Was die Zahnhygiene betrifft, sind Patienten heute gewissenhafter denn je. Während Zahnärzte die Karies immer besser im Griff haben, macht sich ein anderer Trend bemerkbar: Die Parodontitis rückt immer mehr in den Behandlungsfokus.
Prognosen zufolge werden sich die hauptsächlich von Zahnmedizinern behandelten Erkrankungen in ihren Prävalenzen verändern. Seit vergangenem Dezember liegt eine Schätzung über den Bedarf an Parodontitis-Behandlungen für 2030 vor. Sie wurde veröffentlicht von Dr. Falk Schwendicke, stellvertretender Abteilungsleiter und Oberarzt der Abteilung für Zahnerhaltung und Präventivzahnmedizin an der Charité Berlin, in Zusammenarbeit mit den Universitäten Greifswald und Dresden sowie dem Institut der Deutschen Zahnärzte in Köln.
Als Basis für die Prognose dienten Daten zum Auftreten von Zahnfleischtaschen mit mindestens vier Millimetern Tiefe aus den Deutschen Mundgesundheitsstudien III (1997), IV (2005) und V (2014). An diesen Studien nahmen jeweils 3.000 bis 4.600 Menschen teil. Da die Deutschen zunehmend mehr Zähne bis ins hohe Alter besitzen und gleichzeitig ein demographischer Wandel stattfindet, wird sich der Bedarf von Parodontitis-Behandlungen verschieben. Bei Personen bis 44 Jahren ist er seit 1997 von durchschnittlich 7,36 Zähnen auf 4,76 Zähne in 2014 stetig gesunken. Bis 2030 wird er weiter, auf voraussichtlich 3,15 Zähne, fallen. Bei Senioren ab 65 Jahren verhält es sich genau anders herum: Hier ist der Behandlungsbedarf von durchschnittlich 4,54 Zähnen im Jahr 1997 auf 7,52 im Jahr 2014 gestiegen. Eine Hochrechnung des Trends lässt für 2030 pro Person 12,23 behandlungsbedürftige Zähne erwarten.
Dr. Michael Wicht, Leitender Oberarzt im Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Uniklinik Köln, stellte auf dem Kongress „Kinderzahnheilkunde meets Zahnerhaltung“ 2018 in Dortmund die „Todesspirale“ bei Dentalkaries vor. Eine Primärkaries schreitet gewöhnlich über sekundäre Karies zum Vitalitätsverlust (Krone) voran, worauf es später zur Entzündung und schließlich zur Zahnextraktion kommt.
Diese Spirale wird sich zukünftig zeitlich nach hinten verschieben und strecken, was zu großen Teilen auf eine erfolgreiche Prävention zurückzuführen ist: Zähneputzen lohnt sich. Die Karieserfahrung hat in den letzten Jahrzehnten rasant abgenommen, Deutschland nimmt heute im internationalen Vergleich eine Spitzenposition ein. Der Kariesindex ist bei 12-Jährigen von 4,9 in der ersten deutschen Studie zur Mundgesundheit aus den Jahren 1989/92 auf 0,5 gesunken (DMS V, 2014) und beträgt damit nur noch 10 % des Ausgangswertes. Die Prävention wirkt sich auch im Erwachsenenalter positiv aus: Erwachsene im Alter von 35–44 Jahren haben heute durchschnittlich drei Füllungen weniger als 1997.
Andere Behandlungsmethoden tragen ebenfalls dazu bei, dass sich der Prozess von der Kariesentstehung bis hin zur Zahnextraktion im Vergleich zu früher verlangsamt. Eine approximale Karies kann heute beispielsweise mikroinvasiv durch Kariesinfiltration behandelt werden. Insgesamt ist die therapeutische Schwelle für ein invasives Vorgehen deutlich gestiegen: Der Bohrer bleibt heute häufig stecken. Ähnlich wie bei der Parodontitis wird Karies bei jungen Menschen weiter zurückgehen, während Personen ab etwa 40 Jahren mit zunehmendem Zahnerhalt ein höheres Kariesrisiko von ungefähr 0,5–1 befallenem Zahn haben werden. Durch die Verschiebung entsteht im Alter ein anderer Versorgungsbedarf: „Es wird weniger Extraktionen und große Prothesen geben, sondern eher Wurzelrestaurationen“, sagt Wicht.
Artikel von Dr. Karen Zoufal
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