. Erstaunlich, daraus Moralbegriffe abzuleiten. Das alles war für den Chefarzt Grund genug, eine arbeitsrechtliche Prüfung anzustoßen.
Kein Loyalitätskonflikt
Und er bekam vor dem Bundesarbeitsgericht vollste Unterstützung. Im Urteil schreiben Richter, die Kündigung sei „nicht durch Gründe im Verhalten oder in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt“. Mit seiner Wiederverheiratung verletzte er weder eine wirksam vereinbarte Loyalitätspflicht noch eine berechtigte Loyalitätserwartung des Arbeitgebers. Vielmehr werde der Kläger unangemessen benachteiligt. Zuvor hatte sich der Gerichtshof der Europäischen Union mit der Materie befasst – und den Rauswurf als „Diskriminierung“ bezeichnet.
Das Urteil ist von grundsätzlicher Bedeutung für alle 1,4 Millionen Angestellte der Kirchen. Jedes vierte Allgemeinkrankenhaus ist in kirchlicher Trägerschaft. In diesem Bereich arbeiten rund 265.000 Personen.
Ein Relikt aus braunen Zeiten
Doch warum hat die katholische Kirche bis heute Sonderrechte? Dahinter verbirgt sich ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte. Mitte 1933 paraphierten Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., und der Vizekanzler Franz von Papen ein Dokument zur Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche. Sie wollten einfach Bedenken des Klerus zerstreuen. Es gab nicht nur die bekennende, oppositionelle Kirche, sondern viele Sympathisanten und noch mehr Mitläufer. Nach Kriegsende war umstritten, ob sich die Bundesrepublik an dieses Reichskonkordat zu halten hat. Andere Länder mit Unrechtsregime hoben im Zuge ihrer Demokratisierung solche Regelungen auf. Doch Karlsruher Verfassungsrichter bewerteten das Konkordat als völkerrechtlich verbindlichen Vertrag.
Gleiches Recht für alle
Deshalb ist auf unserer mittlerweile digitalen Lohnsteuerkarte die Kirchenzugehörigkeit eingetragen. Kirchensteuern wandern bei Angestellten direkt in Richtung Kirche. Auch an Universitäten oder in Ethikräten ist der Einfluss bis heute spürbar. Und Arbeitnehmer stehen ohne Schutz des Betriebsverfassungsgesetzes da. Eine Scheidung bzw. eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft reichen aus, um in die Wüste geschickt zu werden. Außerdem sind manche Krankenhäuser, Kitas oder Altenheime trotz staatlicher Subventionen nur Mitgliedern von Religionsgemeinschaften zugänglich. Pro Jahr erhalten Kirchen Zuschüsse in der Größenordnung von einer halben Milliarde Euro. Das lässt sich so nicht rechtfertigen. Kirchen können als Träger fungieren, keine Frage. Dann gelten aber Spielregeln wie bei allen anderen Trägern auch.
Staat und Kirche müssen sich endlich trennen, Religion ist Privatsache.
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