Epidemiologen haben Hinweise gefunden, dass Glyphosat das Risiko für ein Non-Hodgkin-Lymphom um bis zu 41 Prozent erhöhen kann. Ihre Metaanalyse setzt Hersteller des Herbizids erneut unter Druck. In den USA häufen sich Klagen. Wie ist die Situation in Deutschland?
Die EU-Kommission hat Glyphosat Ende 2017 nach wissenschaftlichen Kontroversen zum Gesundheitsrisiko für weitere fünf Jahre zugelassen. Mehr als 40 Firmen produzieren das Unkrautvernichtungsmittel. An der Spitze steht nach der Monsanto-Übernahme auch Bayer. Ob Glyphosat beim Menschen mit mehr Krebserkrankungen in Verbindung steht, ist bei Experten umstritten. Eine aktuell veröffentlichte Metaanalyse liefert weitere Hinweise für Risiken.
Welche Studien wurden ausgewertet?
Luoping Zhang von der University of California in Berkeley und Kollegen führten eine aktualisierte Metaanalyse, sprich eine umfassende Überprüfung der vorhandenen Literatur, durch. Sie konzentrierten sich auf epidemiologische Studien, berücksichtigten aber auch Tierexperimente. Die größte Studie aus 2018, bekannt als Agricultural Health Study, umfasste mehr als 54.000 Personen im Agrarsektor, die aus beruflichen Gründen Kontakt zu Glyphosat hatten.
Zwischen einzelnen Veröffentlichungen unterschied sich das Expositionsniveau deutlich. Und nicht immer waren alle erforderlichen Daten verfügbar. Die Forscher fanden zu wenige Veröffentlichungen, um das „Green Burndown“ zu bewerten. Hier bringen Landwirte Herbizide kurz vor der Ernte ihrer Pflanzen auf das Feld, um Wildkräuter zu eliminieren.
Risiko um bis zu 41 Prozent erhöht
Trotz solcher Einschränkungen fanden Zhang und Kollegen schlüssige Hinweise, dass Glyphosat Risiken für ein Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) um bis zu 41 Prozent erhöhen kann. „Insgesamt legt unsere derzeitige Meta-Analyse von epidemiologischen Studien am Menschen einen überzeugenden Zusammenhang zwischen Glyphosat-Expositionen und einem erhöhten NHL-Risiko nahe“, schreiben die Autoren. „Unsere Ergebnisse stehen in Einklang mit einer früheren Bewertung der Internationalen Agentur für Krebsforschung, die Glyphosat 2015 als „wahrscheinliches Karzinogen für den Menschen“ eingestuft hat“, ergänzt die Co-Autorin Rachel Shaffer.
IARC: „Wahrscheinlich krebserregend“
Zum Hintergrund: Die Eigenschaften von Glyphosat sind bis heute Thema wissenschaftlicher Kontroversen. Shaffer spricht eine 2015 publizierte Analyse der Internationalen Krebsagentur IARC an. Experten stützten sich bei ihrer Bewertung auf mehrere Fall-Kontroll-Studien sowie die von Zhang und Kollegen erneut berücksichtigte Agricultural Health Study. Tierexperimentelle Daten kamen mit hinzu. Sie sprechen von „begrenzten Hinweisen“ für eine krebserzeugende Wirkung beim Menschen und „ausreichenden Beweisen“ bei Versuchstieren. Deshalb stuften sie Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein, das entspricht der Kategorie 2A. Ähnliche Bewertungen hatten zuvor UV-Strahlung oder rotes Fleisch bekommen.
Die IARC-Bewertung bildet eine wissenschaftliche Grundlage für rund 9.300 Klagen von Patienten mit NHL gegen Monsanto respektive Bayer in den USA. Der erste Patient gewann letztes Jahr vor Gericht gegen den Konzern. Er soll rund 78 Millionen US-Dollar an Entschädigung erhalten. Ende Februar geht es in die Berufung.
USA: Die Luft wird dünn
Der gescholtene Konzern kritisiert gegenüber Medien, dass die Metaanalyse von Zhang et al. keine neuen epidemiologischen Daten liefere, dafür aber „schwerwiegende methodische Schwächen“ aufweise. Hier seien gezielt Daten aus der Agricultural Health Study und aus fünf älteren Fall-Kontroll-Studien selektiert und inkompatible Daten kombiniert worden. Gegenüber CNN ist sogar von „statistischer Manipulation“ die Rede.
Produkte auf Basis von Glyphosat seien bei sachgemäßer Anwendung nicht krebserregend, heißt es weiter. Als Beleg veröffentlicht der Konzern Abstracts von rund 300 Studien. Außerdem beruft sich Bayer auf Einschätzungen der US Environmental Protection Agency (EPA). Man habe „keine relevanten Risiken für die menschliche Gesundheit“ festgestellt, schreibt die amerikanische Umweltagentur.
Gegenüber The Guardian behauptet Monsanto, es gebe keine legitimen wissenschaftlichen Untersuchungen, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Glyphosat und NHL oder irgendeiner Krebsart belegen. Bei der IARC-Bewertung seien mehrere wichtige Studien nicht ausreichend gewürdigt worden.
Doch die Sache sieht nicht gut aus, denn EPA-Spitzenvertreter beginnen umzudenken. Drei der Autoren der aktuellen Metaanalyse, nämlich Luoping Zhang, Emanuela Taioli und Lianne Sheppard, arbeiten in einem EPA-Beratungsgremium zu Glyphosat. Und ihr Paper ist in dem Journal Mutation Research / Reviews in Mutation Research erschienen: einer Fachzeitschrift mit dem EPA-Wissenschaftler David DeMarini als Chefredakteur. Sheppard gehörte schon früher zum Beraterkreis der EPA bei Glyphosat-Fragen und kritisierte methodische Fehler: „Es war ziemlich offensichtlich, dass sie nicht ihren eigenen Regeln folgten. Gibt es Beweise, dass es krebserregend ist? Die Antwort ist ja.“
Deutschland: Hat das BfR ganze Passagen von Monsanto übernommen?
Kontroversen rund um Glyphosat werfen auf Deutschland ebenfalls kein gutes Licht. Der Plagiatforscher Stefan Weber und der Biochemiker Helmut Burtscher-Schaden fanden im Auftrag von EU-Abgeordneten heraus, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bei der Neuzulassung ganze Passagen aus Monsantos Anträgen wortwörtlich übernommen hat, ohne weitere Prüfung. Das BfR dementiert. Europapolitiker wünschen sich jetzt mehr Transparenz bei Zulassungen.
Auch mit der im Koalitionsvertrag vereinbarten Minderungsstrategie ist es nicht weit her. Bereits im April 2018 hatte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) erklärt, sie wolle Glyphosat aus öffentlichen Grünanlagen, aus privaten Gärten und aus Naturschutzgebieten verbannen. Doch die Behörde ist eben eine Behörde und arbeitet in ihrem Tempo. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, werden viele Anträge auf Zulassungsverlängerung nicht zeitnah bearbeitet. Deshalb bekommen etwa 100 Produkte eine Verlängerung ihrer Vorgängerzulassung. „Nach gesundem Menschenverstand müsste es doch genau andersrum sein“, sagt Harald Ebner. Er ist Sprecher für Gentechnik- und Bioökonomiepolitik bei den Grünen. „Die Stoffe dürften solange nicht verkauft werden, bis die neue Sicherheitsprüfung abgeschlossen ist.“ Klöckners Glyphosat-Minderungsstrategie hat also derzeit noch nicht viel mit Minderung zu tun. Aber vielleicht ist das gar nicht gewünscht.
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