Die Coca-Cola Company ist schuld am Adipositas-Problem in China, sagt eine Anthropologin. Der Soft-Drink-Gigant habe die chinesische Gesundheitspolitik massiv beeinflusst. Auch in Deutschland gibt es Verdachtsmomente, dass Lobbyisten sich zu sehr einmischen.
Chinas junge Generation wird immer dicker, warnen Forscher der Peking University. Vor allem verantwortlich für diesen Umstand: The Coca-Cola Company. So sieht es zumindest Prof. Susan Greenhalgh von der Harvard Universität Cambridge. Die Anthropologin hat untersucht, inwiefern sich der Softdrink-Gigant in den chinesischen Gesundheitssektor einmischt. Hier geht es um ein Problem, das nicht nur weit weg in China besteht. Kritik am Lobbyismus gibt es auch in Deutschland. Ein perfektes Beispiel sind die einstigen Nebeneinkünfte von Gesundheitsminister Jens Spahn, der jahrelang indirekte Anteile an einer Lobby-Agentur hielt. Was ist über den Einfluss von Lobbyisten im Gesundheitssektor bekannt?
Im Jahr 1985 litten noch 6,15 Millionen Menschen in China an krankhaftem Übergewicht. Mittlerweile sind es 15 Millionen. Bis 2030 rechnen Epidemiologen sogar mit 50 Millionen, sollte es keine Trendwende geben. In einem aktuellen Artikel des BMJ zeigen Greenhalgh und ihr Team, dass Coca-Cola einen enormen Einfluss auf die Adipositas-Forschung und die öffentliche Gesundheitspolitik in China hat. Im Fokus der Kritik steht vor allem das International Life Sciences Institute (ILSI) mit Hauptsitz in Washington, DC. Nach Institutsangaben ist das ILSI eine „global tätige, gemeinnützige Wissenschaftsorganisation.“
Sie wurde 1978 von Alex Malaspina, einem Vorstandsmitglied von Coca-Cola, gegründet. Als Hauptgeldgeber nennt Greenhalgh neben Coca-Cola auch Nestlé, McDonald’s und Pepsi. Das Konzept scheint so durchschaubar wie simpel: Coca-Cola gründet ein wissenschaftliches Institut und gibt angeblich unabhängige Empfehlungen ab. Eine der Kernbotschaften des Instituts lautete: „Alle Speisen und Getränke sind Teil einer gesunden Ernährung, solange du genug Bewegung machst.“
Die chinesische Dependance des Instituts sitzt direkt im Chinese Centre for Disease Control and Prevention (China CDC), einer Institution des Gesundheitsministeriums. Bereits 2001 schrieb die WHO, ILSI-Forscher hätten Fördergelder von Tabakherstellern bekommen und Empfehlungen gegen das Rauchen nicht umgesetzt.
Durch die Analyse von Susan Greenhalgh gerät das ohnehin umstrittene Institut erneut in die Kritik. Sie zeigt, wie sich chinesische Adipositas-Präventionsprogramme inzwischen verändert haben. Vor 20 Jahren standen WHO-konforme Empfehlungen im Mittelpunkt: Die Kalorienaufnahme beschränken und sich regelmäßig bewegen. Dieser Fokus hat sich mehr und mehr verschoben. Ab dem Jahr 2015 rieten chinesische Gesundheitspolitiker allen Bürgern, sich mehr zu bewegen, dem Thema Ernährung wird wenig Beachtung geschenkt – ganz im Sinne von Coca-Cola. Das Unternehmen habe sich „geschickt in eine Position der Macht hinter den Kulissen manövriert, die sicherstellt, dass Maßnahmen zur Bekämpfung der wachsenden Adipositas-Epidemie ihre Interessen nicht untergraben“, schreibt Greenhalgh.
Ein Beispiel dafür sind zahlreiche Adipositas-Konferenzen, die ILSI gemeinsam mit Coca-Cola veranstaltete. Dort wurde nach Berichterstattungen einiges dafür getan, mehr Bewegung als die Lösung für das wachsende Problem mit dem Übergewicht darzustellen: Von Coca-Cola gesponserte Redner hielten Vorträge über vermeintlich wissenschaftliche Erkenntnisse körperlicher Aktivität. Das Thema Ernährung wurde dabei weitestgehend ausgeklammert. Chinas Gesundheitspolitiker scheinen in ihrem Denken mittlerweile so beeinflusst, dass über Maßnahmen wie die Besteuerung von zuckerhaltigen Getränken und die Einschränkung von Werbeprogrammen für Kinder nicht einmal diskutiert werde, heißt es in Greenhalghs Artikel.
Zwar ist der Einfluss des ILSI auf die chinesische Gesundheitspolitik nicht messbar, auffällig ist dennoch, dass die beiden Positionen beim Thema Übergewicht für eine gewisse Zeit übereinstimmten. Nachdem die New York Times im Jahr 2015 eine Reihe kritischer Berichte veröffentlichte, distanzierte sich Coca-Cola von seiner wissenschaftlichen Förderung in China. Die ILSI-Struktur blieb allerdings bestehen und etliche Adipositas-Programme aus der von Coca-Cola geprägten Zeit wurden umgesetzt. Der Einfluss ist also noch deutlich zu spüren.
Ähnliche Verflechtungen gibt es im Inselstaat. Public Health England (PHE), eine Behörde im Zuständigkeitsbereich des Department of Health and Social Care, ruft zum maßvollen Alkoholkonsum auf. Ihre „Drinkaware“- Kampagne wird ausgerechnet von Alkoholherstellern bezuschusst. In einem Brief an die Regierung warnen 46 Experten laut BBC vor einem „erheblichen Risiko sowohl für die effektive Vermittlung von Alkoholberatung an die Öffentlichkeit als auch für den Ruf von PHE“ . Sie kritisieren die Ratschläge, die Drinkaware gibt, um weniger Alkohol zu trinken. Die Website enthält keine vollständigen Angaben zu den Risiken eines übermäßigen Alkoholkonsums. „Industriefinanzierte Botschaften und Kampagnen sollten kein Ersatz für öffentlich finanzierte Kampagnen sein, die unabhängige und evidenzbasierte Informationen bereitstellen“, schreiben sie weiter.
Auch in Deutschland macht der Lobbyismus vor Ministerien, die sich direkt oder indirekt mit Gesundheitsaspekten befassen, nicht Halt. Einige Beispiele:
Deutsche Automobilkonzerne hätten nicht nur unerlaubt hohe Abgas-Grenzwerte per Software beeinflusst, sondern in Brüssel strengere Grenzwerte vermieden. Zu dem Ergebnis kam die „Süddeutsche Zeitung“ Mitte 2017. Als Möglichkeit, Empfehlungen umzusetzen, nennt das Blatt personelle Wechselspiele. Hochrangige Mandatsträger wechselten zu Firmen, während Hersteller ihrerseits Personen in Ämter transportierten.
Im Bundesgesundheitsministerium sieht die Sache nicht besser aus. Laut einer knapp 900 Seiten starken, öffentlich zugänglichen Liste geben sich im Bundestag etliche Gesundheits-Lobbyisten die Klinke in die Hand. Wer sich registrieren lässt, kann nicht nur Anhörungen zu Gesetzgebungsverfahren besuchen, sondern erhält Hausausweise des Bundestages. Das heißt, Lobbyisten haben mehr Möglichkeiten, Abgeordnete „auf dem kleinen Dienstweg“ zu erreichen. Und so manches Gespräch ist unter vier Augen bzw. Ohren möglich. Inhalte entziehen sich jeder Kontrolle.
Dazu gehören z.B. Vertretungen der pharmazeutischen Hersteller, der Ärzte, Apotheker, Krankenkassen und Kliniken. Wie weit Lobbyismus gehen kann, zeigt ein schwebendes Verfahren gegen den Ex-ABDA-Pressesprecher Thomas B. Ihm wird vorgeworfen, über einen IT-Experten des Ministeriums vertrauliche E-Mails zu laufenden Gesetzgebungsverfahren bekommen zu haben. Der Prozess zieht sich in die Länge, auch wegen formaler Fehler bei der Beweisaufnahme.
Nicht zuletzt bleiben noch externe Personen in der Bundesverwaltung. 2006 sorgte ein Bericht des Magazins „Monitor“ für hektische Betriebsamkeit. Die Recherchen deckten auf, dass Interessenverbände ihre eigenen Mitarbeiter in Ministerien entsandt hatten, um dort inhaltlich bei Gesetzgebungsverfahren mitzuarbeiten – höchst wahrscheinlich im Interesse ihres Auftraggebers. Zahlreiche der Beschäftigten wurden von Interessenverbänden direkt in Ministerien entsandt. Im Jahr 2012 flog u.a. ein Mitarbeiter des Verbands der Ersatzkassen im Bundesgesundheitsministerium auf. Mittlerweile ist die Zahl an Externen zwar stark zurückgegangen. Auf wessen Gehaltsliste sie vielleicht noch stehen, ist eine andere Frage.
Auch der jetzige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist umstritten: Kritiker verweisen auf Spahns frühere Tätigkeiten bei einer Lobbyagentur. Er zog 2002 erstmals in den deutschen Bundestag ein und entschied sich, im Gesundheitsausschuss mitzuarbeiten. Bereits im Jahr 2006 gründete er zusammen mit Max Müller (heute DocMorris-Vorstandsmitglied) und Markus Jasper (heute CDU-Kreisgeschäftsführer im Kreisverband Borken, Westfalen) eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
Über diesen Umweg beteiligte sich das Trio an Politas: einer Agentur, die vor allem Firmen aus dem Medizin- und Pharmasektor vertrat. Gleichzeitig saß Spahn im Gesundheitsausschuss des deutschen Bundestages. Im Mai 2010 verkaufte Spahn seine Politas-Anteile. Lobbypedia zufolge ist er immer noch gut vernetzt mit der pharmazeutischen Industrie und mit Versandapotheken.
„Lobbyismus wird in Deutschland keineswegs nur kritisch gesehen, sondern auch als ein Tauschprozess, der für Politik und Ministerialverwaltung Vorteile bietet“, schreibt Prof. Dr. Michael Simon, Pflegewissenschaftler von der Hochschule Hannover. „Aus Sicht von Abgeordneten können Kontakte zu Lobbyisten und die von ihnen gelieferten Informationen beispielsweise die Abhängigkeit der Politik von den Fachinformationen der Ministerialbürokratie mindern. Aus Sicht der Ministerialbeamten kann eine sachkompetente Unterstützung durch Verbandsexperten dazu beitragen, Fehler zu vermeiden und handwerklich bessere Gesetzentwürfe zu schreiben.“
Aber Prof. Simon beleuchtet auch die damit verbundenen Schwierigekeiten: „Das Problem der Nutzung der Expertise von Lobbyisten und Verbandsexperten ist und bleibt jedoch, dass die von Interessenverbänden bereit gestellten Informationen mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Interessen der durch diese Verbände vertretenen Unternehmen, Organisationen, Berufsgruppen etc. durchdrungen sind. […] Die besondere Kompetenz erfahrener Lobbyisten liegt gerade auch darin, Verbandsinteressen so in Sachinformationen einzukleiden, dass sie nur noch schwer als Teil einer Lobbying-Strategie erkennbar sind“
Böse gesprochen ließe sich daraus schulssfolgern, dass also mehr fachliche Expertise in Ministerien den Einfluss von Interessenvertretern zurückdrängen könnte.
Artikel von Michael van den Heuvel
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